Hagen-Haspe. Ein Hüne voller Fröhlichkeit und mit türkischen Wurzeln führt künftig als Kirmesbauer den Hasper Brauchtumszug an. Aber es gibt auch Skeptiker.
„Diese Aufgabe flößt mir durchaus Respekt ein. Ich spüre eine besondere Verantwortung.“ Der Mann, der diese Sätze formuliert, ist bestimmt kein ängstlicher Typ. Im Gegenteil: Wer knapp zwei Meter misst, fast 140 Kilogramm gestählte Muskeln an seinem Körper trägt und sechsmal in der Woche im Fitnessstudio Gewichte pumpt, braucht sich wahrlich nicht zu verstecken. Doch diese Rolle ist anders – sogar außergewöhnlich: Wer im Hasper Brauchtum als Kirmesbauer geschätzt, respektiert und als traditionsreiche Symbolfigur sicherlich auch geliebt werden will, muss vor allem die Herzen der Menschen erobern. Eine komplexe Aufgabe, die viel komplizierter zu lösen ist als monotones Hantelstemmen. Vor allem, wenn man die Sympathie der Jüngsten sucht – Kinder sind mit ihrer unverblümten und oft undiplomatischen Betrachtungsweise bekanntlich die härtesten Kritiker. „Kann das einem so jungen Mann mit türkischem Migrationshintergrund eigentlich gelingen?“, kennt er die Stimmen der Zweifler.
Doch der 24-Jährige, der mit seiner imposant-freundlichen Erscheinung jeden Raum sofort mit Charme und Fröhlichkeit für sich einnimmt, weiß genau, worauf er sich einlässt und wie vielfältig die Erwartungen sind: „Ich will keinen enttäuschen“, formuliert Muhammed Sarac, den alle nur „Momo“ nennen, seinen ehrgeizigen Anspruch. Als Hasper Junge hat er schon in frühester Jugend echte Kirmesbauer-Legenden wie Udo Röhrig oder auch Michael Kröner als seine Brauchtumsidole entdeckt und sich vom Kirmesvirus infizieren lassen.
Kindheitstraum wird wahr
Einmal in die Rolle des stets wohlgelaunten Mannes mit den überdimensionalen roten Schuhen mit weißen Bommeln schlüpfen. Einmal mit weißen Hosen und knatschrotem Wams sowie einem Herzchen-Regenschirm in der Hand die Kinder am Wegesrand abklatschen. Einmal mit einem echten Esel als treuen Begleiter im Tross und mit der Kraft der eigenen Aura die Herzen der Damen im Vorbeigehen erobern – diesen Traum hegte der Hasper Junge schon seit seinen Kindestagen.
Zwar geboren in Hohenlimburg, verbrachte „Momo“ seine gesamte Kindheit an der Enneper Straße. Direkt neben der Wagenbau-Halle von Hackebämmels Enkeln stand damals sein Elternhaus, sodass der Kleine stets mit Neugier verfolgte, was sich dort Ungewöhnliches zutrug. Bereits als Grundschüler durfte er bei dem benachbarten Kirmesverein beim Bemalen helfen, ließ als Elfjähriger von seiner Mutter den Mitgliedsantrag unterschreiben, sodass er von Stund an auch versichert war, wenn er eifrig zu Säge und Bohrer griff. Seitens seiner Eltern, die das alljährliche Brauchtumsspektakel vom Festzugspektakel vor ihrer Tür ja kannten, gab es da keinerlei Bedenken. Seit diesem Tag hat er als aktiver Teilnehmer keinen Zug mehr ausgelassen.
Im Fokus der Zweifler
Muhammed Sarac ist Kind einer türkischen Zuwandererfamilie in der dritten Generation. Er hat einen deutschen Pass, lebt von Geburt an in diesem Land und hat mit der Ernst-Eversbusch-Hauptschule zumindest vom Namen her eine echte Kaderschmiede für Hasper Traditionalisten besucht. Und obwohl selbst in seinem Elternhaus immer Deutsch gesprochen wurde, spürt er die latente Skepsis bei manch eingefleischten Haspe-Puristen entlang des Ennepestrands. Auch in den sozialen Netzwerken tauchen Fragen auf wie „Sollte das ein Türke machen?“, „Ist er nicht zu jung?“, „Weiß er, was er tut?“. Manch einer muss sich erst an die Vorstellung gewöhnen, dass hier kein alter weißer Mann namens Ernst-August, Udo oder Michael den Job übernimmt, sondern ein Muhammed.
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„Ich bin Deutscher, bezahle hier meine Steuern, werde aber nicht überall akzeptiert.“ Dennoch hat der selbstbewusste Muslim, der durchaus fastet, aber den Genüssen des Lebens keineswegs abgeneigt ist, das Gefühl, dass angesichts der Sozialstrukturen im Hagener Westen der richtige Zeitpunkt für seinen Auftritt gekommen sei. Für ihn zählt einzig und allein der Mensch. „Ich habe kaum türkische Freunde, aber zahlreiche Bekannte aus vielen anderen Nationen“, gibt es ebenso aus diesem Umfeld verschiedenste Reaktionen auf seinen Kirmesbauer-Job: „Einige feiern das, andere verstehen es nicht.“
Keine Angst vor echter Maloche
Sein Geld verdient „Momo“ bei Thyssenkrupp in Hohenlimburg, wo er zurzeit noch mit seiner Schwester unter einem Dach wohnt. Doch eigentlich zieht es ihn zurück nach Haspe, wo einst die Hammerschmiede und Stahlkocher den Rhythmus diktierten. Als Verfahrenstechnologe bei der Coil-Herstellung ist der klassische Metallarbeiter in der Tradition der Hasper Gewerke heute ebenso „Knöpfedrücker“ wie Malocher. Zugleich engagiert er sich im Betrieb als Jugendvertreter und bei der Werksfeuerwehr.
Beim Kirmesbauer-Casting vor der Jury des Hasper Heimat- und Brauchtumvereins konnte er jedoch nicht bloß mit seiner imposanten Erscheinung und seiner offenen Fröhlichkeit, sondern vor allem mit seiner Herzlichkeit überzeugen: „Als mich noch am selben Abend der HHBV-Präsident anrief, um mir mitzuteilen, dass die Wahl auf mich gefallen sei, waren die Glücksgefühle groß, aber ich spürte auch sofort die große Verantwortung.“
Imposantes Schuhwerk nach Maß
Einer seiner ersten Wege führte ihn im Anschluss naturgemäß zu Schustermeister Axel Langguth an der Tillmannsstraße, um sich das imposante Schuhwerk des Kirmesbauern maßgeschneidert anfertigen zu lassen: „Ich habe ja so schon Schuhgröße 48, mit der neuen Schnabelschuh-Spitze – eine Carbonschiene macht’s möglich – dürften wohl noch einmal 48 Nummern hinzugekommen sein“, hat er die imposanten Monster-Latschen mit den weißen Bommelpuscheln an der Spitze inzwischen eingelaufen. Bei seiner Inthronisierung beim Hasper Mai-Fest war er damit noch etwas unbeholfen die Bühnentreppe hinauf gestolpert.
Doch das ist Schnee von gestern. Das Hammerschmied-Fest in Gevelsberg liegt ebenso wie der Hasper Kirmeskommers als Auftakt in die tollen Tage bereits hinter ihm, an diesem Wochenende steht das Wolkenschieberfest im Hof der Dieter-Klöckner-Stiftung (alte Hasper Feuerwache) an. „Ich bin jetzt schon sehr nervös, aber freue mich auch“, blitzen die Augen von „Momo“, und er verspricht zugleich, für die Kirmesbauer-Rolle einen langen Atem mitzubringen. Allein schon, um die Herzen der Kinder gewinnen zu können. Aber auch, um die Kirmes wieder zu einem attraktiven Magneten für alle Hasper zu entwickeln.