Hagen. Eindrucksvoll. Ausdrucksstark. Die Werke des Hagener Fotografen Andy Spyra bewegen. Seine Motive aus den Krisenregionen dieser Welt sind erschütternde Dokumente dafür, dass Krieg vielerorts zum Alltag gehört. Spyras Werke bereichern die Ausstellung „Weltenbrand“ im Osthaus-Museum.
Es sind seine Bilder, die die Geschichten erzählen. So ausdrucksstark, so eindrucksvoll, dass der Hagener Fotograf Andy Spyra zahlreiche internationale Preise abgeräumt hat. Diesmal erzählt der Fotograf nicht nur durch seine Bilder. Das, was dem 30-Jährigen durch den Kopf gegangen ist, als er den Auslöser gedrückt hat, steht neben den Fotos an der Wand des Jungen Museums im Osthaus-Museums. Und so sind seine Aufnahmen aus den Krisenregionen dieser Welt ein starker Teil der Ausstellung „Weltenbrand 1914“.
Und sie sind noch mehr: Sie sind erschütterndes Dokument dafür, dass Krieg zum Alltag gehört. Nur eben nicht in unserer „Wohlstandsblase“, wie es ein Fotograf sagt, der zwischen den Welten, zwischen den Extremen pendelt.
Das Leben reflektieren
Nigeria, Bosnien, Syrien, Kaschmir – es sind nicht die Orte, an die es Touristenströme aus dieser „Wohlstandsblase“ hinzieht. Spyra aber, für den selbst der Zweite Weltkrieg aus „abstrakten Überlieferungen“ besteht, macht sich auf den Weg. „Für mich ist das eine Erweiterung meines eigenen Horizonts“, sagt er, „ich mache das ja schon, seitdem ich Anfang 20 bin. Ich lerne viel über die Welt. Und viel über mich selbst.“
Dabei sieht sich Spyra in einer privilegierten Situation: „Ich“, sagt er, „ich habe immer ein Ticket nach Hause in der Tasche. Ich kann von hier aus mein Leben dort reflektieren. Auch durch eine Ausstellung wie diese.“
Bilder, mit denen er eine Geschichte verbindet
Eine, in der er sich ganz bewusst auf ein paar wenige Aufnahmen beschränkt hat. „Es sind nicht unbedingt meine fotografisch anspruchsvollsten Bilder“, sagt Andy Spyra, „aber es sind die, mit denen ich eine Geschichte verbinde, die mich selbst tief bewegt hat.“
So wie das Bild der kleinen Affiniki, gerade einmal acht Monate alt, der bei einem Angriff der Boko Haram in Nigeria ein Arm abgerissen wurde. „Da denke ich an meine eigene Tochter“, sagt Spyra, „die im Sommer drei Jahre alt wird.“ Die Auswahl hätte Monate gedauert. „Ich war nicht immer in der Lage, sofort etwas dazu zu schreiben“, so Spyra. „Das hätte ich vorher nicht vermutet.“
Wenn sich junge Menschen radikalisieren
Seine Fotos sind schwarz-weiß. Die Welten, in der sie entstanden sind, nicht. „Keine Arbeit, keine Nahrung, keine Bildung – das sind Faktoren, die den Nährboden für viele Konflikte bilden“, sagt Andy Spyra. „Hinzu kommt die Ausbeutung von Menschen wie beispielsweise in Nigeria. Das verdient sich ein Weltkonzern wie Shell dumm und dämlich. Für unseren Wohlstand wird dort produziert, und vor Ort verrecken die Menschen. Es ist plausibel, dass sich junge Menschen vor Ort radikalisieren. Es ist leicht, sie von einem hohen Ross aus pauschal als Terroristen zu verteufeln. Die Frage ist doch, wie man sich selbst verhalten würde, wenn man in so einer Situation groß geworden wäre.“
"Den Tod eines Menschen gefeiert"
Tod und Elend sind treue Begleiter auf Spyras Reisen, die so anders sind als das, was Unternehmen in ihren bunten Katalogen preisen. Es gibt aber auch viele schöne Momente. „Vor allem die zwischenmenschlichen Augenblicke abseits der Gewalt“, sagt Andy Spyra, „und wenn es nur ein kurzes Lächeln zwischen zwei Menschen ist. In so extremen Welten erlebt man diese Momente viel intensiver.“
Kulturhistorische Ausstellung
Die Ausstellung „Weltenbrand – Hagen 1914“ im Osthaus-Museum erinnert an den Ersten Weltkrieg, der vor 100 Jahren ausbrach.
Weltenbrand in eine kulturhistorische Ausstellung im besten Wortsinn. Die Schau verknüpft Werke von Künstlern mit Ausstellungsstücken aus der Zeit.
Daneben sind in dieser Ausstellung Exponate zu sehen, die sich generell mit den Themen Krieg und Krisenregionen befassen.
Zu diesem Komplex zählt der Ausstellungsteil „In wessen Namen?“ im Jungen Museum des Osthaus-Museums.
Neben den Fotografien von Andy Spyra sind in diesem Teil u.a. die Zeichnungen „Wehrdienstverweigerung“ zu sehen, die der Hagener Künstler Karl-Friedrich Fritzsche Anfang der 70er Jahre beim Kreiswehrersatzamt einreichte.
Objektivität fällt in diesen Welten schwer. „Vielleicht erlebe ich manchmal eine Art Stockholm-Syndrom“, sagt Andy Spyra, „aber ich habe auch einen Sinn für Gerechtigkeit. Ich benenne die Dinge so, wie ich sie sehe. Mit kurdischen Kämpfern habe ich in Syrien direkt nach einem Gefecht zusammengesessen. In so einer Situation sitze ich mit denen in einem Boot. Wenn deren Stellung erobert wird, werden die Angreifer auch mich töten. Wir haben eine Zigarette geraucht und den Tod eines Menschen gefeiert.“
"Ich kann nicht mehr und gehe nach Hause"
Die Gefahr ist allgegenwärtig. Auch für den Mann, der nur mit seiner Kamera schießt. „Aber seitdem ich Vater einer Tochter bin, ziehe ich Grenzen an anderer Stelle“, sagt Andy Spyra, „ich gehe Risiken bewusster ein oder eben nicht. Angst spielt dabei eine Rolle. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Ich versuche immer, mir eine Exit-Strategie zurechtzulegen. Einen Ausweg, der mich von der Gefahr wegbringt.“
Eines der sieben Bilder zeigt einen Jungen, der auf einer Trage ins Krankenhaus transportiert wird. Es ist vor einigen Jahren auf Spyras erster Reise nach Kaschmir entstanden. „Er war offenbar völlig unerfahren“, sagt Spyra, „er ist aus der Deckung heraus auf die offene Straße getreten. Er ist blutüberströmt neben mir zusammengebrochen. Auf der Fahrt ins Krankenhaus wurde klar, dass er nicht überleben wird. Es war der erste Mensch, der vor meinen Augen gestorben ist.“
„Ich kann nicht mehr und gehe nach Hause“ – das sind die letzten Worte, die neben diesem Foto an der Wand stehen.