Hagen. Sie galt mehr als drei Jahrzehnte lang als das Aushängeschild der WP. Ihre Bilder wurden mindestens ebenso geschätzt wie ihr Wesen. Fotografin Helga Reiher ist mit 79 Jahren verstorben.
Sie war das Gesicht der Westfalenpost. Und sie hat dieser Zeitung ein Gesicht gegeben. Mehr als drei Jahrzehnte war sie fotografische Chronistin dieser Stadt, die ihr so sehr am Herzen lag und deren unvergesslicher Teil sie war. Am 3. Oktober ist Helga Reiher gestorben. Sie wurde 79 Jahre alt. Auf ihren persönlichen Wunsch hin, den die WP selbstverständlich respektiert hat, sollte ihr Tod erst nach ihrer Beisetzung bekannt werden.
Die, die sie gekannt und die mit ihr zusammen gearbeitet haben, sind voller Trauer. Denn die Spuren, die Helga Reiher hinterlassen hat, sind nicht nur beruflicher Art, vielmehr ist es der Mensch, an den wir uns oft und gern erinnern. Der Mensch, der seine Emotionen nicht verbarg, der jederzeit lachen oder weinen, sich laut empören oder tief traurig, ausgelassen fröhlich oder in sich gekehrt sein konnte. Aus ihrer Stimmung machte Helga Reiher nie ein Geheimnis.
Fotografieren als Berufung
Den Umgang mit der Kamera hat Helga Reiher von der Pike auf gelernt. Erst vor dem Objektiv, schließlich dahinter. Und dass sie das Fotografieren nicht nur als Beruf, sondern durchaus auch als Berufung verstand, war ihren Bildern anzusehen. Sie „lebten“, auch wenn nur ein lebloser Gegenstand ins Bild gerückt werden musste. Aber vor allem waren es die Menschen, die es der Fotografin angetan hatten.
Ob alt oder jung, bekannt oder nicht, vor dem Objektiv ihrer geliebten Leica waren alle gleich. Und ihr gelang, was im journalistischen Foto-Gewerbe durchaus nicht gang und gäbe ist: Nie erlag sie dem Reiz, einen Menschen fotografisch vorzuführen. Mochte es ihr gelegentlich auch schwer fallen. Helga Reiher kannte alle die kleinen und großen Schwächen jener, die öfter zu fotografieren waren.
In die Mitte des Bildes gedrängt
Zum Beispiel die eines Oberbürgermeisters, der stets nur von seiner vermeintlich schönen Seite fotografiert werden wollte. Oder die jenes Finanzausschuss-Vorsitzenden, der stets zur Stelle war, wo eine Kamera ins Blickfeld kam. Und sich ganz selbstverständlich als Hauptperson des zu machenden Fotos wähnte. Ein Trugschluss, wie das veröffentlichte Bild offenbarte. Aber auch am Rande konnte man bei Helga Reiher noch eine gute Figur machen.
Ihre ersten journalistischen Gehversuche hatte Helga Reiher bei der damaligen Hasper Zeitung unternommen, bevor sie Mitte der sechziger Jahre – Foto-Reporterinnen waren seinerzeit eher eine Rarität – zur Westfalenpost wechselte. Der gute Ruf, der ihr bereits aus Haspe vorauseilte, erhielt schließlich bei der WP jenen Glanz, der bis heute nicht verblasst ist. Wobei es nicht nur die Bilder waren, die Eindruck hinterließen.
Charme und Eleganz
Auch ihre Persönlichkeit. Ihr starker Auftritt, gepaart mit Charme und einer unübersehbaren Eleganz, konnten auch aus einer eher tristen Zusammenkunft durchaus eine Art Event machen. Wie sie beispielsweise Menschen, die alles andere als leicht zu handhaben waren, für eine Aufnahme gruppierte, war schon eindrucksvoll.
Die alte Feldwebel-Ansage „Alles hört auf mein Kommando“ hat man selten sympathischer gehört. Und sympathisch waren auch ihre kleinen Schrullen, die sie intensiv pflegte. Beispielsweise dauerte es ziemlich lange, bis sie die fürs Autofahren empfohlene Brille nicht mehr nur in der Fototasche spazieren fuhr. Selbstbewusst stand Helga Reiher zu ihrer Eitelkeit.
Stadtgeschichte dokumentiert
Zu sehen waren ihre Bilder nicht nur in der Westfalenpost, sie fanden auch Eingang in andere Publikationen und waren – themenbezogen – Gegenstand von Ausstellungen. Helga Reiher hat Tausende von Negativen, trotz ihres wenig ausgeprägten bürokratischen Charakters ordentlich sortiert und beschriftet, hinterlassen. Sie dokumentieren ein gutes Stück Stadt- und Zeitgeschichte. An der sie selbst keinen geringen Anteil hatte.
Auch wenn Helga Reiher, die zeit ihres Berufslebens Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit durchaus genoss, in den letzten Jahren aufgrund ihrer schweren Erkrankung sehr zurückgezogen lebte, sie wird uns unvergessen bleiben. Und nicht nur uns.