Wehringhausen. . Vieles sieht noch so aus wie vor 70 Jahren: In einem Kellerbunker in einem Haus an der Lange Straße 69 fanden die Bewohner während der Luftangriffe auf Hagen Schutz. Jetzt besichtigte Experte Horst Klötzer die ungewöhnlichen - und ungewöhnlich gut erhaltenen Räume.

Die Erinnerung ist noch da. Die Erinnerung an jenen Tag, an dem die St.-Michaels-Kirche zerstört wurde. Es war der 15. März 1945. Der Funkenflug war so enorm, dass der Dachstuhl des Hauses 69 an der Lange Straße in Brand geriet. „Ich habe hier unten mit meiner Großmutter gesessen“, sagt Reinhold Busch, „ich weiß noch, wie sie mit uns Kindern ,Ringel, Ringel, Reihe’ gespielt hat, um uns zu beruhigen. Dann kamen meine Mutter und mein Großvater mit verrußten Gesichtern zurück. Sie hatten das Feuer gelöscht.“

Es scheint, als sei die Zeit stehen geblieben. Wer die stabile Gasschutztür im Untergeschoss des Mehrfamilienhauses aufschiebt und das Treiben oben für einen Augenblick ausblendet, der glaubt, dass der Tag, der sich in Reinhold Buschs Gedächtnis gebrannt hat, erst wenige Wochen zurück liegt. „Notausstieg“ steht auf einem Schild unter einer Klappe, die zur Lange Straße hinaufführt. „26 Personen“ ist auf die Wand geschrieben. In der Ecke steht noch ein Ofen mit dicken Türen, die das Eindringen von Gas verhindern sollten.

Angst vor Gas

„Gas“, sagt Horst Klötzer, „das war die große Angst der Menschen. Die beruhte auf den Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg, als Giftgas in den Kampfgebieten eine große Rolle spielte. Im Zweiten Weltkrieg aber ist keine einzige Giftgasbombe über deutschen Städten abgeworfen worden.“

Luftangriffe auf Hagen ab Oktober 1943

Den ersten großen Luftangriff auf Hagen flogen die Kräfte des Britischen Bomber Command in der Nacht vom 1. auf den 2. Oktober 1943.

Der zweite Großangriff erfolgte am 2./3. Dezember 1944 mit 504 Maschinen.

Am 28. Februar 1945 griff die US Airforce erstmals bei Tag an, am 10. März ein weiteres Mal.

Der letzte Großangriff fand am 15. März 1945 statt.

Klötzer ist Archäologe und Bunkerexperte. Er arbeitet zusammen mit dem Historischen Centrum der Stadt Hagen. Die Kellerräume an der Lange Straße, die vor mehr als 70 Jahren Menschenleben gerettet haben, sind für einen Forscher wie ihn ein wahres Paradies. „So ein Bunker in so einem Zustand ist eine absolute Seltenheit“, sagt Klötzer, „hier ist noch vieles so erhalten, wie es damals war, als die Hausbewohner vor den Bomben der Alliierten Schutz gesucht haben.“ Die Toilette aus dem Jahr 1938, die Überdruckventile an den Wänden, selbst die genormten Holzbänke, auf denen die Menschen gekauert haben, stehen noch an einer Wand.

Warnungen vor Luftangriffen

Es war Reinhold Buschs Großvater, der den Bunker im Keller schon 1938 bauen ließ. „Warum?“ sagt der ehemalige Arzt, der selbst Bücher über Mediziner im Zweiten Weltkrieg veröffentlicht hat, „das weiß ich nicht. Aber es gab zu jener Zeit erste Veröffentlichungen, in denen es um den Krieg der Zukunft ging. In diesem sollten Luftangriffe auf Städte eine zentrale Rolle spielen.“

Der Hagener Architekt Emil Oettinghaus plante die Anlage, die vier Kellerräume und einen kleinen Flur umfasste. Die Decken wurden mit dicken Stahlträgern, die in der Hasper Hütte gefertigt worden waren, verstärkt. Die Kellerfenster wurden ebenso mit Gasschutzklappen versehen wie eine Öffnung vor einem Schacht, durch den die heiße Luft aus einem Bottich für Kochwäsche abziehen sollte. „Das muss ein enormer Aufwand gewesen sein“, mutmaßt Klötzer, „alleine die Stahlträger hier unten hinein zu bekommen, ist gewiss ein Problem gewesen.“

Verbindung zu Nachbarn

Auf einer Mauer zeichnet sich noch ein Durchgang zum Haus nebenan ab. „Manche Häuser hatten direkte Verbindungen zu den Nachbarkellern, bei anderen hatte man zumindest einen Ziegelstein aus der Wand genommen, um im Notfall möglichst schnell eine Verbindung nach nebenan zu schaffen“, sagt Klötzer. „Wenn ein Haus komplett einstürzte, waren oft die Notausgänge verschüttet. Dann war der Weg durch die Nachbarhäuser die einzige Rettung.“

35 Menschen wohnten zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs in dem Mehrfamilienhaus. Das hat Reinhold Busch, Jahrgang 1942, herausgefunden. Sie versammelten sich in dem besonders hergerichteten Keller, sobald die Sirenen Luftangriffe ankündigten.

Kein ausreichender Schutz

„Dass Keller derart geplant und ausgebaut wurden, war eher die Ausnahme“, sagt Klötzer, „ausreichend Schutz aber boten sie nicht. Wenn ein Dachstuhl von einer zehn Zentner schweren Bombe getroffen wurde, dann schlug die durch alle Etagen bis in den Keller. Dort explodierte sie dann – zum Teil auch erst Minuten später, weil die Zünder so programmiert worden waren.“

Von einem solchen Volltreffer allerdings blieb das Haus Lange Straße 69 verschont. So wie viele Gebäude im Stadtteil, der bis heute durch seine Häuser aus der Gründerzeit geprägt ist. Ganz anders beispielsweise als die Gebäude in der Hagener Innenstadt.