Hagen. Es war einmalein Architekturbüro in Wehringhausen in der Bismarckstraße. Das suchte offensiv das Licht der Öffentlichkeit und entdeckte dafür den alljährlichen Schaufensterwettbewerb mit dem Motto „Märchenhaftes Hagen“. So gebaren die Bauschaffenden Christian Dickert und Michael Zargus die Idee, selbst ein Hagener Märchen mit dem Titel „Von einem der auszog, das Schöne zu schenken“ zu erdenken und mit Materialien aus dem beruflichen Schaffen – Transparentpapier, Fixierklammern, Modellbaukarton und Lichtinstallation – in Szene zu setzen. Das Ergebnis lässt sich in diesen Tagen vor allem in der Abenddämmerung bewundern.
Es war einmal ein kleiner Junge namens Karl, der wohnte in einem großen Haus in einer kleinen Stadt, in der vier Flüsse sich trafen. Karl hatte es gut, denn sein Vater war der reichste Mann der Welt (nun, zumindest kam es Karl so vor), und so konnte Karl in die Welt hinausziehen und bei den weisesten Männern des Landes allerlei Wissenswertes über Kunst, die Natur und alles, was die Menschen in ihrem Innersten denken, erlernen. Karl war nicht nur reich, er war auch schlau, und die Welt lag ihm zu Füßen.
Zurück in der Stadt der vier Flüsse
Als Karl der Meinung war, er habe genug gelernt (und die weisesten Männer des Landes waren derselben Meinung), zog es ihn zurück in die Stadt an den vier Flüssen, denn daheim ist immer noch daheim, egal, wie reich und klug man ist. Die Eltern und Großeltern freuten sich sehr, Karl wiederzusehen, er heiratete die schöne Gertrud, und der Vater hatte schon Pläne für Karl. Wer, wenn nicht sein Sohn, sollte all die Goldschätze verwalten, die in dem großen Haus in der kleinen Stadt mit den vier Flüssen lagerten?
Karl aber schaute sich in der kleinen Stadt um und war nicht glücklich. Die vielen Fabriken (auch die des Großvaters) hatten sie hässlich gemacht, und auf seinen Reisen hatte Karl so viel Schöneres gesehen. Da stampfte Karl mit dem Fuß feste auf den Boden und schwor sich „Ich will nicht in meinem Golde baden, ich will, dass aus der kleinen Stadt an den vier Flüssen eine schöne kleine Stadt wird, in der die Menschen glücklich sind!“.
Kleine Stadt schön gemacht
Am Ende des Winters fügte es sich, dass Karls Großvater starb, und zur Überraschung aller sollte Karl all das Gold und die Juwelen bekommen, die der Großvater mit seinen Fabriken so angesammelt hatte. Karl erinnerte sich an seinen Schwur, und er begann, die kleine Stadt schön zu machen, auch, wenn seine Eltern andere Pläne hatten. Karl machte sich an die Arbeit und baute ein Haus, in dem alle Menschen lernen und staunen sollten. Aber ach, als das Haus halb fertig war, gefiel es Karl nicht mehr. Es sah aus, wie alle anderen Häuser, die Karl kannte, es war nicht schöner und nicht besser. Karl war verzweifelt und setzte sich unter die große Eiche mit den elf Blättern, die nah bei seinem Haus im Walde stand.
Als er da so saß, kam aus dem dunklen Wald ein Mann geritten, der hatte ein schwarzes Pferd und eine große Nase. Sein Gewand war über und über mit den schönsten Ornamenten bedeckt, und Karl fragte „Wer bist Du?“ „Ich bin Prinz Heinrich“, sagte der Mann, „und ich reite umher, die Welt schöner zu machen.“ Karl war glücklich.
Schöner als jedes andere Haus
Zusammen mit Prinz Heinrich mit der großen Nase baute Karl das Haus inmitten der Stadt fertig, und siehe, es war schöner und außergewöhnlicher, als je ein Haus in der kleinen Stadt mit den vier Flüssen gewesen ist. Karl mochte den Prinzen sehr, und er wollte mehr als ein schönes Haus, er wollte eine ganze Stadt errichten, in der die Menschen sehen und verstehen konnten, wie schön die Welt sein konnte, auch, wenn überall Fabriken standen. Viele Bürger der kleinen Stadt aber sahen nicht, was Karls Pläne mit ihrem einfachen Leben zu tun hatten, doch Karl war sich sicher, wenn die Stadt erst einmal fertig war, würde ein jeder es begreifen. Er ließ den Prinzen mit der großen Nase ein Schloss für sich und seine Frau bauen, und auch dieses war schöner und außergewöhnlicher als kaum ein Schloss zuvor irgendwo auf der Welt. So schön war es bis in die letzte Klinke, dass es des Wunderbaren zu viel war, und so lief eines Tages selbst Karls Frau davon, weil sie ihren Tee aus der Tasse mit den schönen Verzierungen nicht mehr in dem Kleid mit den schönen Ornamenten trinken wollte, die allesamt Prinz Heinrich erdacht hatte. Aber in der Stadt strahlte die Schönheit, und der Pläne waren viele. Prinz Heinrich ritt von dannen, denn siehe, seine Arbeit in der kleinen Stadt an den vier Flüssen war getan.
Neidische Blicke aus der Nachbarschaft
Die Kunde von Karl und seiner Stadt verbreitete sich im ganzen Land, und schon bald zogen allerlei Kunstfertige, Maler und Baumeister in die kleine Stadt an den vier Flüssen, um Karl dabei zu helfen, eine Stadt zu bauen, die vor Schönheit nur so strahle, auf dass es allen Menschen gut erginge. Man malte und baute und trieb allerlei schöne Künste, und selbst die größten und schönsten Städte des Landes schauten neidisch auf die kleine Stadt an den vier Flüssen.
Aber ach, es begab sich, dass ein großer Krieg über das Land zog, und Karl war nicht mehr. Mit ihm gingen all seine Pläne, und all die schönen Bilder und Kunstwerke wurden in andere Städte geschafft. Die kleine Stadt an den vier Flüssen war wieder trist, und sie ist es bis heute. Und noch immer sitzen die Bewohner der kleinen Stadt, zumindest jene, die die Schönheit in Karls Gedanken erkannt haben, unter der Eiche mit den elf Blättern am Waldesrand und warten auf den Prinzen mit der großen Nase auf dem schwarzen Pferd, der seit Jahr und Tag nicht wiederkehrt. Sommer und Winter vergehen, es schauen die Hirsche und Rehe und unter der Eiche sitzen junge und alte Männer und Frauen wie einst der junge Karl und fragen sich, wann endlich die Schönheit wieder Ihre Stadt erstrahlen wird. So kann man sie dort sitzen sehen, die Jahre ziehen vorbei, und wenn sie nicht gestorben sind, dann warten sie noch heute.