Herdecke. Das Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk in Herdecke steht wegen der Energiekrise im Fokus. Mark-E sieht viele Risiken für den weiteren Betrieb.

Ukraine-Russland-Krieg, deutsche Energie-Krise, kontroverse Debatte zur Versorgung: Die weltweit turbulenten Zeiten sorgen auch bei hiesigen Unternehmen für viele Denkprozesse. Logischerweise stehen derzeit Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerke (GuD) besonders im Fokus. Ein solches betreibt Mark-E gemeinsam mit dem norwegischen Partner Statkraft seit 2007 in Herdecke.

Einige Jahre nach dem Tiefpunkt in der wechselhaften Geschichte – die Anlage am Harkortsee meldeten die Verantwortlichen 2013 mangels Vermarktung zur Stilllegung an – sagte Konzernchef Erik Höhne nun im April 2022, dass er an dieser Technologie trotz der Unwägbarkeiten auf dem Gasmarkt vorerst festhalte. In der jüngeren Vergangenheit hatte Enervie (die Mark-E ist ein Tochterunternehmen dieses Hagener Energie-Versorgers) eine wieder verstärkte Nachfrage für das Werk in Herdecke gemeldet. 2700 Betriebsstunden sorgten 2021 für Zufriedenheit, auch wenn diese Zahl in den Vorjahren noch höher lagen. Wie aber sieht es aktuell aus? Die Redaktion hat der Enervie fünf Fragen zur Gegenwart und auch zur Zukunft gestellt. Hier die teils überraschenden Antworten.

Ist die Anlage in Herdecke aufgrund der Marktsituation mit stark gestiegenen Gaspreisen noch wirtschaftlich zu betreiben?

Ja, das Erdgas wurde bereits vor längerer Zeit zum festen Preis eingekauft, und die damit erzeugten Strommengen sind verkauft. Allerdings beobachten wir mit großer Sorge, dass der Gesetzgeber einseitige Preisanpassungsrechte/Umlagen für Gaslieferungen ermöglicht hat, die für die verkaufte Produktion unseres Gaskraftwerkes ein erhebliches finanzielle Risiko bedeuten.

Wird das Kraftwerk aktuell noch betrieben? Und wenn ja, ist es „gut im Markt“?

Die Anlage wird betrieben und ist trotz historisch hoher Gaspreise – bedingt durch ebenfalls historisch hohe Strompreise – „gut im Markt“. Das zeigt, dass die GuD-Anlage in Herdecke für die Stromversorgung gebraucht wird. Allerdings steigen mit der neu geschaffenen einseitigen Preisweitergabemöglichkeit/Umlage für Gas auch die finanziellen Risiken im Fall einer Gasmangellage deutlich.

Was bedeutet das neue Energie-Sicherungsgesetz, in dem ja die Möglichkeit einer befristeten Stilllegung von Gaskraftwerken festgelegt wurde, für das GuD am Harkortsee aus technischer und auch aus wirtschaftlicher Sicht?

Das Energie-Sicherungsgesetz schafft unter anderem die Möglichkeiten, dass Gasversorgungsunternehmen ihre Mehrkosten für Ersatzbeschaffungen aufgrund ausfallender Gaslieferungen aus Russland an die Abnehmer weiterreichen können. Das Ersatzkraftwerke-Bereithaltungsgesetz ermöglicht ein Verbot des Betriebs von Gaskraftwerken. Wir haben lange vor Beginn der Gaskrise die Produktion unseres Kraftwerkes durch den Kauf von Erdgas und Verkauf von Strom zu jeweils festen Preisen abgesichert.

Preise für Fernwärme kürzlich erhöht

Die „zufriedenstellende Einsatzbilanz des Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerks“ (GuD) in Herdecke leistete 2021 einen wesentlichen Anteil für ein gutes Geschäftsjahr, so Enervie im April.

Mark-E versorgt in Herdecke zudem verschiedene Gebiete mit Fernwärme. Das erfolgt über gasbefeuerte Blockheizkraftwerken und Heißwasserkessel. Fernwärme-Kunden zahlen nun seit dem 1. Juli geringfügig mehr (rund 1,29 Euro oder 19 Prozent pro Jahr, der Arbeitspreis stieg um 2,84 Cent pro Kilowattstunde). Begründung: der massive Anstieg der Energiemarktpreise und hohe Erdgasbeschaffungskosten seit Sommer 2021.

Wenn nun der vertraglich vereinbarte Preis für die Erdgaslieferung per Gesetz aufgehoben wird, wir aber an die Stromlieferung zum vereinbarten Preis gebunden bleiben, ist das ein hohes Risiko für uns. Bei allem Verständnis für die Absicht, einen Zusammenbruch der Gasversorgungsunternehmen zu vermeiden, ist das Weiterreichen des Risikos an die Betreiber von Gaskraftwerken keine sinnvolle Lösung. Wenn es zu einem länger andauernden Verbot der Gasverstromung kommt, können wir die Anlage technisch konservieren. Das Gesetz sieht für den Ausfall sinnvollerweise eine Entschädigung vor. Der wirtschaftliche Schaden hängt dann natürlich von der noch auszugestaltenden Höhe der Entschädigung ab.

Wie ist unsere Prognose hinsichtlich der weiteren Gasbeschaffung/Marktsituation?

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir in der aktuellen, äußerst angespannten Marktsituation, die historisch einmalig ist, keine seriöse Prognose zur weiteren konkreten Preisentwicklung abgeben können. Allerdings können wir folgende Beobachtungen mit Ihnen teilen: Seit dem Ausbruch des Ukraine-Konflikts hat sich die Liquidität des Gas-Großhandelsmarktes stetig verschlechtert. Diese Situation hat sich seit Mitte Juni noch weiter verschlechtert, weil Gazprom die Lieferungen über die Pipeline NordStream 1 um ca. 40 Prozent gedrosselt hat.

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Zudem trägt die aktuell stattfindende Revision der Pipeline (und der dazugehörige Lieferstopp) zu weiterer Unsicherheit bei. Das führt in der Regel zu weiteren Preissprüngen. Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, dass das hohe Preisniveau bei der Erdgasbeschaffung bleiben wird.

Herr Höhne hat auf der Bilanz-Pressekonferenz kürzlich im April unter anderem die Aussage getätigt, dass der 417-Megawatt-Block H6 des GuD in Herdecke mittelfristig auch mit Wasserstoff betrieben werden kann. Ist diese Alternative aufgrund der aktuellen Situation weiterhin technisch möglich, eventuell akut oder sogar wahrscheinlich?

Eine Umstellung des H6 auf den Betrieb mit Wasserstoff kann nur auf längere Sicht in Frage kommen, weil die benötigten Wasserstoffmengen aktuell und in den nächsten Jahren noch nicht zur Verfügung stehen. Für die aktuelle Gasmangellage kann die Umstellung auf Wasserstoff leider keine Alternative darstellen.