Hagen-Garenfeld. Gibt es bei der Kommunalwahl eine Überraschung im Hagener Norden? Die „Menschen unter Strom“, die sich gegen ein Umspannwerk in Garenfeld engagieren, treten für die Freie Wählergemeinschaft Hagen Aktiv an. Und rechnen sich durchaus Chancen gegen die etablierten Parteien aus.

Die Frau auf dem Flyer, der in Garenfeld in jedem Briefkasten gelandet ist, strahlt. Sie steht vor dem Umspannwerk der Mark-E, neben dem ein neues, noch größeres entstehen soll. „Ich kandidiere, um auch nach der Wahl etwas tun zu können“, steht dort in dicken Lettern.

Lange vor der Wahl haben Anne Stamm, Markus Kecker und die anderen Initiatoren der Bürgerbewegung „Menschen unter Strom“ etwas getan. Sie haben sich als David mit einem Goliath angelegt. Mit dem Netzbetreiber Amprion haben sie einen schier übermächtigen Kontrahenten dazu gebracht, den Bau der neuen Anlage vorübergehend auf Eis zu legen und mit den Anwohnern in ein Mediationsverfahren zu gehen. Sie haben Einwohnerversammlungen organisiert, sie haben Minister getroffen, und sie haben sich immer wieder an die Kommunalpolitik gewandt. Jetzt wollen sie ein Teil dieser Politik werden. „Hätte mir das vor einem Jahr jemand prognostiziert, hätte ich ihn für völlig verrückt erklärt“, sagt Anne Stamm.

Anliegen nicht ernst genommen

Es war ein Telefonat mit einem Spitzenfunktionär einer großen Hagener Partei, das den Ausschlag gab. „Das war ein Frechheit“, sagt Anne Stamm. „Wir haben mittags telefoniert, und ich hatte den Eindruck, als wäre er gerade erst aufgestanden. Der hat unser Anliegen gar nicht ernst genommen. Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass wir nur etwas verändern können, wenn wir selbst in die Politik gehen.“

Zahl der Mitglieder bei Hagen Aktiv auf 181 angestiegen

Dr. Josef Bücker, Vorsitzender von Hagen Aktiv und OB-Kandidat, sieht den Beitritt des Kerns von „Menschen unter Strom“ als Bereicherung für den Verein.

Durch die Aufnahme von Menschen, die sich in Bürgerinitiativen engagieren, sei Hagen Aktiv gewachsen. Aktuell hat der Verein 181 Mitglieder.

„Wir setzen uns seit unserer Gründung für mehr Bürgerbeteiligung ein“, so Josef Bücker, „auf diese Weise geben wir Bürgern die Chance, mehr Einfluss auf Politik zu nehmen.“

Ein Direktmandat für den Stadtrat hat Hagen Aktiv noch nicht geholt. In das Stadtparlament zieht Anne Stamm nur ein, wenn sie die Mehrheit der Stimmen im Wahlbezirk Kabel/Bathey/Garenfeld holt.

Jetzt strahlt sie von den Plakaten – weil sie für die Wählergemeinschaft Hagen Aktiv in die Bezirksvertretung Nord will und sich im Bezirk Garenfeld/Kabel/Bathey um ein Ratsmandat bewirbt. Am Rande einer Demons­tration vor dem Rathaus an der Volme war sie mit Dr. Josef Bücker, Vorsitzender des Vereins und zugleich Oberbürgermeister-Kandidat, ins Gespräch gekommen. Am Ende stand der Entschluss: Ich kandidiere.

Vor- und Nachteile abgewogen 

„Wir haben das im engeren Kreis diskutiert, Vor- und Nachteile abgewogen und schließlich zugesagt“, erklärt Anne Stamm, die vor sieben Jahren von Kiel nach Garenfeld gezogen ist. „Die Mitglieder haben uns mit offenen Armen empfangen.“

Zuvor hatten sich die „Menschen unter Strom“ immer wieder an die Politik gewandt. Nicht, wie sie sagen, weil sie mit allen Mitteln das Umspannwerk in Garenfeld verhindern wollen. Sondern weil sie eine sorgfältige und unabhängige Prüfungen von möglichen Alternativstandorten fordern, bevor in Garenfeld Fakten geschaffen werden.

Kein Interesse an Konflikt

„Zumindest einige Politiker, die sich vor Ort engagieren, haben uns dabei auch unterstützt“, sagt Markus Kecker, „aber hinter vorgehaltener Hand haben wir immer wieder zu hören bekommen, dass die Spitzen der etablierten Parteien kein Interesse an einem Konflikt um das Umspannwerk haben. Wir haben gespürt, wie wir im Wahlkampf zwischen die Fronten geraten sind. Unser Eindruck ist, dass es den Parteien gar nicht um die Menschen, sondern lediglich um deren Stimme geht. Einige schmücken sich mit Ideen und Vorschlägen, die wir an sie herangetragen haben.“

Seit klar ist, dass die „Menschen unter Strom“ für Hagen Aktiv antreten, ist der Ton schärfer geworden. In den sozialen Netzwerken, aber auch in der realen Welt. „Früher wurden wir für Sachlichkeit und gute Argumentation gelobt, jetzt wird uns vorgeworfen, wir seien polemisch“, so Anne Stamm. „In einem Aushang schreibt der CDU-Vorsitzende der Ortsunion Garenfeld, unsere Kandidatur habe ein ,Geschmäckle’, weil wir befangen seien. Das soll mir mal einer erklären. Wir jedenfalls sitzen nicht im Aufsichtsrat der Enervie.“

Konsequenzen nicht bedacht

Mit der Kandidatur aber erweitert sich zwangsläufig der Horizont der angehenden Juristin, die an der Fernuniversität ihren Master in Jura machen will und mit einem Büroservice und einer Schuldenberatung selbstständig gemacht hat. „In Garenfeld engagieren wir uns im Grunde seit einem Jahr auch als Initiative politisch“, sagt Anne Stamm, „aber mein Wahlkreis umfasst auch Kabel und Bathey.“

Dabei sieht die 34-Jährige durchaus gewissen Parallelen. „Die Diskussion um den Cargobeamer und das Böhfeld ähneln denen um das Umspannwerk“, sagt Anne Stamm, „in beiden Fällen werden gesamtstädtische Konsequenzen nicht bedacht.“

Bis nach Berlin hat es die Ratskandidaten in der letzten Woche geschafft. Wenn auch nicht in ihrer Eigenschaft als Politikerin, sondern als Mitstreiterin der Initiative. „Staatsseketär Uwe Beckmeyer hat mir gegenüber eingeräumt, dass es ein grundsätzliches Umdenken der Netzbetreiber bei der Planung von Trassen und Umspannwerken brauche“, so Anne Stamm, die vom Bundestagsabgeordneten René Röspel begleitet wurde. Zumindest der SPD-Politiker scheint keine Berührungsängste mit Bürgern zu haben, die sich auf kommunaler Ebene für andere Gruppierungen engagieren.