Hagen. Volle Klassen, Förderschüler im Distanzunterricht – die Kritik an der Verwaltung zum Schulstart in Hagen ist heftig.

Nicole Pfefferer ist Vorsitzende des Schulausschusses der Stadt Hagen. Wir sprachen mit der Grünen-Fraktionsvorsitzenden darüber, wie sich die Schullandschaft in Hagen zu Beginn des neuen Schuljahres darstellt.

1850 i-Männchen hat es in Hagen lange nicht gegeben. Der Schulraum wird zunehmend knapper in Hagen. Was sagen Sie?

Die vielen Schüler, die wir jetzt haben, sind ja nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Ich frage mich, warum unsere Stadtverwaltung nicht schon vor Jahren von einem Worst-Case-Szenario ausgegangen ist und die Schulen entsprechend vorbereitet bzw. ausgebaut hat. Mein Eindruck ist, dass im Rathaus nach dem Prinzip Hoffnung verfahren wurde – der Hoffnung, dass die vielen Zugezogenen schon irgendwann wieder wegziehen würden.

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Wie haben Sie reagiert, als Sie erfuhren, dass die ehemalige Grundschule in Dahl zum Schulstart nicht rechtzeitig fertig wird?

Ich komme aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus. Was soll denn eigentlich noch klappen in dieser Stadt? Dass ausgerechnet Förderschüler, die den regulären Unterricht am nötigsten haben, nun digital unterrichtet werden, ist doch ein schlechter Witz.

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Aber es fehlt doch offenbar an Material und Ersatzteilen?

Das stimmt sicherlich, und ich will auch gar nicht bestreiten, dass das generell derzeit ein Riesenproblem ist. Ich hoffe nur, dass die Stadt diese Begründung demnächst nicht als Standardentschuldigung für alle Projekte anführt, aus denen nichts wird.

Nicole Pfefferer ist Fraktionsvorsitzende der Grünen in Hagen und Vorsitzende im Schulausschuss: Sie kritisiert die Stadt Hagen zum Start des neuen Schuljahrs.
Nicole Pfefferer ist Fraktionsvorsitzende der Grünen in Hagen und Vorsitzende im Schulausschuss: Sie kritisiert die Stadt Hagen zum Start des neuen Schuljahrs. © WP | Michael Kleinrensing

Gibt es keinen Plan B für die Schullandschaft in Hagen?

Offensichtlich nicht. Wenn eine Schulleitung erst in den Sommerferien erfährt, dass sie eine zusätzliche Klasse aufnehmen muss, dann gibt es wohl überhaupt keine Planungen. Ich bin einfach erstaunt, wie viel Zeit Informationsfluss plus Entscheidungsfindung im Rathaus in Anspruch nehmen. Am Ende reißen es dann die engagierten Schulleiterinnen und Schulleiter – gerade im Grundschulbereich – immer wieder raus. Die kümmern sich um Möbel, Schulmaterialien vor Ort und das bei der kaum noch zu bewältigenden Personalnot. Während noch vor einigen Jahren das Prinzip „Jede Klasse hat eine Klassenlehrerin“ galt, sind immer mehr Grundschulen von doppelten Klassenleitungen (zwei Klassen müssen sich eine Klassenleitung teilen) betroffen.

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Derzeit bleibt offenbar keine andere Lösung, als die Klassengrößen zu maximieren.

Das ist definitiv keine gute Idee. So wird das Problem im übrigen auch nur verlagert, weil es in den Schuleingangsphasen durch immer mehr Rückläufer in den kommenden Jahren zu Klassenteilungen kommen wird. Dann werden Klassen auseinandergerissen. Das ist schrecklich für die Kinder, aber die logische Konsequenz, wenn man immer größere Eingangsklassen bildet. Es ist auch zu kurz gedacht, da am Ende die Räume und auch die Lehrerinnen und Lehrer für die neuen Klassen fehlen. In den meisten Schulen werden ja schon alle Funktions- und Förderräume als Klassenräume genutzt und Kolleginnen und Kollegen ohne Klassenleitungen gibt es auch nicht mehr. In vielen Schulen übernehmen nun auch die Sonderpädagogen die Klassenleitungen, und dies geht wieder zu Lasten der Kinder, die im Gemeinsamen Lernen inklusiv unterrichtet werden.

Warum handelt die Stadt Ihrer Meinung nach nicht?

Weil da keiner ist, glaube ich, der sich traut, Entscheidungen zu treffen, weder die Schulverwaltung noch die untere Schulaufsicht. Auch die Schulverwaltung hat die Probleme ja längst identifiziert, unternimmt aber nichts. Das kann ich mir nicht erklären. Offenbar schieben sich die verantwortlichen Stellen im Rathaus gegenseitig den Schwarzen Peter zu.

Dann hätte die Stadt aber ein bürokratisches Problem.

Mit Sicherheit hat sie das. Doch wenn ich das bei der Stadtspitze anspreche, bekomme ich ein rosarotes Bild vorgelegt. Nur deckt sich dieses rosarote Bild, das gerade der Leiter von Fachbereich 11 (Personal, i.e. Stefan Kessen) malt, ganz und gar nicht mit dem, was mir aus der Verwaltung gespiegelt wird. Mitarbeiter der Schulverwaltung lassen sich versetzen, weil sie es dort nicht mehr aushalten. Für Mitarbeiter, die wirklich etwas bewegen wollen und bis zum Umfallen arbeiten, ist die Situation in der Schulverwaltung ungemein frustrierend. Ich komme mir langsam vor wie die einsame Ruferin in der Wüste.

Machen Sie es sich nicht zu einfach? Tragen Sie als Politikerin in Hagen nicht Mitschuld an der Misere?

Mir ist erst einmal Rollenklarheit wichtig. Als Vorsitzende des Schulausschusses verstehe ich mich nicht als Parteipolitikerin, sondern als Anwältin unserer Schulen, der Kinder und Eltern. Denen möchte ich eine Stimme geben. Uns wird von der Stadtspitze ja auch immer wieder versichert, nichts sei wichtiger als die Schulen. Das ist so eine Art Appeasement-Strategie, glaube ich, und sie funktioniert ja auch, wir lassen uns allzu oft einlullen.

Dann müssen Sie eben dranbleiben. . .

Tja. Im März 2021 habe ich angeregt, ob denn nicht der ehemalige Sportplatz des Post SV auf dem Ischeland als Grundstück für eine neue Schule geeignet sei. Neun Monate lang blieb die Verwaltung uns eine Antwort schuldig. Als ich dann noch einmal nachfragte, wurde die Schulverwaltung relativ hektisch und trug eine E-Mail aus der Bauverwaltung vor. Immerhin sollen auf dem Platz jetzt Schulcontainer aufgestellt werden. Ich staune Bauklötze.

Verschärfen Armut und Migration die Probleme in Hagen noch?

Natürlich, es nützt doch gar nichts, drumherumzureden. Die extrem heterogene Schülerschaft in Hagen trägt zum Standortnachteil bei, den wir leider haben. Wenn eine frischgebackene Lehrerin sich entscheiden kann, ob sie eine Stelle antritt an einer Schule, an der sie eine Klasse mit 22 Schülern übernimmt, von denen 15 deutsch sprechen und sieben eine internationale Familiengeschichte haben oder ob sie in Hagen eine Klasse übernimmt mit 25 Kindern, von denen zwei deutsch sprechen und die anderen 23 sich auf die unterschiedlichsten Nationalitäten verteilen – was glauben Sie, für welche Schule sie sich entscheiden wird? Wo kann sie verwirklichen, wofür sie ausgebildet worden ist, wo kann sie als Pädagogin und nicht als Sozialarbeiterin tätig sein?

Wohl eher nicht in Hagen, meinen Sie?

Die Stadt Hagen hat als Schulträger auch überregional einfach einen miesen Ruf. Die schwierige Sozialstruktur, die Raumnot, die Personalknappheit – die Rahmenbedingungen sind suboptimal. Und das spricht sich unter Lehrern herum. Leider fehlt es dem Schulträger auch oft an guten und zielführenden Kommunikationsstrukturen.