Herdecke. Erst die Häuser abschreiten, dann zeichnen und im Maßstab 1:100 modellieren: Martin Fischer hat „seine“ Stadt Herdecke mit Pappe in Szene gesetzt

Mit Corona verbinden viele Leid und Einschränkungen. Denkt Martin Fischer an die Pandemie, drehen sich seine Erinnerungen auch um Bastelarbeiten. „Wir sollten ja vor allem zuhause bleiben und hatten dadurch mehr Zeit für verschiedene Dinge“, sagt der 66-Jährige und blickt auf ein kleines Fachwerkhaus. Diese Bauart prägt seine Geburts- und Heimatstadt Herdecke, mit seiner Frau geht er hier gerne spazieren. Während dieser Streifzüge ist dann immer mehr der Gedanke herangereift, das schöne Städtchen im Miniaturformat nachzubauen.

„Jetzt oder nie!“ Diese Worte, so berichtet es Martin Fischer rückblickend, kamen ihm zu Beginn der Corona-Einschränkungen in den Sinn. Im Kopf hatte er die Idee, das markante und stadtälteste Gebäude in Herdeckes Hauptstraße 1 nachzubauen. „Den Kornspeicher wollte ich gewissermaßen zuhause haben“, so der Pensionär, der beruflich viele Jahre für die Telekom aktiv war. Bastelarbeiten gehören nicht unbedingt zu seinen Hobbys (Sporttauchen in Volmarstein, Radfahren, Wandern, Prellball beim TuS Ende, Flüchtlingshilfe beim VCS Herdecke). „Ich kann nicht malen, aber zeichnen“, so der 66-Jährige.

Und so entstand im Frühjahr 2020 das Fachwerkhaus Hauptstraße 1 aus Pappe – im Maßstab 1:100. „Es hat nicht auf Anhieb geklappt, manchmal fehlte auch die Lust und das Interesse. Ich musste mich da rantasten und weiß nicht mehr, wie lange ich dafür gebraucht habe. Im Vorfeld habe ich das Gebäude abgeschritten und dabei Fotos sowie Skizzen angefertigt.“ Die Materialfrage erforderte ebenfalls Überlegungen, schließlich hatten auch Modellbau-Geschäfte während des Lockdowns geschlossen. „Ich habe daher auch meine Eisenbahnspielzeug-Kartons geplündert.“

Einheimische erkennen Fachwerkhaus sofort

Dann aber ist der kleine Kornspeicher fertig. Zufrieden sei er mit dem Pappmodell gewesen, sagt Martin Fischer. „Für die Vitrine reicht’s.“ Zusätzliche Bestätigung: Wenn Familienangehörige oder Herdecker Freunde das abgekupferte Fachwerkhaus sehen, erkennen sie das Gebäude Hauptstraße 1. „Das habe ich auch als Lob aufgefasst. Und ich hatte Blut geleckt.“

Nach der Premiere sollte es Schlag auf Schlag weiter gehen. Als er weitere Gebäude seiner Heimat im Miniaturformat nachbauen will, wagt sich Fischer auch an größere Projekte heran. Für zwei Bauwerke bekommt er sogar Vorlagen. „Für das Rathaus habe ich bei der Stadtverwaltung nach Zeichnungen gefragt und diese bekommen, das klappte auch hinsichtlich der Dorfkirche in Ende“, berichtet der 66-Jährige. „Die Stiftskirche wiederum ist zu hoch und zu groß, sie passt nicht in meine Vitrine…“

Fast ein Dutzend Modelle

Fast ein Dutzend Herdecker Motive entstehen in der Corona-Zeit. Ausnahmsweise im Maßstab 1:160, die große Mehrzahl im Format 1:100. „Das lässt sich am einfachsten rechnen. Und mein Schrittmaß passt dazu auch ganz gut.“ Nach weiteren Spaziergängen mit seiner Frau gestaltet er unter anderem noch Haus Pfingsten, das frühere Minihotel, den Kötterhof, das Fachwerkhaus Hauptstraße 3 oder das historische Gebäude Mühlenstraße 8 nach. Wichtiges Kriterium bei der Auswahl: „Die müssen ebenerdig stehen und nicht am Hang liegen.“

Das Rathaus beispielsweise habe sich als Herausforderung entpuppt. „Die Farbe für den grünen Zwiebelturm, ein oxidiertes Kupfer, gibt es nicht zu kaufen. Das musste ich selbst mischen.“ Fischer achtet auch auf Details. Dabei fällt ihm auf: „An manchen Fachwerkhäusern befinden sich grüne Schlagläden, an anderen nicht.“ Der Pensionär modelliert auch den Sackträgerbrunnen, bringt Blumen an Balkons an, platziert Minimenschen aus seinen Eisenbahn-Kisten an den Gebäuden. Auch eine klitzekleine Eiche, Herdeckes Symbolbaum, darf nicht fehlen. Sein Material findet er im Lauf der Zeit dann in Geschäften, im Internet bestellt er nichts.

Heimatpunkt als Ausstellungsort

Als Martin Fischer („Eigentlich habe ich die Gebäude nur für mich gebaut“) eines Tages mit einem Vereinskollegen beim TuS Ende über seine Papp-Projekte plaudert, bringt dieser den Heimatpunkt als Ausstellungsort ins Spiel. Diesen organisiert Christian Münch. Als der Vorsitzende des Herdecker Heimat- und Verkehrsvereins erste Fotos von den Miniaturmodellen sieht, glänzen seine Augen. „Das ist ein besonderer Teil Stadtgeschichte.“ Die Beiden einigen sich, dass die Gebäude für vorerst unbegrenzte Zeit leihweise im Schaufenster an der Hauptstraße 58 stehen. „Seither gibt es viele Nachfragen, um was es sich da handelt. Auch von neugierigen Kindern oder Leuten mit Kaufinteresse.“ Das blockt der Erbauer sofort ab: „Die bleiben in meinem Besitz und sind unverkäuflich.“

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Zwei Enkel halten den 66-Jährigen mittlerweile auf Trab, sein spät entdecktes Modellbau-Hobby muss hintanstehen. „Aktuell habe ich keine Zeit dafür, es gibt auch nur noch ein paar neue Ideen. Den Stiftsplatz würde ich gerne noch angehen, mal abwarten.“ Abschließende Frage: Wer solch eine Fummelarbeit mag, ist der nicht ein bisschen verrückt? „Wenn schon positiv verrückt“, sagt Martin Fischer und lächelt.