Hagen. . Die meisten Werke sind illegal angebracht. Das ist klar. Trotzdem gibt es einen großen Unterschied zwischen Schmierereien und dem, wofür drei Hagener Künstler sich einsetzen. Sie wollen die Botschaften und Intentionen der Streetart in Hagen in das Bewusstsein der Menschen rücken.
Die Band Kraftklub hat ein Lied darüber gemacht. „Ich will nicht nach Berlin.“ Die Gruppe hält Kreativ-Designern, Fashion-Blog-Schreibern, Neun-bis-fünf-Uhr-Job-Verächtern und In-den-Tag-Lebern, die mit ihrer Spiegelreflex-Kamera durch den Berliner Friedrichshain laufen, Fotos von angesagten Menschen schießen, Sojamilch trinken und immer irgendein „Projekt“ am Laufen haben, den Spiegel vor.
Sie wollen nicht nach Berlin, rufen sie im Refrain. Mit dem Zusatz: „Auch wenn andere Städte scheiße sind.“ Das ist in zugespitzter Form das, was auch Ihsan Alisan verspürt, wenn er an Hagen denkt. Er und seine Kollegen sind auf einer schwierigen Mission. Sie wollen der Bevölkerung eine neue Brille aufsetzen, sie in einen anderen Blickwinkel versetzen. Es geht um Streetart und die Fähigkeit, im Alltagsgrau einer Großstadt ihre künstlerische Seite und ihre eigene Note zu finden.
Hagens „Wall of Fame“
Treffpunkt Minervastraße. Hagens Wall of Fame. Ein Lkw hat sich gerade durch die schmale Gasse gequetscht, um den Kaufpark zu beliefern. Wenn nicht gerade ein Zug mitten durchs Gespräch fährt, kann man hier wohl am besten über das Thema „Streetart“ reden. Ihsan Alisan ist da mit Hobby-Fotografin Siân Taylor und dem freischaffenden Künstler Andreas Friedhelm Arnold. Die Wände entlang der alten Hallen sind übersät mit gesprühten Werken.
Klarstellung: Die meisten Werke sind illegal angebracht. Auch in Hagen. Es geht nicht um Schmierereien. Es geht nicht darum, Sachbeschädigung zu rechtfertigen. Es geht um Motive. Intentionen. Botschaften. „Wir werden in der Werbung jeden Tag mit Bildern überhäuft, mit Massen von Bildern auf allen Kanälen“, sagt Alisan, „sie sind kommerziell gesteuert und wollen uns lenken. Hier gibt es auch Motive. Hier will uns auch jemand etwas sagen. Ohne Kommerz. Ohne Hintergedanken.“ Es geht um Kunst im öffentlichen Raum. Mal in Form eines Aufklebers auf einem Stromkasten, mal auf dem Rolltor einer alten Garage. Kunst zwischen Sachbeschädigung und Schönheit. Vieles ist nicht rechtens und trotzdem schön.
Wann ist das Kunst? Wann ist es eine Schmiererei? Bei unserem Spaziergang entlang der Bahntrasse an der Minervastraße findet Andreas Friedhelm Arnold den abgerissenen Kopf einer Spielpuppe am Rand einer Pfütze. Er zückt die Digitalkamera, fotografiert das verdreckte Puppenhaupt aus mehreren Positionen. „Jetzt“, sagt Ihsan Alisan, „jetzt gerade lässt er es Kunst werden. Durch seine eigene, ganz neue Betrachtung.“ Im Regelfall bedienen sich Streetart-Künstler an vorhandenen Flächen.
Streetart erlebt Renaissance
Streetart erlebt augenblicklich eine Renaissance. Keith Haring, Blek le Rat oder John Fekner gehören und gehörten zu jenen Künstlern, die entscheidenden Einfluss auf die Kunst im urbanen Raum hatten. Für Hagen sieht Alisan in der Straßenkunst nicht nur eine große Chance, sondern auch, dass sich ein Kreis zu schließen scheint. Ein Kreis, der von Karl-Ernst-Osthaus bis zur „Hall of Fame“ in die Minervastraße führt. „Hagen war zu Osthaus’ Zeiten ein Kunst-Oberzentrum, ein Ort, an dem große Künstler lebten und sich verwirklichten“, sagt Alisan, „Osthaus’ Motto war: Wandel durch Kultur. Genau das soll auch die Streetart in den Köpfen erreichen. Hagens Schätze liegen manchmal im Verborgenen, in Hinterhöfen und kleinen Gassen. Wehringhausen kann an vielen Stellen mit den angesagten Locations in Berlin und Hamburg mithalten. Wir müssen nur unsere Augen öffnen dafür.“
Facebook-Seite sammelt Werke
Auf einem Stromkasten in Wehringhausen ist ein durch eine Schablone gesprühtes Motiv zu sehen. „Think positive“ steht darauf. Denke positiv. Ein Aufruf an alle, die daran vorbeifahren, vorbeispazieren. Auf dem Schulhof des Fichte-Gymnasiums haben Schüler im Jahr 1983 Pablo Picassos „Guernica“ an eine Mauer gezeichnet. An der Cuno-Berufsschule rauscht „Spongebob Schwammkopf“ durch die Unterwasserwelt und auf einem Rolltor in Haspe mahnt ein Künstler: „Think twice“ – denk darüber noch mal nach.
Mit der Facebook-Seite „Streetart in Hagen“ animiert Alisan die Menschen, ihre Beobachtungen in der Stadt zu posten und wenn es geht, den Künstler zu identifizieren. Vieles lässt sich zuordnen. Manches nicht. Ende September oder Anfang Oktober soll es eine Streetart-Ausstellung in den Räumlichkeiten der „Kooperative K“ an der Karlstraße in Haspe geben. Zehn Tage soll sie dauern. Etliche Ideen hat Alisan dazu. Hagens urbaner Raum scheint eine unentdeckte Galerie öffentlicher Kunst zu sein. „Durch seine Position zwischen dem Ruhrgebiet und dem Sauerland und als Eisenbahn-Knotenpunkt ist Hagen für viele Streetart-Künstler ein wichtiger Punkt“, sagt Alisan.
Hagen ist scheinbar nicht weniger „hip“ als Berlin und Hamburg. Wir sehen es nur nicht. „Ich will nicht nach Berlin“, sagt Ihsan Alisan. Er zitiert ungewollt das Kraftklub-Lied. Der Song hat nur einen Haken: Auch Menschen, die Fotos von Streetart machen, wird darin der Spiegel vorgehalten. Alisan macht das nichts. In Hagen fängt die Entdeckungsreise gerade erst an.