Hagen. Immer mehr junge Migranten in Hagen geraten in den Fokus der Polizei. Darüber und was sie noch bewegt, spricht die Polizeipräsidentin.
Seit eineinhalb Jahren hat die Polizei Hagen wieder eine Präsidentin an der Spitze. Im Interview erklärt Ursula Tomahogh, was sie zuversichtlich stimmt, was sie geärgert hat und dass der Polizei die steigende Zahl an jungen Migranten, die in der Stadt straffällig werden, Sorgen bereitet.
Kinder- und Jugendbanden machen der Polizei immer zu schaffen. Wie blicken Sie auf die Entwicklung?
Auch aktuell haben wir in Hagen keine Kinder- und Jugendbanden. Aber wir müssen an dieser Stelle deutlich machen, dass der Anteil der Unter-21-Jährigen seit 2019 in Hagen um 4,6 Prozent gestiegen ist. Gleichzeitig gibt es 720 Deutsche weniger in dieser Altersklasse. Parallel dazu stellen wir aber fest, dass der Anteil der Nicht-Deutschen unter den Tatverdächtigen im Alter von unter 21 Jahren in einem ganz erheblichen Maße zugenommen hat. Wir haben in Hagen den höchsten Migrantenanteil im Land. Man muss konstatieren, dass es mit Blick auf die Kriminalität da einen Zusammenhang gibt. Das ist zunächst mal eine schlichte, statistische Feststellung.
Ein sensibles Thema in einer Stadt wie Hagen…
Ja, das weiß ich. Aber Hagen hat eben eine andere Bevölkerungsstruktur als andere Großstädte in Deutschland und in NRW. Das Thema junge Migranten ist eines, das uns an Halloween und Silvester beschäftigt hat. Auch Innenminister Herbert Reul hat sich ja dafür stark gemacht, diese Dinge offen anzusprechen. Das tun wir auch in Hagen. Auch die Themen Bleibeperspektive, soziale Teilhabe und Integration spielen eine Rolle. Es gibt viele Dinge, die kann Polizei allein nicht lösen.
Wie reagiert die Polizei auf die zunehmende Zahl an jungen Straftätern?
Wir sind eine der wenigen Behörden, die sogenannte Jucops einsetzen. Das sind Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich Prävention, die auf die jungen Menschen direkt über die Schule zugehen. Die Lehrer sind begeistert, weil wir so sehr früh junge Menschen ansprechen, noch bevor sie kriminell werden könnten. Dazu gibt es die landesweite kriminalpräventive Initiative „Kurve kriegen“, bei der wir jungen Menschen, die straffällig geworden sind, wieder zurückhelfen in ein normales Leben und in eine Schulkarriere. Das ist eine sehr nachhaltige Arbeit in Kooperation mit Pädagogen und Sozialarbeitern. Die Erfolgsquote liegt bei 85 Prozent in Hagen.
Es gibt in Hagen Bereiche, in denen sich Menschen zunehmend unwohl fühlen. Wie blicken Sie beispielsweise auf das Bahnhofsumfeld?
Der Bahnhof ist schon seit 2020 ein Schwerpunktthema in der Behörde, dazu einige Straßenzüge in Altenhagen und Wehringhausen. Die polizeilichen Aktivitäten dort haben wir mit einer Organisationsveränderung begleitet, die zur Einrichtung einer neuen Dienststelle, den Polizeisonderdiensten, geführt hat. Die Kolleginnen und Kollegen dort haben bestimmte Problembereiche ganz besonders im Fokus und können mit gezielten Maßnahmen - offen und verdeckt - Straftaten bekämpfen. So führen wir im Umfeld des Hauptbahnhofes und auch in anderen Bereichen wiederkehrend Schwerpunkteinsätze gemeinsam mit der Bereitschaftspolizei, dem Ordnungsdienst der Stadt und mit der Bundespolizei durch.
Trotz aller Bemühungen - es klafft eine Lücke zwischen objektiver und subjektiv empfundener Sicherheit. Wie erklären sie das?
Ich kann aufgrund verschiedener Faktoren sehr gut nachvollziehen, dass Menschen sich insbesondere im Umfeld des Hagener Hauptbahnhofes unsicher fühlen. Dieses Unsicherheitsgefühl lässt sich aber objektiv nicht belegen. Allerdings ist mir auch bewusst, dass objektive Zahlen allein Bürgerinnen und Bürger nicht überzeugen. Unsere intensiven Maßnahmen sollen - neben einer weiteren Reduzierung der Straftaten - daher auch dazu führen, dass uns die Bevölkerung als Polizei viel stärker wahrnimmt. Wir wollen das Sicherheitsgefühl besonders durch offene polizeiliche Präsenz verbessern. Aber das ist ein Thema, das Zeit braucht. Es braucht auch Vertrauen in die polizeiliche Arbeit, um zu vermitteln, dass es eine objektive Gefahr, so wie sie empfunden wird, faktisch nicht gibt.
Wirkt sich ihr Handeln in den genannten Quartieren aus?
Wir sind schon seit Monaten in diesen Bereichen sehr aktiv. Immerhin haben wir einen Rückgang der Straßenkriminalität rund um den Bahnhof um acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr festgestellt. In den Stadtteilen Wehringhausen und Altenhagen konnten wir die Straßenkriminalität sogar um 20 Prozent reduzieren. Das führen wir auch auf unsere erhöhte Präsenz zurück, auf unsere zunehmende Sichtbarkeit. Gleichzeitig haben wir aber auch eine erhebliche Steigerung der Drogendelikte registriert, was wiederum leicht zu erklären ist. Mit einer Zunahme der Kontrollen in bestimmten Bereichen, werden auch vermehrt solche Drogendelikte durch die Polizei festgestellt.
Die Zahlen zur Kriminalitätsstatistik waren im Jahr 2022 in Teilen alarmierend. Wie sieht es aktuell aus?
Die Zahlen haben wir fortlaufend im Blick. Unsere Maßnahmen richten wir generell nach der Kriminalitätsentwicklung aus und reagieren da – sofern es nötig ist - auch sehr schnell. Über alle Deliktsformen hinweg hat sich der negative Trend des letzten Jahres leider fortgesetzt. Das erfreut mich natürlich nicht. Worüber ich aber beispielsweise froh bin: In den Bereichen Straßenkriminalität und Einbruchskriminalität insgesamt ist derzeit sogar ein leichter Rückgang zu verzeichnen, die Zahl der Fahrraddiebstähle ist sogar stark gesunken. Auch die Straftaten im Betrugsbereich, die während der Coronazeit stark angestiegen waren, gehen deutlich zurück. Die Betrügereien zum Nachteil älterer Menschen sind ebenfalls zurückgegangen. Das freut mich ganz besonders, weil die Opfer hier – neben dem meist hohen finanziellen Schaden - häufig noch lange Zeit psychisch unter der Tat leiden.
Welche weiteren positiven Botschaften gibt denn?
In Summe lässt sich sagen, dass wir den hohen Fallzahlen eine hohe Aufklärungsquote entgegensetzen können. Dieser Umstand ist insbesondere auch unserer guten Ermittlungsarbeit geschuldet. Im Bereich des Fahrraddiebstahls ist es uns beispielsweise gelungen, eine Bandenstruktur zu zerschlagen. Da wurden in Massen hochwertige E-Bikes gestohlen und nach Rumänien verschoben. Dazu kommen zwei große Raubserien, die wir über Ermittlungskommissionen aufklären konnten. Darüber hinaus kommt eine Serie von Aufbrüchen von Gartenlauben, 120 an der Zahl allein in Hagen, die durch einen Täter erfolgt sind. Den haben wir festnehmen können.
Sie stehen seit eineinhalb Jahren an der Spitze der Behörde – was hat Sie geärgert?
Ich war in der Vergangenheit noch nie so intensiv wie in Hagen damit konfrontiert, dass es in den sozialen Netzwerken in Bezug auf polizeiliche Einsätze so viele falsche Darstellungen gibt. Insbesondere sind mir da Ereignisse wie an Halloween und Silvester in Erinnerung. Dinge, die sich für uns objektiv nicht als hochgradig problematisch dargestellt haben, wurden zum Beispiel über zusammengeschnittene Kurzvideos deutlich aufgebauscht. Das verunsichert nicht nur Menschen, sondern hat mich mit Blick auf meine Kolleginnen und Kollegen im Einsatz sehr betroffen gemacht. Eigentlich gute polizeiliche Arbeit wird so völlig falsch wahrgenommen. Aber ich stand auch schon persönlich im Fokus und Aussagen von mir wurden falsch wiedergegeben. Wir stellen Dinge immer so dar, wie wir sie objektiv wahrgenommen haben. Bei unserer Kommunikation nach außen geht es uns darum, Fakten transparent darzustellen. Dies tun wir unter anderem auch intensiv über unsere Social-Media-Kanäle, bevor sich Falsches manifestieren kann.
Wie machen Sie das ganz konkret?
Ein gutes Beispiel ist die Pro-Palästina-Demo im vergangenen November in Hagen. Da haben wir von Beginn an offen und transparent auf vielen Kanälen erklärt, worauf wir achten und wie wir vorgehen. Zudem standen wir von Anfang an im engen Austausch mit der Versammlungsleitung. Dabei haben wir sehr deutlich gemacht, was erlaubt ist und was nicht. Wo die Grenzen sind und wo wir sehr konsequent einschreiten werden. Am Ende der friedlichen Demo haben die Teilnehmer der Polizei sogar applaudiert. Das ist schon eher ungewöhnlich und zeigt mir, dass wir bei der Bewältigung des Einsatzes und der kommunikativen Begleitung sehr vieles richtig gemacht haben.
Was ist Ihnen positiv in Erinnerung?
Ein sehr schönes Erlebnis für mich war die Graduierungsfeier in der Fachhochschule Südwestfalen. Hunderte von glücklichen jungen Menschen, die zusammen mit ihren Familienangehörigen und Freunden ihre bestandene Abschlussprüfung für die Polizei gefeiert haben. Das war ein feierlicher Rahmen, eine wunderbare Veranstaltung.
Wie sieht Ihre persönliche Bilanz aus?
Nach eineinhalb Jahren kann ich sagen: Ich bin in der Behörde, in meiner Funktion und in der Stadt angekommen.
Erinnern Sie sich noch an ihren ersten Tag?
(lacht) Neben einem sehr herzlichen und offiziellen Empfang im Präsidium bin ich auf ganz eigene Art von der Stadt Hagen empfangen worden. Ich war zu schnell unterwegs, bin geblitzt worden. Zum Glück nicht von der eigenen Polizei, das wäre ein kurioser Einstand gewesen.
War es teuer?
Nein, es war nur eine geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung.