Hagen. . Die Pränataldiagnostik wird immer genauer – und auch bequemer. Das belastet, kann aber auch Chancen eröffnen. Eine Mutter aus dem Sauerland erzählt auf Nachfrage, wie es ist zu wissen, dass ein Kind behindert zur Welt kommen wird.

Hauptsache gesund. Das ist die Antwort, die werdende Eltern gern auf die Frage geben, ob sie sich einen Jungen oder ein Mädchen wünschen. Eine Antwort, die Annika M. heute fast ein bisschen ärgert. „Und was, wenn nicht?“, fragt sie sich dann still. Was, wenn der Wunsch nach Perfektion nicht in Erfüllung geht?

Hauptsache gesund, hat sie früher selbst einmal gesagt, als sie schwanger wurde. Und doch hat sie rasch geahnt, dass etwas nicht stimmte. Zwar versicherte der Arzt stets, dass alles in Ordnung wäre, schickte sie aber dann in der 19. Schwangerschaftswoche zu einem Feinultraschall. „Zur Beruhigung“, sagte er.

„Sie müssen das Kind nicht bekommen“

Spina bifida, lautete die Diagnose. Ein offener Rücken. Der Spalt sei weit unten in der Wirbelsäule, erklärte man ihr lediglich. Was das aber genau für das Baby bedeutete, ob und wie schwer behindert ihr Kind auf die Welt kommen würde, das konnte man ihr damals erst nicht sagen. Nur so weit informierte man sie: „Sie müssen das Kind nicht bekommen.“

Sie sollte also „Gott spielen“, wie sie erzählt, wenn man sie nach ihrer Geschichte, nach ihren Erfahrungen mit der Pränataldiagnostik befragt. Drei Tage lang hat sie geweint, erzählt Annika. Dann wusste sie, dass sie den Jungen haben wollte. „Mit dir oder ohne dich“, sagte sie zu ihrem Mann.

Von da an hat sie für David gekämpft, ist von Facharzt zu Facharzt gegangen, um ihrem Sohn einen möglichst guten Start ins Leben zu ermöglichen. Sie hat nach dem richtigen Krankenhaus gesucht, wo David per Kaiserschnitt auf die Welt geholt wurde, um das Rückenmark nicht noch weiter zu verletzen. Gleich am Tag nach der Geburt operierte man den Jungen, um den Spalt in der Wirbelsäule zu schließen. Den Eingriff noch im Mutterleib vorzunehmen, war Annika zu riskant. Die Behandlung schien ihr nicht recht ausgereift.

Ein kluger Kerl, aber kein einfaches Kind

Heute ist David sieben Jahre alt. Er kann gehen, wenn auch ein bisschen ungelenk. Er fährt Fahrrad und noch lieber Trampeltrecker. „Sport ist in der Schule sein Lieblingsfach“, sagt Annika M. Das Ergebnis von verschiedenen Therapien und viel Krankengymnastik, von harter Arbeit für Sohn und Mutter. Ein kluger Kerl ist er, der neugierig und beharrlich nachfragt, bis er erfahren hat, was er wissen will. Er besucht die Regelschule – auch wenn das zu organisieren, für seine Mutter nicht leicht war.

Und dennoch ist er für seine Eltern kein einfaches Kind, leidet an einem atypischen Autismus. Selbst wenn die vorgeburtliche Diagnostik Eltern ein gesundes Kind versprechen mag – davor kann sie nicht warnen. Ein Kind bleibt also letztlich ein Überraschungspaket. „Er hat Schwierigkeiten im Sozialverhalten“, erzählt Annika. „Freunde findet er nicht.“ Manchmal sei er aggressiv, fügt sie hinzu.

„Würdest du es nochmal so machen?“ 

„Würdest du es denn nochmal so machen?“, wird sie deshalb nun manchmal von anderen gefragt. „Hätte ich ihn denn nicht bekommen sollen?“, kontert sie dann. Während der Schwangerschaft allerdings ist sie von Ärzten nie unter Druck gesetzt worden, David abzutreiben. Sie weiß jedoch von anderen Eltern, die sich nach der vorgeburtlichen Diagnose regelrecht zur Wehr setzen musten.

Trotzdem lehnt sie die immer genauer werdende Pränataldiagnostik keinesfalls ab. Nicht, um ein Baby abzutreiben, das nicht gesund und perfekt ist, wie sie betont. Sondern, weil solche Untersuchungen Eltern ermöglichen, alle Vorbereitungen zu treffen, ihrem Kind den holprigen Weg ins Leben so leicht wie irgend möglich zu machen. So, wie ihr das auch bei David gelungen ist.

Davids Papa verließ die Familie nach der Geburt

Und zwar zunächst ganz auf sich allein gestellt. „Ohne mich“, hat ihr damaliger Mann entschieden. Wenige Monate nach Davids Geburt ist er gegangen. „Wir hätten das nicht machen sollen“, habe er noch zu ihr gesagt, erinnert sie sich.

Sie hat wieder geheiratet, lebt nun im Sauerland. Ihr zweiter Mann hat David adoptiert. Joshua (3) und Marie (2) sind dazu gekommen. Annika M. hätte sie wohl auch zur Welt gebracht, wenn der Feinultraschall wieder Hinweise auf eine Behinderung ergeben hätte.

„Hauptsache gesund“, das sagt sie nicht mehr.