Olpe/Siegen. Der Inhaftierte aus Olpe pocht auf seine Unschuld. Seine Familie steht hinter ihm. In seiner Zelle wurde zuletzt jedoch eine Waffe gefunden.
Es scheint so, als ob der Angeklagte aus Olpe davon ausgeht, dass er freigesprochen werden wird. Dass ihm das Siegener Schwurgericht am Ende nicht nachweisen könne, dass er sich des versuchten Totschlags schuldig gemacht habe. Dass es nicht er gewesen sei, der am Rande des Olper Schützenfestes im vergangenen Sommer mit einem Messer auf zwei Männer (beide 29 Jahre alt) eingestochen habe. „Ich glaube immer mehr daran, dass hier meine Unschuld bewiesen wird“, so der 19-Jährige. Das Gericht mit der Vorsitzenden Richterin Sabine Metz-Horst hat daran allerdings noch Zweifel.
Das Verhalten in der JVA
Am sechsten Verhandlungstag wurde unter anderem eine Beamtin aus der JVA Wuppertal-Ronsdorf als Zeugin geladen. Sie hatte damals das Zugangsgespräch geführt, als der Angeklagte in Untersuchungshaft genommen worden war. Er habe einen ruhigen und beobachtenden Eindruck gemacht, habe sich freundlich und kooperativ gezeigt. Trotz seines täglichen Cannabis- sowie gelegentlichen Ecstasy- und Kokain-Konsums habe er keinen Kontakt zur internen Suchtberatung aufgenommen. Entzugserscheinungen sollen keine aufgetreten sein, sein Zustand soll stabil gewirkt haben.
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Er habe sich sogar zur Berufsfelderkundung angemeldet und sich in diesem Rahmen für eine Ausbildung zum Hochbaufacharbeiter entschieden. „Am Anfang war er sehr motiviert. Aber irgendwann kippte das. Seine Arbeitsmoral nahm stark ab, er klagte immer öfter über Kopf- und Bauchschmerzen und Unwohlsein“, so die JVA-Beamtin. Die Fehltage in der Werkshalle häuften sich. Die Ausbildung wurde schließlich abgebrochen. „Ich hatte keinen Kopf mehr für die Arbeit. Ich wollte mich auf das Leben da draußen vorbereiten“, so der Angeklagte auf die Frage, was der Grund für seine plötzliche Demotivation gewesen war.
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Bislang konnten dem 19-Jährigen drei Verstöße in der JVA nachgewiesen werden: In zwei Fällen versuchte er Hygieneartikel und Tabak für Mitgefangene zu schmuggeln, im dritten Fall wurde eine Stich- und Schnittwaffe in Form eines umgebauten Rasierers in seiner Zelle sichergestellt. „Ich hab’ gar nicht dran gedacht, das als Waffe zu nutzen. Ich wollte einfach ein scharfes Werkzeug haben, weil die Messer im Werkraum nicht scharf genug sind“, erklärte der Angeklagte. Richterin Sabine Metz-Horst ließ das nicht unkommentiert: „Sie sollten mehr über ihr Leben und Ihre Entscheidungen nachdenken.“
Kindheit und Jugend
„Er war das liebste Kind der Welt. Wirklich zauberhaft“, beschrieb der Vater des Angeklagten die ersten zwei Lebensjahre seines Sohnes. Im Kindergarten habe er ein sehr lebhaftes Verhalten an den Tag gelegt, bald kam die Impulsivität dazu. „Die Probleme fingen dann an, als die Schule begann“, so der 56-Jährige. Etwa ab dem zweiten Schuljahr sei er psychiatrisch behandelt worden wegen seiner Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Sowohl medikamentös (unter anderem mit Ritalin) als auch mit Gesprächstherapie. Doch die Probleme blieben. Er ignorierte trotz einer sozialpädagogischen Begleitung seine Hausaufgaben und häufte immer mehr Fehlstunden an. Mit 11 Jahren wurde er – auch in Abstimmung und auf Empfehlung des Jugendamtes – in eine Wohngruppe in Kierspe aufgenommen. „Rückblickend war das ein Fehler“, meinte der Vater. Das Vertrauensverhältnis gegenüber das Familie habe durch diese Entscheidung sehr gelitten.
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Vom Drogenkonsum seines Sohnes habe er erst erfahren, als dieser etwa 17 Jahre alt gewesen sei. Es habe „komisch“ im Haus gerochen. „Manchmal ist man auf einem Auge blind“, so der Vater des Angeklagten. Nichtsdestotrotz glaube er seinem Sohn, dass er unschuldig sei. „Er ist niemand, der lügt.“ Vielmehr entspreche es seinem Naturell, einen Kumpel nicht zu verpfeifen, wenn dieser in Schwierigkeiten stecke.
Situation des Geständigen
Eigentlich hätte am Montag auch der 19-jährige Freund des Angeklagten aussagen sollen, der bereits Ende Januar vor dem Schwurgericht überraschend ausgesagt hatte, dass er für die Messerstiche verantwortlich gewesen sei. Doch er kam nicht. Dafür sagte seine 46-jährige Mutter aus, die geladen war. Sie beschrieb ihren Sohn als jemanden, „der schnell aus der Haut fährt“. Dass die Kriminalpolizei im Rahmen einer Hausdurchsuchung drei Messer unter seinem Bett gefunden hatte, habe sie nicht überrascht. „Er hat schon im Kindergartenalter gern mit Messern hantiert und geschnitzt. Er meinte mal zu mir, dass er sich mit einem Messer sicherer fühlen würde, wenn er unterwegs ist“, so die Mutter, die auch seine gesetzliche Betreuerin ist. „Es wäre sehr wichtig für ihn, psychologische Hilfe zu bekommen. Aber er will nicht.“ Sie habe Selbstgespräche bei ihm beobachtet und den Verdacht auf Schizophrenie geäußert – ohne dafür jemals eine Diagnose bekommen zu haben.
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Seitdem der Angeklagte in Untersuchungshaft sitzt, habe er insgesamt drei Briefe an ihren Sohn geschrieben. In einem schrieb er: „Das war so eine Erleichterung, als du die Wahrheit gesagt hast. Das war das stabilste, was je jemand für mich getan hat.“ Doch sobald die Mutter ihren geständigen Sohn auf den Vorfall oder das Motiv in der Vergangenheit angesprochen habe, habe er „gemauert“. „Es ist schwierig zu sagen, was wahr ist – und was nicht.“