Volmarstein. . Nach dem Neubau der Talbrücke Volmarstein sollen ab 2020 sechs Spuren auf der A1 zur Verfügung stehen. Der Bereich ist ein Stau-Schwerpunkt.
Fünf Buchstaben reichen in diesen Tagen, um die Notwendigkeit von Brückensanierungen zu verdeutlichen: Genua. Die Tragödie in der italienischen Stadt dürfte den Ärger und die Staumeldungen relativieren, die seit Monaten täglich mehrfach im Zusammenhang mit der Baustelle auf der A1 bei Volmarstein auftauchen.
Bürger und Firmen hatten sich beschwert, da die Planer an dieser Anschlussstelle im Januar die Autobahn-Auffahrt in Richtung Bremen sperrten und seither Umleitungen über Gevelsberg oder gar Wuppertal (für Lkw) nötig sind. Wie geht es denn bei den Arbeiten an der Talbrücke voran? Das erfuhr die Redaktion bei einem Baustellen-Besuch.
A1: Sechs Spuren wohl ab Anfang 2020 befahrbar
Die Projekt-Verantwortlichen bereiten derzeit plangemäß immer noch den Ersatzneubau vor, dabei laufen die Arbeiten seit knapp neun Monaten. Regelmäßig kommen die Planer im provisorisch errichteten Containerdorf zusammen, um über weitere Optimierungen zu beraten.
Mit einer erfreulichen Nachricht, die nun noch weiterer Abstimmungen mit den zuständigen Behörden und Sicherheits-Vertretern bedarf (die Gespräche laufen): Aus technischer Sicht können ab Anfang 2020 und damit ein knappes Jahr vor dem Ende der Gesamtbauzeit bis zu sechs Fahrspuren zur Verfügung stehen. Auch die seit Januar gesperrte Auffahrt in Richtung Bremen wollen die Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (Deges) sowie weitere Beteiligte vor dem Abschluss der Arbeiten freigeben.
Deges-Projektleiterin Ines Nordhaus: „Das bedeutet viel Aufwand, da der gesamte Verkehr über eine Brückenhälfte führen würde und wir Platzfragen berechnen mussten.“ Auch Statiker gaben das Okay. Die Kosten? „Die entstehen bei dem Projekt überwiegend im Management, zusätzliche Investitionskosten sind in Bezug auf den verkehrswirtschaftlichen Nutzen mit dieser Bedeutung für die Region sinnvoll.“
A1 bei Volmarstein ist Stau-Schwerpunkt
Nordhaus ergänzt, dass solch ein komplexes Projekt oft Anpassungen erfordere und Flexibilität bei den Beteiligten gefragt sei. Sie beklagt sich nicht über Veränderungen und Konzepte, die zum Teil im Papierkorb landen. „Hier gerät oft etwas in Bewegung, manches lässt sich auch optimieren“, so die Projektleiterin und denkt an die aktuelle Situation mit drei Spuren in Richtung Köln, die kurzfristig für die Sommerferien frei gegeben wurden.
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Längst ist Volmarstein landesweit bekannt, taucht doch diese A1-Anschlussstelle seit Monaten regelmäßig in den Verkehrsnachrichten auf. Dabei bemühen sich die Baustellen-Verantwortlichen nach eigenen Angaben, die Auswirkungen für Pkw und Lkw so gering wie möglich zuhalten. „Wir haben für jede Bauphase auch ein Konzept zur Verkehrsführung erstellt. Das Ziel aller Bau-Beteiligten ist: So wenig Einschränkungen wie möglich vorzunehmen. Wir sehen ja den Bedarf für die vielen Verkehrsteilnehmer“, sagt Ludger Loers, Prokurist des Ingenieurs-Büros Krebs und Kiefer, das an der Brücke u.a. für die Bauoberleitung und -überwachung zuständig ist.
So soll der Bau laufen
Der Vorteil: Die Brücke besteht aus zwei Teilen, die Richtungsfahrbahnen sind quasi in der Mitte voneinander getrennt. Dadurch können der Abbruch und Neubau an gleicher Stelle nacheinander in zwei Abschnitten erfolgen. Also steht die andere Hälfte – sei es die alte oder dann die neue Konstruktion – für Pkw und Lkw zur Verfügung. Jetzt im Herbst beginnt der Abriss des Bauwerks mit den Spuren Richtung Bremen. Nach einer Zwischenphase mit der Kreuzung des Mittelstreifens ist die Gegenfahrbahn voraussichtlich ab Oktober/Anfang November für den kompletten Verkehr vorgesehen, zweispurig geht es dann in beide Richtungen.
Nach rund einem Jahr Bauzeit für die neue Brückenhälfte steht dann voraussichtlich Ende 2019/Anfang 2020 der Wechsel an. Der Verkehr läuft dann in beiden Richtungen auf der neuen Konstruktion am Hang entlang, um daneben den Unterbau inklusive Fahrbahnen in Richtung Köln abzureißen und dann in rund zwölf Monaten zu ersetzen. „Das neue Bauwerk wird insgesamt rund sieben Meter breiter“, sagt Jan Bucher, Bauüberwacher von Krebs und Kiefer. Dadurch entstehen auch wieder zwei Standstreifen auf dem neuen Bauwerk. Die gab es früher schon auf der Talbrücke Volmarstein, sie dienten dann aber als zusätzliche Spur bei der Erweiterung von vier auf sechs Fahrbahnen.
An der Koordinierung gibt es Kritik
Auch die Kritik an der mangelhaften Abstimmung unter den Baulastträgern hallt bei der Deges nach. Deren Projektleiterin verweist zunächst auf mehrere Beteiligte bei den vielen A1-Arbeiten. „Die Koordinierung ist schon eine Mammutaufgabe. Wir haben aber andererseits den Protest auch im Sinne der Transparenz als Lernprozess für uns verstanden“, sagt Ines Nordhaus und denkt an Beschwerden von den Unternehmern oder anderen. Andernorts gebe es weniger Gegenwind. Das zeige den Bau-Verantwortlichen, wie wichtig diese Autobahn mit dem Volmarsteiner Abschnitt für die gesamte Region ist.
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Nach dem Aufschrei aus den umliegenden Städten wegen der gesperrten A1-Auffahrt veranlassten die Verantwortlichen Verkehrsbeobachtungen, um die Auswirkungen der Baustelle auf den Verkehr in den Nebenstraßen zu ermitteln. Prof. Justin Geistefeldt von der Ruhr-Uni Bochum kam im Februar 2018 angesichts von Vergleichszahlen aus Dezember 2017 zu dem Ergebnis, dass zwar seither mehr Räder über den Asphalt der Kommunen rollen, aber kein Horrorszenario entstanden sei. „Es ist vertretbar“, so Ines Nordhaus. Der Deges-Projektleiterin sind auch keine Unfälle bekannt, die im Zusammenhang mit der eingerichteten Baustelle an der Talbrücke stehen.
Schwierige Voraussetzungen
Dabei sind die Umstände nicht gerade paradiesisch. Viel Verkehr, nur eine Zuwegung für Lkw und Gerätschaften (über die für Verkehrsteilnehmer gesperrte Auffahrt in Richtung Bremen), Hanglage, Hochspannungsleitungen über der Fahrbahn, Landschaftsschutzgebiet mit Fledermaus-Routen, Regenrückhaltebecken und Wasserschutzzone. An mehreren Stellen steht am Rand das Schild „Bau-Tabuzone“. Zudem musste eine Firma zunächst erst einmal viel roden, damit auf der zugewachsenen Fläche unter der Brücke ein beengtes Baufeld entstehen konnte. Bei all dem muss im Notfall auch ein Rettungs-Konzept greifen.
Eine Herausforderung seien auch die Gründungsarbeiten mit einer beschränkten Arbeitshöhe wegen der Hochspannungsleitungen. „Dafür wird ein speziell umgebautes Großdrehbohrgerät mit eingekürztem Mast eingesetzt“, sagt Projektleiter Selcuk Yuca von der ARGE Talbrücke Volmarstein (ausführende Baufirma). Während die Hangsicherung mit Spritzbeton fast fertig sei, kommen auch an anderen Stellen Spezialbohrgeräte wegen der beengten Verhältnisse zum Einsatz .
Bagger müssen 50.000 Kubikmeter Boden bewegen
Ein weiterer wichtiger Aspekt: das Bodenmanagement. „Das Erdbau-Konzept ist sehr komplex“, so Ludger Loers. Um unter der Brücke auf verschiedenen Ebenen arbeiten zu können, müssen Bagger ca. 50 000 Kubikmeter Boden bewegen. „Ursprünglich sollte ein überwiegender Teil des Aushubs über die Autobahn abgefahren werden. Das haben wir aber verworfen und zusammen mit der Baufirma optimiert, weil das ja noch mehr Verkehr verursacht hätte“, sagt der Diplom-Ingenieur.
Zur erneuten Verwendung in der Baustelle braucht es Platz zum Zwischenlagern, diese Verschiebe-Idee erfordere ebenfalls viel Logistik. Immerhin stand nach einem Bodengutachten fest, dass nichts abgängig sei und die Gründungsarbeiten wie geplant fortschreiten können.
Stabilität und Statik
Nächste Herausforderung: die Gründungsarbeiten für Pfeiler, Widerlager und Stützwände. „Dafür müssen die Lasten in die tragfähigen Schichten eingeleitet werden“, erklärt Yuca. Die Gründung sämtlicher Bauteile erfolge über Tiefgründungen mit Bohrpfählen. 100 Jahre soll das neue Bauwerk halten. Das Hauptproblem für das Vorgängermodell entstand nicht unten, sondern oben: die Verkehrslast vor allem durch den Lkw-Verkehr, wobei Transporter nur mit einem Gewicht unter 44 Tonnen hier her dürfen. „Wer auf der Brücke steht, spürt das Vibrieren und die Schwingungen“, so Loers. Ursprünglich war die Talbrücke für vier Spuren ausgelegt, durch die Erweiterung und den Wegfall des Standstreifens nahm die Belastung zu, was sich vor allem an den Fahrbahn-Rändern auswirkte.
Vor dem ersten Bagger-Einsatz dort waren insgesamt zwei Jahre Vorlauf nötig, um das Projekt zu planen und nach entsprechenden Ausschreibungen Verträge zu schließen oder Auflagen (vor allem Umweltschutz) von Behörden zu definieren. Um den tatsächlichen Zustand der alten Brücke im Vergleich zu den theoretischen Nachrechnungen zu erkunden, überprüften Fachleute noch vor Ort den Bestand. Die Messungen erfolgten per Magnetverfahren. „Die Ergebnisse bestätigten die angenommenen Rechenwerte des Prüfingenieurs. Falls das nicht der Fall gewesen wäre, hätten wir das alte Bauwerk verstärken müssen“, so Nordhaus.
Brückenhälften sind kürzer als bisher
Kurios: Die zwei künftigen Brückenhälften sind kürzer als bisher, die Gesamtlänge reduziert sich von derzeit 315 auf bald 285 Meter. „Die neuen Widerlager werden vor den alten erstellt, dadurch entsteht die Differenz“, erklärt Yuca. Die neuen Pfeiler ziehen die Bauarbeiter zwischen den derzeitigen Bestandspfeilern nach oben, auch hier braucht es pro Bauwerk künftig eine Pfeilerreihe weniger. „Wir arbeiten uns zunächst auf der Hangseite in Richtung Bremen vor, dann geht es gegenüber gewissermaßen bergauf“, erklärt der Diplom-Ingenieur.