Hagen. .
Wir nehmen es uns heraus, den heimischen Bundestagskandidaten Klassenbucheinträge zu schreiben. Ihr erstes politisches Säbelrasseln fand gestern schließlich in der Cuno-Berufsschule statt. Zwei Tadel sind dabei. Und einige blaue Briefe. Denn: CDU-Bundestagskandidatin Cemile Giousouf blieb der Veranstaltung fern. Und das Feuer der Politikbegeisterung vermochte die erste Diskussionsrunde der Spitzenkandidaten bei den Berufsschülern nicht im Entferntesten zu entfachen.
Zwei Fehlstunden
Cemile Giousouf (CDU) ist erst vor wenigen Tagen nach Hagen gezogen. Die Kandidatin aus Aachen mit türkischen Wurzeln wolle sich schnellstmöglich in Hagen einleben und mit den Menschen dieser Stadt in Kontakt treten, ließ sie verlauten. Gestern wäre vor rund 200 Cuno-Schülern und jungen Wahlberechtigten eine gute Gelegenheit dazu gewesen. Doch Giousouf hatte ihren Auftritt bei der ersten öffentlichen Diskussionsrunde der Bundestagskandidaten zwei Wochen vorher abgesagt.
Auf ihrer Facebook-Seite schrieb sie gestern Vormittag: „Auf dem Weg nach Casablanca zur Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung (...)“ Und weiter: „Besten Dank für die Einladung an die Stiftung, freue mich auf neue Impulse und ein wenig Kraft- und Sonnetanken vor dem Endspurt.“ Aber gehörte die Veranstaltung gestern nicht schon zum Endspurt? Und wäre sie nicht bedeutend gewesen, um wichtige Stimmen in einer jungen, politisch noch unorientierten Wählerschaft abzugreifen? Giosoufs Klassenbucheintrag: Zwei Fehlstunden. Aber wenigstens entschuldigt.
Wackeliger Pirat
Auch nicht dabei gestern Vormittag: Piraten-Kandidatin Maja Tiegs. Für sie saß ihr Vertreter Christian Specht auf dem Podium. In der dreiminütigen Freie-Rede-Phase zum Warmmachen verspielte er gleich viel Aufmerksamkeit. Die Sätze „Wir sind die, von denen man sagt, wir hätten kein Parteibuch“ und „Das muss ich nachschlagen, ich hatte nur wenig Zeit, mich vorzubereiten“ waren ein Aufmerksamkeits-Killer. Immerhin: Für die Unterstützung der Idee, ein bedingungsloses Grundeinkommen gesetzlich zu verankern, erntete er zustimmendes Nicken. Klassenbucheintrag: Nachsitzen und das Profil der Piraten stärker herausarbeiten.
Einfach undeutlich
Thomas Schock, Kandidat der Linken, gab einen Einblick in seine Vita: Er habe Hauptschulabschluss, später das Fachabitur nachgeholt und sei jetzt technischer Betriebswirt. Sein Identifikationsfaktor bei der zuhörenden Schülerschaft war also, genau wie bei Grünen-Kandidat Frank Steinwender (einst Cuno-Schüler, später Betriebsschlosser-Lehre), recht hoch. Der Satz „Je besser die anderen Parteien ihre Arbeit machen, desto unwichtiger werden wir Linken“ sorgte aber für einige Irritation. Klassenbucheintrag: Wenn schon polarisieren, dann eindeutiger und verständlicher.
Am Alltag vorbei
Der Ansatz, vor Berufsschülern, die vor dem Eintritt in den ersten Arbeitsmarkt stehen, über die fehlende Moral in internationalen Transaktionsgeschäften, über die gestrichene Eigenheimzulage und die private Altersvorsorge zu referieren, mag zukunftsgerichtet sein. Tatsächlich aber ist es vom Lebensalltag der jungen Menschen so weit weg wie Hagen von Casablanca.
Wie gut, dass die Wortmeldung eines Schülers den theoretischen Referaten Lebendigkeit einhauchte: „Was sagen Sie eigentlich zum Tempolimit?“ René Röspel (SPD) antwortete: „Nennen Sie mir ein rationales Argument gegen das Tempolimit.“ Es entstand zum Schluss eine konstruktive Diskussion über Emotionen und Vernunft.
Klassenbucheintrag: Gut differenziert. Von Kandidaten und Schülern.
Die Gewinner
Röspel und Katrin Helling-Plahr (FDP) gehören zu den Gewinnern der ersten Diskussionsrunde. Helling-Plahr machte einen kommunalen Sparvorschlag: Der Stadtrat könne doch verkleinert werden. Ob sie ihr eigenes Mandat auch bedacht hat. Klassenbucheintrag: Gut und solide präsentiert.