Hagen-Vorhalle. Samstagmorgen, zehn Uhr, Treffpunkt Vorhaller Stadtteilhaus. Die Drei, die hier zusammengekommen sind, haben ein besonderes Anliegen: Den Hagener Stadtteil Vorhalle mit anderen Augen zu sehen. Mit denen eines Rollstuhlfahrers. Ratsherr Stefan Ciupka will es wissen.

Ein Selbstversuch, der aus einem Beteiligten einen Betroffenen macht. Genau das ist die Idee von Stefan Ciupka, Ratsherr für Vorhalle, und Ingrid Rischel, die an Multiple Sklerose erkrankt und seit zehn Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Begleitet werden die beiden von Meinhard Wirth, Vorsitzender des Hagener Behindertenbeirates. Mit dem Rollstuhl durch Vorhalle. Für Ingrid Rischel ist das Alltag, für Stefan Ciupka Neuland. Denn er wird heute, auch in einem Rollstuhl sitzend, seinen Stadtteil aus einer neuen Perspektive kennenlernen. Was sind die Hindernisse, die einem Betroffenen die Fahrt durch Vorhalle erschweren? Und wo sind Verbesserungen möglich?

Gleich zu Beginn der Rundfahrt sieht sich Ciupka mit ersten Hindernissen konfrontiert. „Viele Bordsteine hier in Vorhalle sind nicht abgesenkt“, erklärt Rischel mit einem Blick auf Ciupka, während sie das Hindernis geschickt umfährt.

Auf die Straße ausweichen

„Das Befahren der Nöhstraße wird beispielsweise auch zur Gefahr für Betroffene wie mich, da die Gehwege nicht breit genug sind und Hauseingänge sie zusätzlich noch verengen. Da kommt es schon mal vor, dass man auf die dicht befahrene Straße ausweichen muss“, berichtet die 64-Jährige von einer weiteren Gefahrenstelle.

Klingel oft zugestellt

An der nächsten Straßenecke befindet sich eine Apotheke. Mit fragendem Blick betrachtet Ciupka die Treppenstufen, die für ihn normalerweise keine Erschwernis bedeuten. „Hier gibt es eine Klingel für Menschen mit Behinderung. Über diese können sie Hilfe aus der Filiale anfordern. Lange Zeit war sie allerdings immer wieder durch Fahrradständer oder ähnliches unzugänglich“, erzählt Rischel von ihren Erfahrungen. „Man kann nur etwas erreichen, wenn man auch den Mund aufmacht. Ich möchte alle Betroffenen dazu aufrufen, das Gespräch zu suchen und Veränderungen zu bewirken“, bekräftigt sie.

Haus für Kinder barrierefrei

Es gibt ca. 26.000 Menschen mit Behinderung in Hagen.

Um ihre Belange kümmert sich der Behindertenbeirat. Seine nächste Sitzung findet am 4. November statt.

Um für das Thema Barrierefreiheit weiter zu sensibilisieren vergibt die Stadt das Signet „Hagen barrierefrei“. Heute wird beispielsweise das „Haus für Kinder“ in der Potthofstraße damit dekoriert.

Interessierte können sich per E-Mail an die Adresse martina.gleiss@stadt-hagen.de wenden. Martina Gleiss übernimmt die Koordination der Interessen bei der Stadt Hagen.

„Wir haben hier in Vorhalle eine relativ alte Gebäudesubstanz. Deshalb ist es mir ein Anliegen herauszufinden, wie man aus den gegebenen Bedingungen das Bestmögliche machen kann“, hebt Ciupka hervor.

„Der Stadtteil als solcher bietet große Chancen. Gerade durch die Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit der Vorhaller Bürger können wir einige noch bestehende Probleme ausgleichen“, ergänzt das Ratsmitglied motiviert.

Einige 100 Meter weiter sieht sich die Truppe mit einem weiteren Hindernis konfrontiert: Eine Fußgängerbrücke mit einer enormen Steigung macht hier das Erreichen der Bushaltestelle Hartmannstraße unmöglich. „Die Bushaltestelle selber ist zwar ebenerdig und behindertengerecht, aber viele Betroffene weichen auf die dicht befahrene Hauptstraße aus, weil ihnen das Befahren der Fußgängerbrücke nicht möglich ist“, schildert Ingrid Rischel das Problem.

Anstrengende Erfahrung

Schlaglöcher, Bordsteinkanten, Treppenstufen und dicht befahrene Straßen. Das sind nur einige der vielen Probleme, mit denen sich beeinträchtigte Bürger tagtäglich auseinandersetzen müssen. Probleme, die für andere keine sind. „Es war mir wichtig, durch die Augen eines Betroffenen zu sehen, was man sonst wenn überhaupt erahnen kann. Ich wollte mir vorstellen können, wie man sich fühlt, wenn man sich mit einem Hindernis konfrontiert sieht. Ich hätte nie gedacht, das Rollstuhlfahren so anstrengend ist“, erklärt Ciupka, der mittlerweile schon leicht außer Atem ist.

Doch trotz vieler noch bestehender Probleme tut Hagen etwas, um diese zu lösen. „Mit der Aktion „Hagen barrierefrei“ setzen wir uns dafür ein, dass sich alle Menschen in Hagen willkommen fühlen. Wir prüfen öffentliche Einrichtungen, Geschäfte und viele weitere Hagener Orte auf Barrierefreiheit, um deren Besuch für Menschen mit Behinderung zu erleichtern“, erläutert Meinhard Wirth.

Ängste nehmen

„Ich kenne Betroffene, die sich nicht mehr aus dem Haus trauen, da sie Angst haben, mit den Gegebenheiten nicht zurecht zu kommen. Es war mir wichtig, ihnen diese Angst ein wenig zu nehmen. Ich treffe unglaublich viele Menschen die sehr hilfsbereit sind und noch nie hat mir jemand die Hilfe verweigert. Gerade durch die Kommunikation mit anderen können Veränderungen bewirkt werden“, resümiert Ingrid Rischel zufrieden.