Hagen. Mehr als die Hälfte der Jura-Studenten sind weiblich, aber nur 15 Prozent der Lehrstühle an juristischen Fakultäten werden von Frauen besetzt. Wieso ist Justitia weiblich, Jura aber nicht? Mit dieser Frage hat sich ein dreijähriges Forschungsprojekt an der Fernuni Hagen beschäftigt.

Mehr als die Hälfte der Jura-Studenten sind Studentinnen. Gerichte und Staatsanwaltschaften sind zu mehr als 40 Prozent mit Frauen besetzt, von drei Anwälten ist einer weiblich. Nur bei der akademischen Karriere sieht es anders aus: Frauen besetzen nur 15 Prozent der Lehrstühle an juristischen Fakultäten.

Wieso ist Justitia weiblich, Jura aber nicht? Mit dieser Frage hat sich ein dreijähriges Forschungsprojekt an der Fernuni Hagen, das vom Bundesforschungsministerium und vom Europäischen Sozialfonds gefördert wurde, beschäftigt. Die Ergebnisse der bundesweit ersten Untersuchung zu diesem Thema werden heute in Hagen öffentlich präsentiert.

Justizdienst bietet auch Teilzeit-Stellen

Projektkoordinatorin Ulrike Schultz hält dabei den Vortrag über „Verhinderte und Pionierinnen. Die Geschichte der Frauen in der Rechtswissenschaft“. Sie hat aber auch den Überblick über die anderen Untersuchungen, die Auswertung von Statistiken, die Sichtung der Lebensläufe aller gut 200 deutschen Juraprofessorinnen, die 45 gründlichen Interviews mit Wissenschaftlerinnen oder die Analyse des (überholten) Frauenbildes in juristischen Lehrmaterialien. „Sie würden sich schief lachen“, meint zu letzterem die Akademische Oberrätin, die auch aus ihrem Studium, das 1966 begann, als Frauen in der Juristerei eine kleine Minderheit waren, Anekdoten erzählen kann, die heute absurd wirken.

Aber was hat man denn nun herausgefunden? Warum gibt es so wenige Jura-Professorinnen? Frauen sind auf Lehrstühlen generell unterrepräsentiert, 2012 lag ihr Anteil gerade bei 21 Prozent, bei Physik oder Maschinenbau ist er einstellig. „Aber dort gibt es auch kaum Studentinnen“, sagt Schultz. „Die Chance von Frauen auf einen Lehrstuhl ist dadurch proportional viel höher.“ Die Projektkoordinatorin erklärt die spezielle Lage an den juristischen Fakultäten zum einem mit der besonders langen Ausbildung mit den zwei Staatsexamen: „Das Durchschnittsalter bei einer Berufung erfolgt mit 39 Jahren. Das ist die Rushhour des Lebens. Darüber hinaus haben Juristinnen gute Alternativen im Justizdienst, wo Teilzeit-Stellen kein Problem sind.“

"Zu stark an der männlichen Normalbiografie orientiert"

Mindestens genau so wichtig ist aber laut Ulrike Schultz die ­„äußerst konservative ­Wissenschaftskultur“ unter den Juristen: „Frauen durften erst ab 1908 ­studieren, wurden dann ab 1922 vom Staat ­eingestellt und bis 1935 von den Nazis wieder entfernt. Und die ­Auffassung, Jura erfordere eine ­Objektivität, für die Frauen leider zu ­emotional seien, hielt sich in der Bundesrepublik noch sehr lange.“

Im Forschungsprojekt wurden nun auch Handlungsempfehlungen entwickelt, fußend auf Erfahrungen: „Dass es für Erfolge in der Gleichstellung Geld gibt, hat schon etwas bewirkt“, sagt Schultz. Für hilfreich hielte sie die Abschaffung der Habilitation („sechs Jahre Arbeit an einem Buch, das keiner liest“) als Voraussetzung für eine Berufung zur Professorin und einen stärker gestuften Qualifikationsweg: „Man ist zu stark an der männlichen Normalbiografie orientiert.“ Und ist sie optimistisch, dass das kommt? Gebremst: „Die Juristen haben eine besonders starke Veränderungsresistenz - im Guten wie im Schlechten.“