Hagen. Die Idee, die Hochbrücke in Altenhagen zu begrünen hat viele Fans und Feinde: Jetzt versucht die Politik, engagierte Bürger auszubremsen.
Man stelle sich einmal vor, in Hagen fangen abseits der politischen Kaste Bürger einfach damit an, sich Gedanken über Stadtentwicklung zu machen. Absurd? Ein Unding?
Keineswegs – der Verein „Grüne Brücke“ hat’s einfach mal gemacht. Hier wird schon seit Monaten in Workshops und Präsentationen reichlich Gehirnschmalz in die Idee investiert, die Ebene-2-Hochbrücke in Altenhagen als parkähnlichen Pantoffelpark mit hoher Aufenthaltsqualität zu denken. „Wir sind fest davon überzeugt, dass nur durch ein gemeinsames breites Engagement von Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung die vielfältigen Zukunftsfragen unserer Stadt angemessen zu bewältigen sind“, halten die drei geistigen Väter der Initiative, Klaus Hirschberg, Bernhard Kühmel und Ulf Schimmel, diese Form des Dialogs für unabdingbar.
Für die Politik offenkundig eine geradezu anmaßende Form der Übergriffigkeit, der es prompt gilt, die Schranken aufzuzeigen: „Eine Zustimmung der dafür zuständigen demokratischen Instanzen, Rat, Kulturausschuss, Stadtentwicklungsausschuss oder Bezirksvertretung, wurde bislang weder angestrebt noch eingeholt“, empören sich jetzt die Allianz-Vertreter Stephan Ramrath (CDU), Hans-Georg Panzer (Grüne) und Michael Grzeschista (FDP) darüber, dass hier Menschen eine Idee vorantreiben, der von der Politik bis heute nicht einmal das Etikett „bedenkenswert“ erteilt wurde.
Keine Unterstützung der Stadt
In einem Beschlussvorschlag für den Stadtentwicklungsausschuss mit dem Titel „Moratorium“ soll die Stadtverwaltung „auch weiterhin nicht ermächtigt“ werden, „Personal- oder Sachmittel oder sonstige Unterstützung für das rein private Projekt ,Grüne Brücke Hagen‘ zur Verfügung zu stellen“. Zudem dürfte „nicht fälschlicherweise der Eindruck“ entstehen, dass die Stadt offiziell das Vorhaben unterstütze. Zugleich handelt es sich um einen heftigen Tritt vor das Schienbein von SPD-Stadtbaurat Hennig Keune. Denn er war es, der als Hagens oberster Planer mit Blick auf die „Ebene 2“ einst den inspirierenden Satz prägte: „Ein Stadtteilpark in luftiger Höhe wäre für Hagen ein absolutes Alleinstellungsmerkmal und würde den Stadtteil aufwerten.“
In dem Allianz-Beschlussvorschlag folgt eine umfassende, neunseitige (!) Begründung, die in der unendlichen Reihe der politischen Anträge in Hagen allein schon aufgrund ihrer Dimensionierung (34.116 Zeichen) ihresgleichen sucht. Das mit 30 Fußnoten gespickte und im Stil einer akademischen Hausarbeit während der Herbstferien zusammengeschmiedete Papier geht dabei mit den Brücken-Vordenkern scharf ins Gericht. Die drei Allianz-Sprecher versuchen deutlich zu machen, dass das Projekt keinerlei Aussicht auf Realisierung habe, den Menschen falsche Hoffnungen mache, nur exorbitante Kosten erzeuge, sinnlos Kapazitäten zu binden drohe und somit in der Prioritätenliste der Politik mangels Umsetzungswahrscheinlichkeit ans absolute Tabellenende rücke.
Dafür spreche allein schon die zweifelhafte Standhaftigkeit der Stahlbetonkonstruktion, an der – ähnlich wie an der angrenzenden Eckeseyer Brücke sowie der bereits gesperrten Arbeitsamtsrampe – die Spannungsrisskorrosion nage und somit die Einsturzgefahr drohe. Diesen Koloss zu bewahren, würde allein schon einen zweistelligen Millionenbetrag verschlingen. Zudem fehlten bislang konkrete Planungen, wie die Verkehre künftig zwischen Hauptbahnhof und Altenhagen fließen könnten, welche Flächen tatsächlich dafür benötigt würden und ob das Bauwerk dann mit einem gesunden Kosten-Nutzen-Verhältnis überhaupt noch bewahrenswert sei.
Kein attraktives Vorzeigeprojekt
Zudem vermissen die Politiker, denen CDU-Fraktionsgeschäftsführer Alexander M. Böhm beim Formulieren die Hand führte, bei dem Projekt die symbolträchtige Alleinstellungspositionierung à la „High Line Park“ in New York. Zum einen, weil es dem Straßenabschnitt an der sinnhaften Verbindungsfunktion beispielsweise zwischen zwei Stadtquartieren fehle, zum anderen, weil ähnliche Konzepte längst in Städten wie Mainz, Düsseldorf oder auch Köln und Stockholm umgesetzt seien. Daher sei „eine Grüne Brücke Hagen in der Diskussion durchaus kein Vorzeigeprojekt mit Alleinstellungsmerkmal“, heißt es in der Antragsbegründung.
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„Leider führt die zunehmende Verfügbarkeit von digitalen Visualisierungswerkzeugen dazu, dass sich selbst die scheinbar undenkbarsten Szenarien zum Leben erwecken lassen – und das sehr realitätsnah. Das täuscht jedoch über den großen Abstand zwischen Virtualität und Realität hinweg“, fürchtet die Politik die Gefahr, dass hier den Bürgern Sand in die Augen gestreut werde. „Es geht um den schleichenden Aufbau einer scheindemokratischen Struktur, mit der am Ende ein vermeintlich repräsentativer Bürgerwille konstruiert wird“, so die Kritik am Vorgehen des Vereins. „Dieser dient dazu, öffentlichen Druck auf die tatsächlich demokratisch gewählten Vertreterinnen und Vertreter auszuüben“, wird der Gruppe jegliche Legitimation abgesprochen.
Als „handlungsleitender“ Spiritus Rector für das ambitionierte Brückenprojekt wird dabei der ehemalige Hagener Baudezernent Johann Dieckmann, der sich ja bereits beim Block-1-Abriss in Wehringhausen für die Bürgerinteressen positionierte, identifiziert. Hier werde mit einem „demokratietherapeutischen Ansatz“ versucht, Argumente durch Lautstärke und mediale Präsenz zu ersetzen. „In Wirklichkeit geht es hier darum, Menschen für ein Projekt zu begeistern und über diese Begeisterung den entsprechenden Druck weiterzugeben“, mutmaßen die Allianz-Vertreter: „Es braucht nicht viel Fantasie zu vermuten, dass kurz vor der Kommunalwahl 2025 mit einer scheinbar basisdemokratischen Argumentation ein Votum des Rates für das Projekt durchgesetzt werden soll“, sorgt sich die Politik, dass relevante Argumente auf diesem Weg ausgehebelt werden sollen. Daher verbiete sich eine weitere Verschwendung öffentlicher Mittel für ein tot geborenes Projekt.
Verein setzt auf Diskussion
Dieckmann selbst betrachtet die Brücke derweil als Symbol für das Leitbild der „Autogerechten Stadt“: „Der Vorschlag, dieses Symbol zu nutzen und damit eine Transformation des Denkens und Handelns auszulösen, ist wegweisend“, plädiert er dafür, das Konzept als Hebel für eine neue Altenhagen-Aufmerksamkeit zu begreifen. Zugleich wirbt er dafür, vor dem Hintergrund der Verkehrswende, endlich den Bereich zwischen Arbeitsamt und Ennepe-Mündung als „Grüne Infrastruktur“ für die Innenstadt und das Quartier zu betrachten. „Dies setzt nicht bloß ein anderes Denken voraus, sondern auch andere Formen des Zuhörens und des Mitdenkens“, schreibt der Ex-Stadtbaurat der Politik ins Stammbuch.
„Überrascht“ von diesem „völlig unangemessen Umgang miteinander“ zeigen sich zudem die Vereinssprecher Hirschberg, Kühmel und Schimmel. Sie verwehren sich gegen die in der Antragsbegründung zwischen den Zeilen mitschwingende Unterstellung, Traumtänzer und die Lautsprecher von Brückenfetischisten zu sein: „Leider enthalten die einseitigen, subjektiv geprägten demokratietheoretischen Ausführungen völlig absurde Spekulationen über die Absichten und Motive des Vereins ,Grüne Brücke‘“, vermisst das Trio einen fundierten, gemeinsamen Austausch. „Wir haben immer betont, dass unser Engagement auf die drängenden Zukunftsfragen unserer Stadt und besonders auf die Problemlagen in bestimmten Quartieren gerichtet ist – unabhängig von der Frage, ob eine ,Grüne Brücke‘ letztlich realisierbar sein wird.“
Vor diesem Hintergrund laden die Projektverantwortlichen die Antragsteller aus der Politik zu ihrer nächsten Veranstaltung Ende November ein, um in die sachliche Diskussion einzutreten und appellieren bis dahin, sämtliche Beschlussfassungen erst einmal auf Eis zu legen: „Wir haben einen Beirat gegründet, in dem sich viele Bürgerinnen und Bürger aus unterschiedlichsten Bereichen der Stadtgesellschaft engagieren. Dieser stadtgesellschaftliche, konstruktiv-kritische Dialog ist für uns unabdingbar. Wir werden ihn weiterhin mit allen demokratischen Parteien in Hagen pflegen.“