Herdecke. Die Technischen Betriebe bleiben nun doch bei der Stadt Herdecke. Der Rat entschied in geheimer Abstimmung gegen die geplante Teilprivatisierung.
Manche sprechen von einem Paukenschlag, andere hatten bereits vor der Ratssitzung wegen der jüngsten Entwicklungen eine gewisse Vorahnung. Nach monatelangem Streit und vielen Wendungen hat das höchste Gremium der Stadt eine Kehrtwende hingelegt: Die Technischen Betriebe Herdecke (TBH) gehen doch nicht in einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft auf, sondern verbleiben in kommunaler Trägerschaft.
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Erneut verfolgten zahlreiche Mitarbeitende der TBH im Ratssaal, wie die zwei politischen Lager zum wiederholten Mal mit dieser spannenden Sachfrage umgingen. Den Anlass lieferte in dem Fall das auf den Weg gebrachte Bürgerbegehren. Für eine Abstimmung über die Zukunft der Technischen Betriebe hatte die Stadtverwaltung den 27. August 2023 vorgeschlagen. Doch die rund 20.000 wahlberechtigten Herdeckerinnen und Herdecker können nach dem nur oberflächlich überraschenden Votum der Ratsmitglieder in dieser Woche diesen Termin direkt wieder vergessen.
18 Ja- und 17 Nein-Stimmen
Nach dem Austausch von weitgehend bekannten Argumenten erfolgte angesichts eines erfolgreichen Antrags der SPD eine geheime Abstimmung. Und zwar zu jener Frage, die beinahe auch die Bürgerschaft in diesem Sommer hätte beantworten müssen: „Sind Sie dafür, dass keine Ausschreibung zur Teilprivatisierung der Technischen Betriebe Herdecke erstellt und durchgeführt wird, sondern diese zu 100 Prozent bei der Stadt Herdecke verbleiben?“ Das knappe Ergebnis: 18 Ja- und 17 Nein-Stimmen, zwei Enthaltungen. Nach der Verkündung gab es Applaus sowie Jubelrufe aus den Reihen der Sozialdemokraten, Linken und von Die Partei, deren Vertreter Nico Fischer die Protestbewegung angeführt hatte.
Verfahrensfragen
In der Ratssitzung gab es mehrere Tagesordnungspunkte zur TBH-Zukunft, im Wesentlichen zur Rechtmäßigkeit des erfolgten Bürgerbegehrens sowie zum geplanten Bürgerentscheid.
Hintergrund: Die Fragestellung für Bürger muss im Vorfeld auch an den Rat gehen, daher bekamen die Fraktionen dies im gleichen Wortlaut vorgelegt. Die Verwaltung hatte das Bürgerbegehren für zulässig erklärt. Ein Bürgerentscheid wird aufgrund der veränderten Mehrheit nun nicht mehr nötig.
Mit dieser Entscheidung hat der Herdecker Rat seinen eigenen Beschluss aus Dezember 2022 einkassiert, als in einer nicht-öffentlichen Sitzung eine Mehrheit für die Gründung einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft stimmte. Danach stellte sich heraus, dass die Koalition aus CDU, Grüne und FDP die TBH-Teilprivatisierung oder zumindest eine tief gehende Prüfung dieses Modells (51 Prozent Anteil der Stadt, etwas weniger als die Hälfte für eine zu findende Firma) befürwortete. Doch schon Anfang März zeigte sich bei einer weiteren Abstimmung der Fraktionen, dass diese politische Ratsmehrheit auf wackeligen Füßen stand. Bei einer Enthaltung gab es mit 17 zu 17 Stimmen eine Pattsituation im Zusammenhang mit dem initiierten Bürgerbegehren zur Zukunft der Technischen Betriebe.
Koalition wohl nicht geschlossen
In der jüngsten Ratssitzung verkündete Irmingard Schewe-Gerigk von den Grünen, dass sie ihre Meinung geändert habe. Vor einigen Monaten hatte sie sich für eine gemischtwirtschaftliche Gesellschaft ausgesprochen. Doch mittlerweile seien die Gegenargumente und Risiken überzeugender als die Chancen. Andere Städte arbeiten an der Rekommunalisierung von ausgegliederten Einrichtungen. „Und Herdecke geht den umgekehrten Weg? Das versteht doch kein Mensch“, sagte die Ratsfrau und verwies wie viele andere Redner auf die Stimmung in der Bürgerschaft.
SPD, Die Partei und Linke hatten beim Bürgerbegehren gegen die TBH-Teilprivatisierung 2865 gültige Unterschriften sowie weitere Listen mit Unterzeichnern gesammelt und bei der Stadt eingereicht. „Wir mussten niemanden dazu zwingen, im Gegenteil: Die Leute kamen in den drei Wochen auf uns zu und wollten unterschreiben“, sagte Nico Fischer und warf der Koalition vor, sie wolle etwas mit der Brechstange durchbringen, wodurch aber Vertrauen in die Politik verloren ginge. Auch Schewe-Gerigk nannte fast 3000 Bekundungen aus der Bürgerschaft ein „starkes Statement“, daher sollte von einem „starken Rat“ jetzt eine klare Botschaft mit dem Tenor „Wir haben verstanden“ ausgehen.
Austausch von Argumenten
Andreas Disselnkötter als Fraktionsvorsitzender der Grünen hätte wiederum ein Bürgerbegehren als demokratische Abstimmungsmöglichkeit befürwortet. Doris Voeste von der CDU führte aus, dass wegen des schlechten Zustands der TBH-Gebäude der Einstieg eines Investors und dessen Geld angesichts der Sanierung in Millionenhöhe sinnvoll sei. Für die SPD erwiderten Klaus Klostermann, Sylke Gröne und Ulrich Schwellenberg ebenso wie Dieter Kempka (Die Linke), dass viele Argumente und nachzulesende Studien gegen eine Ausgliederung der Technischen Betriebe sprechen. Aufsehen erregte der Beitrag von Enric Tange. Der FDP-Ratsherr betonte, dass es in seinem Umfeld viele Befürworter einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft gebe und dieses Modell auch im Sinne der Bürger wäre. Als gelungenes Beispiel nannte er die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn, wofür er laut Widerspruch erhielt.
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Durch den nun erfolgten Ratsbeschluss ist auch klar, dass die Stadtverwaltung (die hatte bei ihrer Abwägung zur Teilprivatisierung höhere Risiken als Vorteile genannt) den Ausschreibungsprozess stoppt. Mindestens 267.000 Euro hätte die gesamte Beratung gekostet, einen Großteil davon – ca. 131.000 Euro – haben die beauftragten Fachanwälte bereits bis zum Frühjahr erhalten.