Hagen. . Seit der Frühzeit der Menschheit singen Eltern ihre Kinder in den Schlaf. Und zwar ausnahmslos in allen Kulturen. Unser crossmediales Liederprojekt stellt jetzt „Wiegenlieder aus aller Welt“ vor
Mit der Stimme kann man streicheln, denn das Ohr ist ebenfalls ein Tastorgan: In allen Kulturen ohne Ausnahme singen Eltern deshalb ihre Kinder in den Schlaf. Seit der Frühzeit der Menschheit ist dieser Brauch belegt. Unser beliebtes Liederprojekt schlägt daher ein neues Kapitel auf und wird nun international. Ab Montag stellen wir Ihnen nach den Kinderliedern nun Woche für Woche ein neues Wiegenlied aus aller Welt vor.
In Zusammenarbeit mit dem Chorverband „European Choral Association - Europa Cantat“ hat das Liederprojekt 51 traditionelle Wiegenlieder in 42 Sprachen gesammelt. „Guten Abend, gut Nacht“ gehört ebenso dazu wie „All the pretty little horses“ aus den USA. Aber auch aus China, Ostafrika, Korea und der Slowakei kommen die Wiegenlieder. Die crossmediale Aufbereitung ist also besonders wichtig, schließlich gilt es hier, Neuland zu entdecken, denn es handelt sich um Lieder, die man nicht kennt.
Mitsingversionen und Notenblatt
Daher können Sie, liebe Leserinnen und Leser bei uns wieder das Notenblatt herunterladen oder ausdrucken, und es gibt gesungene Fassungen und Mitsingversionen zum Kennenlernen und Nachsingen. Dazu kommen zudem Aussprache-Hilfen.
Es scheint ein grundlegendes, zutiefst menschliches Bedürfnis zu sein, die Kleinsten liebevoll zur Ruhe zu geleiten und ihnen dabei ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln. Die internationalen Wiegenlieder zeigen faszinierende Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf. Einige Kulturen verwenden andere Tonleitern als das in Europa gebräuchliche Dur und Moll. Auf Papua-Neuguinea oder den Salomoninseln dürfen ausschließlich Frauen Wiegenlieder singen. In Afrika ist es wiederum üblich, in größeren Gruppen zusammen für die Mädchen und Jungen zu singen.
Gemeinsam ist weltumspannend aber eins: Die menschliche Stimme ist von immenser Bedeutung für das neugeborene Kind. Eltern in den unterschiedlichen Kulturen haben mit ihren Babys einen intensiven stimmlichen Kontakt. Ganz intuitiv erzeugen sie einen Singsang, bei dem die Stimme besonders gebraucht wird: Sie wird angehoben und bildet sogenannte melodische Konturen.
Bedürfnis nach Ausdruck
„Vermutlich waren diese melodischen Konturen bereits üblich, bevor sich die Kulturen auseinander entwickelten und wahrscheinlich sogar, bevor sich im Laufe der Menschheitsentwicklung Singen und Sprechen herausbildeten. Offenbar leben die melodischen Konturen in den Melodien des menschlichen Gesangs weiter. Das mag wohl die tiefe Wirkung und das Bedürfnis nach Ausdruck durch Singen erklären“, so die Musikwissenschaftlerin Dr. Inge Cordes.
Wiegenlieder können traurig sein, aber vor allem drücken sie Lob und Entzücken aus. Sie preisen die Schönheit und Einmaligkeit des Kindes, das zärtlich mit Kosenamen bedacht wird, und sie malen ihm eine gute, sogar märchenhafte Zukunft aus.
Wiegenlieder bedeuten Heimat. Dieser Aspekt wird immer wichtiger, da immer mehr Familien sich auf der Wanderschaft befinden, auf der Flucht vor Armut und Gewalt oder auf der Suche nach Glück für sich und ihre Kinder. „Dabei stehen die Eltern vor der Aufgabe, ihren Kindern Geborgenheit zu vermitteln, ohne ihnen die Sicherheit eines gewachsenen festen Zuhauses bieten zu können“, so der Berliner Kinder- und Jugendmediziner Prof. Dr. Christoph Bührer.
„Das abendliche Singen vor dem Einschlafen gehört zu den Ritualen, die Geborgenheit vermitteln. Die Kinder mögen in einer anderen Sprache aufwachsen, die sie im Gegensatz zu ihren Eltern vielleicht akzentfrei sprechen lernen, aber die Wiegenlieder ihrer frühen Kindheit werden ihnen als Brücke zur Kultur ihrer Vorfahren bleiben.“ Also wird die deutsche Mutter in Australien „Der Mond ist aufgegangen“ vorsingen, während die türkische Mutter in Berlin „Dandini dandini dastana“ summt.