Herdecke. Es sind traurige Zeiten für die Mitglieder des Modelleisenbahnclubs Herdecke: Sie bauen notgedrungen ab, was sie in Jahrzehnten aufgebaut haben.

Hämmern und Sägen und Bohren waren im Laufe der Jahrzehnte aus dem alten Stellwerkshäuschen in Herdecke immer mal wieder zu hören. Aber jetzt kommt nicht hier eine Weiche und da ein Häuschen dazu: Bis Ende September müssen beide Etagen besenrein geräumt sein. Und so brechen die Mitglieder des Modell-Eisenbahn-Clubs in wenigen Wochen ab, was sie in Jahren geschaffen haben. Und können es kaum glauben.

Die Bahnhofsuhr an einer Seitenwand ist bei 21.47 Uhr angehalten worden. Da hatte die allerletzte Lok zum allerletzten Mal eine Runde gedreht in der Miniaturwelt, die auf 11,85 mal 3,75 Meter im ersten Stock aufgebaut war. Die genauen Maße kommen bei Bernd Zander wie aus der Pistole geschossen. Kein Wunder. Er ist der erste Vorsitzende des Modelleisenbahnclubs und Autor einer immerhin 24-seitigen Abhandlung über die in ihrer Art ziemlich einmalige Anlage.

Wie nach einer Naturkatastrophe

Den Hagener Hauptbahnhof gab es hier im Maßstab 1:87, wie er für H0-Anlagen typisch ist. In Hagen und der näheren Umgebung stehen auch die meisten Originale für das Miniatur-Stellwerk und das Bahnbetriebswerk. Sogar die Zeche Zollverein, im Maßstab 1 zu 1 in Dortmund zu bewundern, war für die kleine Welt im Herdecker Stellwerk eingemeindet worden. Ralph Hoffmann hat schnell noch mal auf den Auslöser seines Handys gedrückt, bevor nach der letzten Runde die ersten Abbrucharbeiten begonnen haben.

Bernd Zander steht draußen unter einem Vordach und knickt Schienen zusammen als wären es Billigstbügel aus der Reinigung. An der Wand zum Hang hin, direkt am offenen Schiefer, sind Landschaften aufgestapelt. Eine Straße schlängelt sich durchs aufgeklebte Grün, die Fahrbahn abgerissen, als hätte ein mächtiges Unwetter den Asphalt fortgespült. Dabei sind es nur Hammer und Säge gewesen, die auch jetzt drinnen kräftig geschwungen und bewegt werden.

Unter der Kopflupe

Siegfried Stiebitz lässt eine Mini-Trennscheibe kreisen. 20 Anschlüsse hatte die Drehscheibe vor einem Lokschuppen. Ein Großteil der Gleise ist schon von der Platte gerissen. Die Kopflupe vor den Augen, macht Stiebitz notgedrungen 40 Jahre Arbeit zunichte. So lange ist er auch fast schon dabei. 16 Mitglieder zählt der Modell-Eisenbahn-Club aktuell. Fast alle waren dabei, als die Wanduhr am 5. Juli nicht mehr weiter ticken durfte.

Da ist der materielle Schaden. „Allein 250 Euro gehen hier mit der Fahrleitung flöten“, sagt Bernd Zander und zeigt auf ein etwa zwei Meter breites Stück Verschiebebahnhof. Auf dem Besprechungstisch unten steht eine ganze Häuserzeile, in Schuhkartons daneben stapeln sich Platinen und Kabel. Nur das Rollmaterial ist leicht zu retten: Lokomotiven und Wagen fahren theoretisch auch auf anderen Bahnen. Aktuell aber werden sie eingemottet. Viele Vereinsmitglieder haben sie immer wieder von zuhause mitgebracht zu den Treffen. Sieben Lokomotivführer konnten gleichzeitig und unabhängig auf der Anlage fahren - auch das: Vergangenheit.

Weihnachten war’s

Ein letztes Handyfoto von der Anlage vor dem Abbau.
Ein letztes Handyfoto von der Anlage vor dem Abbau. © Ralph Hoffmann

Es war aber auch ein großes Vergnügen, das da einmal in der Woche von Männern - und oft auch von deren Frauen oder Gästen - geteilt wurde. Die Welt in klein, sie begleitet Bernd Zander fast so lange, wie er selbst schon auf der großen Welt ist. Am 24. Dezember 1958 habe ihn das Modelleisenbahnfieber gepackt, blickt er zurück. Drei Jahre war er damals alt. Und unter dem Weihnachtsbaum lag eine Märklin-Eisenbahn. Schon die Eltern hatten Spaß daran. „Das war damals was für die ganze Familie“, sagt Zander über Häuser bauen oder Schienen kleben, „es gab so gut wie nichts Fertiges.“

Noch ist die Anlage in ihren Grundzügen zu erkennen. Aber schon jetzt würde es über drei Jahre bauen, alles wieder so aufzubauen, wie es bis zur Kündigung durch den Vermieter eingerichtet war. Der war selbst einmal Mitglied des Modelleisenbahnclubs. Schmutzige Wäsche waschen will Bernd Zander nicht. Ziel ist erst einmal der fristgerechte Abbau. Dann soll es weitergehen. Wie und wo? Das ist noch offen. So ein besonderes Plätzchen wie das ehemalige Stellwerk zwischen Zeche Zollverein und Hagener Hauptbahnhof werden sie kaum finden.