Herdecke/Ennepe-Ruhr. Der Ennepe-Ruhr-Kreis lädt in Herdecke Fachleute zu einer Gewässerkonferenz ein, um nach den Überschwemmungen im Juli richtige Lehren zu ziehen.
Die Antwort auf den Titel der großen Gewässerkonferenz gab Landrat Olaf Schade frühzeitig: Unter der Fragestellung „Nach uns die Sintflut?“ hatte der Ennepe-Ruhr-Kreis zahlreiche Experten zu einem ganztägigen Austausch in den Zweibrücker Hof nach Herdecke eingeladen. Schade und die Kreisverwaltung wollten Lehren aus dem Hochwasser vom 14. und 15. Juli 2021 ziehen. „Wir wollen uns für künftige Ereignisse dieser Art besser wappnen“, sagte der Landrat bei seiner Begrüßung.
Auch wenn es bekanntlich beinahe sintflutartig an jenem Mittwoch regnete, so sei Gleichgültigkeit (wie es die titelgebende Redewendung andeutet) fehl am Platze. „Dieses Unwetter hatte eine besondere Qualität und bot einige böse Überraschungen“, meinte Schade. „Wir haben schon einiges aufgearbeitet, müssen uns aber fragen, wie wir die Menschen besser erreichen können. Durch den Klimawandel müssen wir mit solchen Situationen nicht alle 100 Jahre, sondern in viel kürzeren Abständen rechnen.“
Mit der Gewässerkonferenz wollte der Kreis sowohl Fachleute für Hochwasser als auch Experten zur Gefahrenabwehr zusammenführen. Eine kleine Ausstellung im Foyer des Ringhotels, Fahrzeuge des EN-Katastrophenschutzes sowie zahlreiche Fotos von der Flut in diesem Sommer untermauerten dieses Vorhaben. Wobei der Landrat nochmals auf den glücklichen Umstand hinwies, dass in den hiesigen neun Städten Mitte Juli keine Personen zu Schaden kamen. Vor allem aber kleineren Flüsse und Bäche richteten Unheil an. „Die hatte trotz der verschiedenen Warnungen des Wetterdienstes oder über die Nina-App aber niemand so richtig auf dem Schirm“, meinte der Landrat.
Herdeckes Bürgermeisterin Katja Straus-Köster alterte nach eigenen Angaben um fünf Jahre in jener Nacht. Dafür sorgten (falsche) Horrormeldungen. Etwa, dass ein Mädchen in der Ruhr treibe. Als richtig habe sich im Übrigen erwiesen, das Quartier Ruhraue auf der Datenbasis eines 200-jährigen Hochwassers zu planen und zu gestalten, dort gebe es genügend Auslaufflächen.
Besonders in Erinnerung blieb ihr die Sorge, dass am 15. Juli an der Ruhr in Wickede ein Wehr zu brechen drohte und die Herdecker Verwaltung konkret über eine Evakuierung der Stadt nachdachte. „Wir fühlten uns alleine gelassen, das war sehr belastend. Es fehlte uns an Ansprechpartnern und an Kommunikation mit Fachleuten, wie wir die Gefahrenlage einschätzen sollten“, sagte Strauss-Köster nun im Ruhrfestsaal und leitete damit zum Anlass der Gewässerkonferenz über.
Modellprojekt Elbsche ausweiten
Den Ball nahm Wolfgang Flender auf. Der Leiter der Abteilung Umwelt beim Kreis erinnerte daran, dass es schon 2006 und 2013 Überschwemmungen in Ennepetal, Herdecke oder Wengern und es 2017 eine EN-Konferenz zum Thema Klimawandel gegeben habe. Bilder von 2021 auch aus Gevelsberg verdeutlichten nun, „dass wir einen Paradigmenwechsel brauchen. Es handelt sich nicht mehr um seltene Ereignisse.“ Dabei helfen auch Hochwassergefahrenkarten, die seit 2013 existieren und sich nun etwa an der Heilenbecker Talsperre bestätigten.
Als wichtiges und auszuweitendes Projekt für den gesamten Kreis stellte Flender ein mit der Stadt Wetter entwickeltes Messnetz an der Elbsche und Schmalenbecke vor. Auch dank Fördergeld vom Land NRW konnten der Kreis und die Kommune an den beiden Bächen vier Pegel installieren. Nachdem ein Vertreter der Unteren Wasserbehörde und von der Hochschule Bochum technische Abläufe erläutert hatten, brachte der Umwelt-Abteilungsleiter den Sinn auf den Punkt: „Wenn wir Daten aus dem Oberlauf der Elbsche bekommen und wissen, dass die Welle zwei Stunden später den Unterlauf erreicht, können wir diese Zeit zur Warnung nutzen und die Feuerwehr sowie andere informieren“, erklärte Flender, der dieses Modell auf alle relevanten Gebiete der EN-Städte übertragen möchte.
Blick auf die Teilnehmer
An der Konferenz nahmen auch alle Stadtverwaltungen der neun EN-Städte teil, sechs Bürgermeister waren vor Ort.Vorträge kamen von Vertretern der Hochschule Bochum, Bezirksregierung Arnsberg, Kommunal Agentur NRW, Emschergenossenschaft/Lippeverband, des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz, des Ruhr- und Wupperverbands, von verschiedenen Feuerwehren und von der Aquaburg Hochwasserschutz GmbH. Es moderierten Marc und Jan Schulte vom WDR, die beide aus dem EN-Kreis kommen.
Zudem forderte er von den Bürgermeistern und der Politik, in den Städten mehr Auslaufzonen einzurichten. Spielplätze oder Parks seien wichtige Versickerungsflächen, damit möglichst wenig Wasser talwärts fließe. „Wir müssen den Gewässern mehr Raum geben und zudem schon im Oberlauf von Bächen viel Wasser zurückhalten.“ Sinnvoll sei etwa die Planung in Gevelsberg, wo an der Stefansbecke drei Regenrückhaltebecken entstehen sollen. Oder auch eine Starkregengefahrenkarte, die bald fertig sei. Flender: „Wir haben hier grundsätzlich eine spannende und sportliche Aufgabe vor uns, die der Kreis und die Städte gemeinsam bewältigen müssen.“
In der Folgezeit verteilten sich die Teilnehmer der Konferenz auf die Foren Gefahrenabwehr (hier erläuterte etwa Kreisbrandmeister Rolf-Erich Rehm seine Ansichten zum Katastrophenschutzplan) und die Sektion Hochwasser. Deutlich wurde: Das Zusammenspiel ist mitunter ein schwieriges Unterfangen, stellen sich doch Fragen wie: Wann wird gewarnt? Wann geht man auf Nummer sicher, wann macht man unnötig die Welt verrückt?
Bürger nun miteinbeziehen
Am Nachmittag trafen die beiden Gruppen im Ruhrfestsaal wieder aufeinander und vernahmen dann auch, dass Dr. Fritz Jaeckel als NRW-Landesbeauftragter für den Wiederaufbau in den Flutgebieten von rund acht Jahren zur Abarbeitung der Katastrophe von Juli 2021 ausgeht.
Christian Kappenhagen, Fachbereichsleiter Gebäudemanagement, Vermessung und Kataster der EN-Kreisverwaltung, bilanzierte nach zahlreichen Vorträgen: „Wir haben ein Umsetzungs-, kein Erkenntnisproblem.“ Denn all das Fachwissen dieser Konferenz muss schlussendlich beim Bürger landen.