Herdecke. Ex-Anwalt Manfred Gottschalk (73) aus Herdecke teilt Einblicke in seinen dramatischsten Fall und erklärt die Gefahren der Insolvenzfalle.

„Oh, Macht der Gewohnheit“, sagt Manfred Gottschalk (73) und lacht, als er sich im Besprechungsraum der Kanzlei Gottschalk, Wojtys und Wiesner in Herdecke an den Platz am Ende des großen Tisches setzt. Zwar ist er schon seit drei Jahren im Ruhestand, „ich setze mich aber immer noch automatisch an meinen alten Platz“, sagt er. Regale mit Gesetzestexten zieren die Wand. „Inzwischen gibt es alles aus diesen Büchern natürlich digital. Aber eigentlich hat jede Kanzlei so eine Regalwand“, sagt Gottschalk und schmunzelt. Seine Kanzlei gibt es schon seit fast 40 Jahren: Am 1. März 1984 hatte er sie in Herdecke-Ende eröffnet. Dort hat er nicht nur als Anwalt, sondern auch als Insolvenzverwalter und Notar gearbeitet.

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„Wie plant man Anfang der Achtziger seine Selbstständigkeit als Anwalt? Na ja, damals habe ich mir einen Stadtplan von Hagen und Herdecke genommen und die Gelben Seiten“, sagt Manfred Gottschalk. „Dann habe ich geschaut, wo es noch keine Anwälte gibt und bin dann auf Ende gestoßen. Das kam mir ganz gelegen, weil ich selbst Herdecker bin.“ Anfang der Neunziger Jahre beginnt er mit seiner Arbeit im Insolvenzrecht. „Wirtschaftsrecht war immer mein Ding, da wollte ich hin und es hat mich einfach am meisten interessiert“, sagt Gottschalk. „Als ich dann 1993 die ersten Konkursverfahren, so hieß es ja damals noch, bekam, war das der Moment, wo sich meine Arbeit als Anwalt und natürlich auch mein Leben geändert hat“, erinnert er sich. Einen Talar hat er seit 1988 schon nicht mehr getragen.

Insolvenzverwalter als Sanierer

„Als Insolvenzverwalter ist man der Buh-Mann, obwohl ja eigentlich andere den Karren in den Dreck gefahren haben“, sagt Gottschalk. „Dabei ist der Insolvenzverwalter ja erst einmal nichts anderes als ein Sanierer. Das Problem ist aber, dass auch Arbeitsplätze dabei auf der Strecke bleiben können, weil das insolvente Unternehmen ja effektiver werden muss. Ich kann dann schon verstehen, dass ich mit unpopulären Maßnahmen nicht beliebt mache. An irgendwem müssen die betroffenen Leute ja auch ihren Frust auslassen.“ Das Thema Insolvenz sei natürlich immer emotional. „Manchmal ist es ziemlich schlimm. Jedes Unternehmen ist unterschiedlich, aber vor allem kleine Betriebe sind in der Regel nicht zu retten. Das zieht auch andere Konsequenzen nach sich und es gehen häufig Ehen in die Brüche.“

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„Ich erinnere mich noch genau an einen Fall, der ziemlich groß war und auch durch die Medien gegangen ist“, sagt Manfred Gottschalk. „Ein Automobilzulieferer aus Witten hatte 2009 Insolvenz angemeldet, beziehungsweise kam der Antrag vom Betriebsrat.“ Zuvor hatten Mitarbeitende ihre Arbeit niedergelegt und protestiert. Hintergrund waren ausstehende Lohnzahlungen und die Tatsache, dass die Stadtwerke der Firma am Donnerstag den Strom gekappt hatten. „Ich habe damals den Anruf der Insolvenzrichterin bekommen, die mir gesagt hat: ‚Fahr da mal hin.‘“ Als Gottschalk sich vor Ort einen Überblick verschafft, ist dieser ernüchternd: „Die Konten waren leer oder gesperrt, das Stahllager war komplett leer und die Stadtwerke hatten alles abgestellt. Maschinen, die weiterlaufen mussten, wurden mit Notstrom betrieben“, erinnert sich der ehemalige Insolvenzverwalter. „Das war schon eine anspruchsvolle Aufgabe. Damals haben wir über ein halbes Jahr lang an sieben Tagen die Woche in drei Schichten gearbeitet, um den Betrieb zu retten. Daran sieht man auch: Das Ganze ist ein rund um die Uhr Job. Wenn ein Verfahren läuft, kann man nicht nur einen Acht-Stunden-Tag machen.“

Schnelle Schwachstellenanalyse

Etwa 340 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien damals betroffen gewesen, sagt Manfred Gottschalk. „Aus der Belegschaft mussten wir aber auch leider einige Leute entlassen“, sagt Gottschalk. „Das waren 40 in Witten und über 100 in Bochum, wo wir den Betrieb komplett schließen mussten.“ Außerdem musste ein externer Geschäftsführer eingesetzt werden – „alle internen waren ja verschwunden“, erinnert sich Manfred Gottschalk. „Als Insolvenzverwalter bin ich auch ein Gutachter“, erklärt Manfred Gottschalk. „Ich schaue, was sind eventuell die Schwachstellen und wo gibt es Fehler. Diese Schwachstellenanalyse muss allerdings schnell gehen und dann kann man einen Insolvenzplan erstellen. Dann geht es an die Investorensuche. Häufig melden sich dann auch direkt Interessenten oder die Konkurrenz.“ Der Automobilzulieferer aus Witten konnte beispielsweise erst durch die Übernahme eines Unternehmens aus Solingen gerettet werden. Doch die Nachfolgegesellschaft musste ein paar Jahre später Insolvenz anmelden.

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Aber auch Privatleute tappten schnell in die Schuldenfalle. „Pro Jahr haben wir etwa 1000 Privatinsolvenzen bearbeitet“, sagt Gottschalk. „Bei der ganzen Bürokratie braucht man aber auch schon beim Antrag Hilfe.“ Die meisten Menschen hätten einfach den Überblick über ihre Finanzen verloren. „Wichtig ist, dass man dann nicht den Kopf in den Sand steckt“, erklärt der frühere Anwalt. Auch in der heutigen Zeit sehe er erhebliche Gefahren, gerade für junge Menschen. „Die Verlockungen im Digitalen, die Angebote und so weiter sind ja immer da.“ Prävention und Aufklärung seien hier seiner Meinung nach sehr wichtig.

Über die Serie

In der Serie „Der Moment meines Lebens“ werden die persönlichen Geschichten unterschiedlicher Menschen und ihrer Berufe vorgestellt. Sie erzählen, welcher Moment ihr (Berufs-)Leben nachhaltig beeinflusst oder verändert hat.