Hagen.

Am 13. Mai entscheidet sich, wer in den Landtag einzieht und wer die nordrhein-westfälische Regierung stellt. 137 800 Hagener sind wahlberechtigt, darunter 3800 Erstwähler. Doch gerade den jungen Menschen wird Politikverdrossenheit nachgesagt. Dass diese jedoch keineswegs nur die jüngere Generation betrifft und wie wichtig es ist, zur Urne zu gehen, erläutert Dr. Dorothée de Nève, Vertretungsprofessorin für Politikwissenschaften an der Fernuniversität in Hagen.

Viele junge Menschen interessieren sich nicht für Politik und nehmen auch ihr Wahlrecht nicht wahr. Warum ist das so?

Dr. Dorothée de Nève: Aus der niedrigen Wahlbeteiligung der jüngeren Generation sollten wir nicht gleich schlussfolgern, dass sie sich nicht für Politik interessiert. Parteienverdrossenheit und Politikerverdrossenheit sind weit verbreitet. Aber das Interesse an Politik ist groß. Das vielfältige gesellschaftspolitische Engagement spielt eine wichtige Rolle. Außerdem sind neue Formen der Partizipation wie z.B. Online-Petitionen, Smartmobs und politische Proteste, die über soziale Netzwerke organisiert werden, sehr im Trend und beeinflussen politische Prozesse und Entscheidungen.

Eine sicherlich nicht ganz leicht zu beantwortende Frage: Warum sollte man wählen gehen?

de Nève: Nur wer wählt, der zählt. Bürger, die nicht zur Wahl gehen, sind in den politischen Institutionen nicht repräsentiert. Das heißt, wenn z.B. junge Frauen und Männer nicht wählen gehen, dann ist diese Generation auch nicht vertreten. Im Landtag von Nordrhein-Westfalen waren zuletzt nur 5 von 181 Abgeordneten jünger als 30 Jahre. Dabei geht es ja nicht nur darum, dass die jüngere Generation sichtbar anwesend ist, sondern insbesondere darum, dass die besonderen Interessen der jüngeren Generation auch von ihr selbst vertreten werden, z.B. in der Kulturpolitik, in der Bildungspolitik und natürlich auch in der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik.

Was bringt es mir persönlich, wenn ich zur Wahl gehe? Wirkt sich das auf meinen Alltag aus?

de Nève: Mit der Stimmabgabe kann man Prioritäten setzen. Man kann sich z.B. entscheiden, ob alle Studierenden BaFöG bekommen sollen, ob in Nordrhein-Westfalen gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden dürfen, ob die Geschäfte sonntags geöffnet werden dürfen und ob es künftig in Gaststätten ein generelles Rauchverbot geben soll etc.

NRW-Landtagswahl 2012Wer einer bestimmten Person und einer bestimmten Partei seine Stimme gibt, macht diejenigen stark, die sich dann auch für diese Interessen engagieren. Das heißt aber nicht unbedingt, dass man alles bis ins letzte Detail gutheißen muss, was diese Partei tut. Wichtig ist, dass die Positionen übereinstimmen, die für einen selbst am wichtigsten sind.

Stimmt es, dass eine niedrige Wahlbeteiligung die radikalen Parteien stärkt?

de Nève: In Nordrhein-Westfalen treten zur Landtagswahl 2012 17 verschiedene Parteien an, dazu gehören auch einige Parteien, die aufgrund ihrer politischen Position durchaus als radikal bzw. extremistisch zu bezeichnen sind. Die Mandatsverteilung zwischen den Parteien hängt natürlich von der Wahlbeteiligung und den tatsächlich abgegebenen Stimmen ab. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass kleinere, auch radikale Parteien profitieren und im Landtag vertreten sind. Wenn die Wahlbeteiligung niedrig ist, entscheiden außerdem nur wenige Stimmen, welcher Kandidat in einem Wahlkreis gewinnt. Der Wettbewerb, wer die nächste Landesregierung stellen wird, ist also noch lange nicht entschieden. Gerade deshalb ist es wichtig, dass viele Bürger ihre Stimme abgeben.

Wenn junge Leute nicht wissen, was sie wählen sollen – wo und wie können sie sich informieren?

de Nève: Die Lektüre von Parteiprogrammen mag vielleicht etwas mühselig erscheinen, obwohl man da natürlich die O-Töne hat, das heißt, die direktesten und besten Informationen erhält. Es gibt aber viele andere Wege, sich zu informieren. Interessante Informationen zu Parteiprogrammen findet man im Wahl-O-Mat und auf den Internetseiten der Parteien. Wenn man was über die Kandidaten erfahren will, kann man sich den Kandidatencheck bei Abgeordneten Watch anschauen oder man besucht eine Wahlveranstaltung live.

Wenn Wahlen wirklich so wichtig sind, warum gibt es dann keine Wahlpflicht?

de Nève: In demokratischen Systemen ist die Teilnahme an Wahlen eine freiwillige Angelegenheit – wer nicht will, der muss auch nicht zur Urne gehen. Das ist natürlich gut so. Die Wahlpflicht wurde in den letzten Jahrzehnten fast überall abgeschafft. Zwang ist out – aber mitmachen ist in. Demokratie funktioniert nur, wenn die Bürger sich beteiligen.