Hagen. Den Menschen in der Selbecke reicht es: Die Straße in Hagen ist eine Schlaglochpiste. Und Lastwagen machen sie zu einer Rennstrecke.

Wenn es mal wieder besonders schlimm wird, zieht sich Klaus Butz die Jacke über, geht ein paar Meter bis zum Zebrastreifen hinüber. Und wenn er dann aus der Ferne einen Lastwagen heranrauschen hört, tritt er an den Rand der Fahrbahn, zwingt den rasenden Lkw bis zum Stillstand abzubremsen und schreitet gemächlichen Fußes über die Fahrbahn. Wenn es mal wieder besonders schlimm ist, kann der Rentner aus der Selbecke dieses Schauspiel im Minuten-Rhythmus wiederholen.

Hagen, tief im Süden, in der Nähe des Freilichtmuseums: „Was wir hier ertragen müssen, das glaubt einem kein Mensch“, sagt Klaus Butz, der beileibe kein Einzelkämpfer ist und nun gemeinsam mit weiteren Anwohnern - Günter Hartmann, Ersin Genc und Christel Kipping - Wut und Protest in geordnete Bahnen lenken will. Ein Flugblatt ist in der Selbecke verteilt - auch an die betroffenen Schulen unmittelbar an bzw. in der Nähe der Straße. Die Resonanz - so sagt Butz - sei in den ersten Tagen schon ordentlich.

Straßenzustand hat sich verschlimmert

Der erbärmliche Zustand der Straße, die nach Sperrung der Rahmedetalbrücke an der Autobahn 45 und der B 54 im oberen Volmetal für Lastwagen durch die geplagte Stadt Lüdenscheid zu einer der Hauptausweichrouten geworden ist, ist das eine. Tiefe Schlaglöcher, die für Roller- und Radfahrer zu einer erheblichen Gefahr werden können, kennzeichnen die Fahrbahn. Das hohe Tempo, das hier, wo teils 30 Kilometer pro Stunde, teils Tempo 50 erlaubt ist, sei das andere Problem.

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Gerade Lastwagen, die aus Richtung Breckerfeld kommen, donnern hier durch, als gäbe es kein Morgen“, sagt Butz, „die haben teilweise 80 Sachen drauf. Wenn man selbst mit 30 fährt und die sich im Rückspiegel von hinten nähern - was glauben Sie, was die für einen Druck machen.“

Rasende Lkw auf dem Smartphone

Um seine Aussage zu stützen, zieht Butz sein Smartphone aus der Tasche, öffnet die Bilder-App und zeigt Videos von vorbeirauschenden Lastwagen, die er selbst gefilmt hat. „Einen erwische ich hier jeden Abend - immer zur selben Uhrzeit. Immer gegen 22.15 Uhr.“

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Was durchaus Konfliktpotenzial mit sich bringt. „Ich bin schon wüst beschimpft worden, wenn ich mein Handy am Fahrbahnrand gezückt habe“, sagt Klaus Butz, der für sein Schlafzimmer zur Straße hin nach eigenen Angaben spezielle Vorhänge angeschafft hat, die ihn vor dem Schall von der Straße schützen sollen.

Schallmessung mit Handy ergibt 105 Dezibel

Schall, den Günter Hartmann, der ein Stück weiter unten am Hang oberhalb der Selbecker Straße wohnt, mit einer Handy-App gemessen hat. Das Ergebnis: 105 Dezibel (db) im Maximum. Ein Wert, den die App als „gefährlich“ einstuft. Im Schnitt misst Hartmann immerhin noch 84 dB. Die Grenzwerte, ab denen die Bundesregierung Mittel für eine Lärmsanierung zur Verfügung stellt, liegen - so hat Hartmann recherchiert - bei 64 db tagsüber und nachts bei 54 dB. Während andere Kommunen in der Nachbarschaft Lärmwerte für ihre Straßen in eine NRW-Karte eingetragen haben und diese im Internet abrufbar sind, fehlen diese Angaben für Hagen komplett - und folglich auch für die Selbecke.

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Die Selbecker Straße in Hagen ist durch Schlaglöcher im Asphalt geprägt. Saniert wird die Fahrbahndecke aber nicht. Löcher werden nur provisorisch zugeschüttet.
Die Selbecker Straße in Hagen ist durch Schlaglöcher im Asphalt geprägt. Saniert wird die Fahrbahndecke aber nicht. Löcher werden nur provisorisch zugeschüttet. © WP | Jens Stubbe

Was die Anwohner natürlich nicht davon abhält, aus dem, was sie vor der Haustür selbst messen und beobachten, Forderungen abzuleiten: „Das Mindeste ist doch, dass man für die gesamte Selbecke Tempo 30 einführt“, sagt Klaus Butz. „Ob man diese Maßnahme aus Lärmschutzgründen ergreift oder aber aufgrund des schlechten Zustands der Fahrbahn ist uns als Anwohnern im Grunde egal. Hauptsache, es tut sich was und es wird ruhiger.“

Lärmgutachten soll her

Ganz so einfach sei das aber nicht - sagt zumindest die Stadt Hagen, die in feinstem Verwaltungsdeutsch auf entsprechende Eingaben der verärgerten Bürger reagiert hat. Was dahinter steckt, fasst Sprecherin Clara Treude auf Anfrage unserer Zeitung zusammen: „Eine Temporeduzierung ist immer und ausschließlich erst nach einem Lärmgutachten möglich. Das kann durch die Stadt Hagen beauftragt werden, frühestens aber in der zweiten Jahreshälfte.“

Die permanente Belastung durch die Lkw hat im Asphalt tiefe Spuren hinterlassen.
Die permanente Belastung durch die Lkw hat im Asphalt tiefe Spuren hinterlassen. © WP | Michael Kleinrensing

Auch die Hagener Polizei, die - wie der Zufall es will - just am Tag des Pressetermins mit Anwohner Klaus Butz im unteren Bereich der Strecke Tempo-Sündern aus dem Verkehr zieht, will die Selbecker Straße in den Fokus nehmen: „Wir werden uns das Verkehrsaufkommen anschauen“, kündigt Polizei-Sprecherin Ramona Arnhold an.