Hagen-Mitte. Im Rahmen unserer traditionellen Weihnachtsaktion bedenken wir in diesem Jahr die Hagener Kinderschutzambulanz.

Das Gespräch macht wütend. Das Gespräch wühlt auf. Weil man sich hilflos fühlt. Weil man am liebsten jedem dieser Kinder einen geborgenen Zufluchtsort schenken möchte. Gedanken schießen wie dunkle Blitze in den Kopf des Zuhörers. Ein Kind, das geschlagen wird. Kinder, die missbraucht werden. Kinder, die reine Instrumente in den Machtspielen von Erwachsenen sind. Dann richtet sich der Blick zu Malte Meißner. Er ist vielleicht nicht die Rettung – aber der Anfang davon. Denn er schenkt den verletzten Kinderseelen Gehör.

Überprüfen Sie sich selbst. Was denken Sie, wenn Sie das jetzt hören? Welches Gefühl haben Sie? Ein kleines Mädchen schlägt bei Ihnen auf. Es hat Rötungen im Intimbereich und es sagt folgende Worte: „Papa. Finger.“ Seien Sie ganz ehrlich.

In der Arbeitswelt von Malte Meißner nennt man so etwas einen unklaren Verdachtsfall. Eine der drei Kategorien von Kindern, die in der Kinderschutzambulanz an der Bergstraße vorstellig werden. Und in genau dieser Kategorie von Fällen wird deutlich, wie hoch sensibel der Fachberater für Psychotraumatologie vorgehen muss, wie nah Gut und Böse beieinander liegen können.

Bleiben wir bei dem Mädchen mit dem geröteten Intimbereich: „Ja“, sagt Malte Meißner, „hier kann ein Missbrauchsfall vorliegen.“ Er hält kurz inne. „Aber der Vater kann auch nur ein Zäpfchen eingeführt haben.“

Schlimme Erfahrungen

„Eines müssen wir uns immer klar machen“, sagt Malte Meißner, „nicht jedes Kind, das etwas Schlimmes erlebt hat, hat auch gleichzeitig ein Trauma.“ Grundsätzlich gelte: Ein Teil der Kinder kann von schlimmen Erfahrungen berichten, benötigt aber keine weitere Hilfe als seine Familie. Andere Kinder benötigen vorübergehend professionelle Unterstützung und wieder andere Kinder sind schwer traumatisiert.

Hinzu komme, dass viele Kinder mit einem Schweigegebot in die Schutzambulanz kommen. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass prügelnde Eltern ihren Kindern verbieten, über die grauenhaften Vorfälle zu sprechen. „Und Kinder können sehr loyal gegenüber ihren Eltern sein. Egal, was da vorfällt“, sagt Meißner.

Seine Arbeit ist ein Drahtseilakt. Man schwankt dabei zwischen Wahrheiten und Übertreibungen. Zwischen Wut und Mitgefühl. „Kinder haben eine sehr realistische Vorstellung davon, ob man ihnen glaubt oder nicht. Genauso wie sie ihre Eltern austesten, testen sie auch mich aus“, sagt Meißner. Glaubt er ihnen oder nicht? Wie reagiert er auf ihre Darstellungen, auf bislang streng Verborgenes? Meißner greift die Dinge auf, er beobachtet, er ordnet ein.

Keine therapeutischen Kontakte

Manchmal ist es wichtig, gezielte Fragen zu stellen. Aber viel öfter ist Dokumentation das A und O. „Es kann sein, dass ein Kind sich nur einmal öffnet. Das müssen wir festhalten.“ Ebenso wichtig ist es, die Situation eines Kindes zu erfassen: „Wie es zum ersten Bericht eines Kindes gekommen ist und auch, ob es jemanden gibt, der das Kind beeinflusst haben könnte.“

In der Kinderschutzambulanz passieren keine therapeutischen Kontakte. Hier geschieht Dokumentation. Am Ende von etwa fünf bis zwölf Kontakten steht eine Einschätzung darüber, wie es mit dem betreffenden Kind oder der Familie weitergehen kann. Danach übernehmen etwa Familienhelfer oder Therapeuten die Fälle.

Malte Meißner hat sich ganz bewusst für eine halbe Stelle in der Kinderschutzambulanz entschieden. „Das wollte ich gezielt so, um in der anderen Hälfte meines Arbeitslebens Kraft zu tanken und um das hier Erlebte ausgleichen zu können.“ 280 Kinder jährlich. 280 Geschichten, die aufwühlen können, die wütend machen. Das Team der Kinderschutzambulanz hört sie sich an, die Geschichten verletzter Kinderseelen.