Hagen. 9 Wochen zu früh – mit 1990 Gramm: Familie Schocke erzählt, was es bedeutet, ein Frühchen zu bekommen. Für Familien gibt es oft Unsicherheiten:
Mareike Schocke erinnert sich noch an den Moment im Krankenhauszimmer. Eine Mutter mit gesundem Baby liegt neben ihr im Bett. Es ist der Moment, in dem noch offen ist, ob oder wie gesund ihr Sohn sein wird, wenn er auf die Welt kommt. In dem offen ist, ob er ein Frühchen wird, oder weitere Wochen verstreichen werden. „Das war schwierig. Ich habe mich total für die Mutter gefreut. Und gleichzeitig haben wir uns Sorgen gemacht, wie es bei uns sein wird“, sagt Mareike Schocke.
Ihre Schwangerschaft verläuft eigentlich unkompliziert. Bis zur 29. Schwangerschaftswoche. Es ist kurz vor Weihnachten, als sie ein Ziehen im Bauch spürt, das sich kurz später als erste Wehen herausstellt. Sie ist zur Untersuchung im Allgemeinen Krankenhaus Hagen (AKH), darf aber wieder nach Hause. Alle zwei Tage muss sie dann zur Kontrolle. Die Tage vergehen. Das neue Jahr beginnt. „Eigentlich hatte ich für den Notfall immer schon einen Koffer gepackt. Am 2. Januar, zum Kontrolltermin, hatte ich ihn natürlich nicht mit“, sagt die Hagenerin und lacht. Es ist der Tag, an dem sie im Krankenhaus bleiben muss. Zur Beobachtung. Abends werden die Wehen stärker. Mareike ist in der 31. Schwangerschaftswoche.
1990 Gramm nach der Geburt
Es vergehen weitere Tage. Tage, an denen die Ungewissheit für Mareike und ihre Frau Ann Christin weiter bleibt. Kommt das Kind jetzt? War es ein Fehlalarm? Die Mutter bekommt Wehenhemmer. Und Besuch von einer Schwester der Frühchenstation. „Sie hat uns ganz viele Fotos gezeigt, wie es auf der Station aussieht und erklärt, worauf wir uns im Fall der Fälle vorbereiten müssen. Auch der Chefarzt war da. Das hat uns geholfen und beruhigt. Wir fühlten uns danach gut vorbereitet“, sagt Ehefrau Ann Christin Schocke.
Am 7. Januar kommt Milo per Kaiserschnitt auf die Welt. Neun Wochen zu früh. „Für uns war er so winzig“, erinnert sich Mutter Ann Christin an den Moment zurück. „Als er geschrien hat, waren wir total erleichtert.“ Wie bei Frühchen üblich musste Milo direkt zur Erstversorgung mitgenommen werden, danach in den Inkubator. „Wir durften ihn ganz kurz halten“, erinnert sich Mareike Schocke. Anni darf Milo begleiten. „Es hat alles gepiepst. Überall standen Kästen und es waren Schläuche an den Kindern. Es war gut, dass wir vorher darauf vorbereitet wurden. Milo musste glücklicherweise nicht beatmet werden, er wog immerhin 1990 Gramm“, sagt Ann Christin.
18 Tage vor errechnetem Termin wieder zuhause
Mareike Schocke darf nach dem Kaiserschnitt noch nicht mit ins Perinatalzentrum Level 1. „Man durfte dort kein Handy haben. Ich war dann super erleichtert, als Anni runterkam und Bescheid gesagt hat“, sagt die Hagenerin. Am nächsten Tag – „ich konnte nicht länger abwarten“ – konnte sie mit dem Rollstuhl nach oben. „Wir haben Milo dann zum ersten Mal auf die Brust gelegt bekommen, das war ein besonderer Moment.“ Tag und Nacht dürfen die Mütter Milo besuchen. Er wird sondiert, erhält also Nahrung über einen Schlauch, damit er gut zunehmen kann. „Das schwierigste war, abends nach Hause zu gehen und sich loszureißen“, sagt Mareike Schocke.
Bis zum 20. Februar bleibt Milo im Krankenhaus. 18 Tage vor dem errechneten Termin sind sie zuhause. Zum ersten Mal sehen dann auch Angehörige oder Freunde der beiden Mütter den Kleinen. „Wir wollten vorher kein Risiko eingehen, uns mit Corona anzustecken“, erklärt Mareike. „Es war ja mitten in der Hoch-Zeit der Pandemie.“
Die Umstellung zuhause
Zuhause sein, zu dritt, als Familie – „das war für uns erstmal eine Umstellung“, sagt Mareike Schocke. Im Krankenhaus gab es Geräte, die immer alle Werte anzeigen – also wusste man zu jeder Sekunde, dass alles gut ist. Es waren die Schwestern da, die Milo aus dem Inkubator hoben und den Müttern in den Arm gaben. „Da konnte man nicht nach Bauchgefühl handeln“, sagt auch Ann Christin Schocke.
An diesem Punkt kommt der Bunte Kreis Hagen ins Spiel. „Wir helfen den Familien, wieder aufs Bauchgefühl zu vertrauen“, erklärt Leiterin Iris Geißler. Der Bunte Kreis hilft, geeignete Ärzte und Therapeuten zu finden, informiert über das Gesundheitssystem und hilft zum Beispiel auch beim Ausfüllen von diversen Anträgen. „Wir unterstützen beim Bindungsaufbau und helfen, die Zeit im Krankenhaus zu verarbeiten. Im Fall der Familie Schocke organisierten wir zum Beispiel eine Trageberaterin, Babymassagen oder auch Erste Hilfe beim Säugling“, so Geißler. Zum Angebot gehöre zudem die psychologische Begleitung – „weil bei Frühchen manchmal auch Lebensgefahr besteht und für alle Familien die Geburt und die Zeit danach völlig anders verlaufen ist, als geplant“.
So sollen die Mütter und Familien wieder zur Elternrolle zurückzufinden. „Wir haben uns sowohl im AKH als auch beim Bunten Kreis immer gut aufgehoben gefühlt“, betont Mareike Schocke. Nach Wochen und Monaten im Krankenhaus und in der Betreuung freuen sich die Mütter jetzt, endlich mit Milo – der sich über die Monate gut entwickelt hat – allein sein zu können und unbeschwerte Stunden als Familie zu verbringen.