Benolpe. Hündin Amberly arbeitet als Co-Therapeut in der Logopädie von Katharina Freundt in Benolpe. Fast wäre sie wegen ihrer Taubheit getötet worden.

Amberly tippelt schwanzwedelnd umher. Als sie die neue Besucherin im Türrahmen entdeckt, läuft sie begeistert auf sie zu. Sie drückt sich leicht mit ihrem Rumpf gegen die Knie. Sie liebt es, gestreichelt zu werden. Fast so sehr wie Futter. „Sie ist sehr verschmust“, meint Katharina Freundt. Für die 46-jährige Logopädin aus Benolpe ist Amberly mehr als ein Haustier, das sie mit in ihre Praxis „Quasselstrippe“ nimmt. Amberly ist ein wichtiger Teil ihrer Arbeit. Und wohl deutschlandweit einzigartig.

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Amberly ist ein Aussiedor, ein Labrador-Australian-Shepherd-Mischling. Und wurde taub geboren. „Den Verdacht habe ich schon damals, als ich Amberly zum ersten Mal im Alter von vier Wochen sah, geäußert. Die Züchterin hatte das aber bestritten“, erinnert sich Katharina Freundt. Der hohe Weißanteil im Fell, die helle Nase und die leicht ausgefransten Pupillen ließen einen Gendefekt, eine sogenannte Doppelmerle, vermuten. Tragen beide Elternteile das Merle-Gen, können zum Teil schwerstbehinderte Welpen zur Welt kommen. Blindheit, Taubheit, Missbildung der Organe und Epilepsie können auftreten. Trotz der gesundheitlichen Risiken entschied sich Katharina Freundt bewusst für Amberly. Die Chemie zwischen den beiden stimmte von Anfang an. „Ich bin überzeugt davon, dass jedes Tier aus einem bestimmten Grund in unser Leben tritt“, meint Freundt.

Amberly kuschelt mit Katharina Freundt.
Amberly kuschelt mit Katharina Freundt. © Britta Prasse | Britta Prasse

Mit acht Wochen zog Amberly schließlich bei Katharina Freundt ein. Untersuchungen bestätigten den Anfangsverdacht: Amberly ist taub. „Ich hätte sie zur Züchterin zurückgeben können. Das kam für mich aber nicht in Frage.“ Die emotionale Bindung war schon da. Und eine Rückkehr zur Züchterin hätte Amberly wahrscheinlich das Leben gekostet. Denn: Behinderte Welpen sind rufschädigend für das Zuchtgeschäft. Ein „Makel“, der beseitigt werden muss. Vor diesem Schicksal wollte Katharina Freundt ihre Hündin unbedingt bewahren. Die Züchterin erstattete ihr den Kaufpreis zurück. Amberly wurde gerettet.

Trauriger Abschied von früherem Therapie-Begleithund

Katharina Freundt ist mit Tieren, vor allem mit Hunden, groß geworden. Die Liebe zu Tieren nutzt sie auch bei der Arbeit in ihrer logopädischen Praxis. Bevor Amberly einzog, begleitete Landseer-Rüde Balduin die Therapiestunden. „Das war ein Berg von Hund. Und die Kinder haben ihn geliebt“, erinnert sich Freundt. Doch vor gut zwei Jahren musste Katharina Freundt völlig überraschend Abschied nehmen von ihrem treuen Wegbegleiter. Wegen einer sich andeutenden Magenverdrehung musste Balduin operiert werden. Bei der OP machten die Tierärzte eine traurige Entdeckung: Der gesamte Bauchraum war voller Tumore. „Ich konnte mich entscheiden, ob ich ihn noch mal aus der Narkose aufwachen lassen möchte oder ob ich ihn so gehen lasse. Ihn noch mal zurückzuholen, das hätte ich nur für mich getan. Das wollte ich nicht“, erinnert sich Freundt. Balduin wachte nicht mehr auf. Er wurde gerade mal 7 Jahre.

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Der plötzliche Tod machte nicht nur Katharina Freundt sehr betroffen. Auch ihre kleinen Patienten trauerten. „Ein Junge, mit dem ich arbeite, weinte zwei Wochen lang. Er hat Balduin so sehr vermisst“, sagt Katharina Freundt. Für sie war klar: Es muss ein neuer Hund einziehen. Keine Kopie von Balduin. Sondern ein ganz eigener, anderer Charakter. Mit neuen Herausforderungen. Ihre Wahl fiel schnell auf einen Aussiedor und schließlich auf Amberly. „Als ich dem Jungen ein Bild von Amberly gezeigt und ihm gesagt habe, dass sie demnächst einziehen wird, schöpfte er wieder neuen Mut und neue Kraft.“ Er war wieder erreichbar.

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Vor der eigentlichen Ausbildung zum Therapie-Begleithund musste Amberly einen Eignungstest absolvieren. Dabei wird geprüft, wie menschenbezogen, schreckhaft oder jagdinteressiert sie ist. Wie hoch ist die Frustschwelle? Neigt sie zu aggressivem Verhalten? Trotz ihrer angeborenen Behinderung besteht Amberly den Test auf Anhieb und darf die Ausbildung beginnen. „Ich finde es toll, dass uns die Chance gegeben wurde. Dass nicht auf das Defizit, sondern auf das Potenzial geschaut wurde“, meint Freundt. Und davon hat Amberly ganz viel.

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„Es ist klar, dass man bei einem tauben Hund kreativer sein muss. Aber diese Herausforderung ist wundervoll.“ Amberly wurde über einen Klicker konditioniert. Einer, der nicht über ein hörbares, sondern über ein sichtbares Signal funktioniert. Dafür wurde eine Art Tischtennisball mit einem LED-Lämpchen bestückt. Jedes Mal, wenn Amberly die gewünschte Verhaltensweise zeigt, leuchtet der „Klicker“ und sie bekommt ein Leckerli. Alle Befehle funktionieren über Körper- und Zeichensprache. Wenn Katharina Freundts Handfläche nach oben zeigt, bedeutet das „Sitz!“. Wenn sie ihre Hände umeinander kreisen lässt, bedeutet das „Holen!“.

Amberly ist über ein Leuchtsignal konditioniert.
Amberly ist über ein Leuchtsignal konditioniert. © Britta Prasse | Britta Prasse

Vor gut zwei Wochen hat Amberly die Prüfung zum Therapie-Begleithund bestanden. Als erster tauber Hund in Deutschland. Seitdem darf Amberly auch in der Praxis mitarbeiten. Dabei drückt sie zum Beispiel auf Buzzer, wodurch eine Aufnahme abgespielt wird. „Ich habe die Geräte vorher mit Begriffen besprochen. Wenn Amberly auf einen Knopf drückt und die Ansage ‚Fahrzeuge‘ ertönt, sind die Kinder dazu aufgerufen, drei Fahrzeugtypen zu nennen“, erklärt Freundt. Bei lispelnden Kindern dient Amberlys Körper als eine Art Leinwand. „Ich fahre dann ihren Körper entlang und sage dabei Begriffe wie ‚Sonne‘ oder ‚Haus‘. Dabei animiere ich die Kinder dazu nachzudenken, wo sich genau das ‚S‘ im Wort befindet. Und veranschauliche das an Amberlys Körper. Wenn sich das ‚S‘ vorne im Wort befindet, zeige ich auf Amberlys Kopf, befindet es sich am Ende des Wortes, zeige ich auf ihren unteren Rücken.“ Amberly liebt diese Arbeit. Schließlich ist das eine extra Streicheleinheit.

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Amberly sorgt nicht nur für mehr Motivation und Spaß beim Lernen. Sie stärkt auch das Selbstbewusstsein ihrer kleinen und großen Patienten. Kinder mit einem Cochlea-Implantat, also einer sichtbaren Hörprothese, die an einer Seite des Kopfes angebracht ist, können sich leicht mit Amberly identifizieren. „Sie sehen, dass Amberly trotz ihrer Taubheit ein vollwertiges Lebewesen ist und mir hilft. Das ist eine tolle und wichtige Botschaft an die Kinder“, meint Freundt. Und auch erwachsene Patienten werden durch Amberly gestärkt. Menschen, die beispielsweise einen Schlaganfall erlitten und dadurch womöglich Lähmungserscheinungen in einer Körperhälfte haben, können mit ihrer gesunden Hand einen Ball zum Apportieren werfen. „Durch diesen Moment bekommen die Patienten das Gefühl, zumindest wieder ein wenig Kontrolle zurückzuerlangen. Das ist mental unglaublich wichtig“, weiß Freundt.

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Nach so viel Spiel und Spaß braucht Amberly ein kleines Nickerchen. Das macht sie am liebsten ganz nah bei Katharina Freundt. Eng angekuschelt bei ihr auf dem Schreibtischstuhl, wenn’s sein muss auch im Samt-Sessel direkt neben dem Schreibtischstuhl. Dann schließt sie die Augen und schnarcht leise vor sich hin. Bis zum nächsten Patienten, den sie begeistert empfangen wird.

>>> TRAUM VOM TIERGESTÜTZTEN THERAPIEZENTRUM

  • Katharina Freund arbeitet mit Eileen Fuchs in der logopädischen Gemeinschaftspraxis „Quasselstrippe“ in Kirchhundem-Benolpe. Zum Praxisteam gehören noch die vierbeinigen Co-Therapeuten Amberly, Toffee, ein Australian Shepherd in Ausbildung, Jesper, ein Friese, und Lilli, ein Mini-Shetty. Katharina Freund träumt von einem tiergestützten Therapiezentrum, einem Ort, an dem alle Tiere zusammenkommen und den Patienten helfen können. „So etwas braucht das Sauerland“, ist die Logopädin überzeugt. Für ihren Traum sammelt sie Spenden.
  • Mehr Infos und Eindrücke von der Arbeit gibt es unter www.quasselstrippe.net