Hengstey. In unserer Sommerserie „Neulich in Hagen“ setzen wir auf persönliche Beobachtung. Diese her findet an der Wehrbrücke am Hengsteysee statt.

Vorabendstimmung. Das schönste Sonnenlicht, wie ich finde. Es wird ein Sommerabend, an dem man lange T-Shirt trägt, vielleicht noch ein Bierchen oder einen Rosé nimmt. Doch davor dieser Spaziergang. Es ist mein Lieblingsort in Hagen. Ich finde keinen schöner. Ich war hier 1000-mal. Und jedes Mal, wirklich jedes Mal, sehe ich ihn neu. Die Wehrbrücke am Hengsteysee. Verbindung zwischen Hagen und Herdecke. Energie-Pioniergeist pur, wunderschöne Natur, Naherholung ohne Ende. Ich nehme Sie, liebe Leser, mit. An ein herrliches Fleckchen Hagen. Und auf eine Zeitreise. (Lesen Sie auch: Der Hengsteysee – Eine gewaltige Pionierleistung)

Die Ruhr war hier mal ein Flüsschen

Es ist eine Crux. Hätte ich eine Zeitmaschine, würde ich sehr gern mal in die Tage des Jahres 1929 reisen. Da entschied der Ruhrverband, den Heng­steysee entstehen zu lassen. Zuvor waren hier Felder und die Ruhr floss nur auf einer Breite zwischen dem Café Seeschlösschen und dem Mäuseturm. Wir haben eine alte Aufnahme in der Redaktion, die das zeigt.

Die Brücke am Wehr am Hengsteysee wurde 1929 errichtet. Im vergangenen Jahr rollte ein letzter Trafo-Transport darüber. Netzbetreiber Amprion möchte sie abstoßen, die Stadt Hagen möchte sie übernehmen. Vertiefende Gespräche stehen noch aus.
Die Brücke am Wehr am Hengsteysee wurde 1929 errichtet. Im vergangenen Jahr rollte ein letzter Trafo-Transport darüber. Netzbetreiber Amprion möchte sie abstoßen, die Stadt Hagen möchte sie übernehmen. Vertiefende Gespräche stehen noch aus. © Michael Kleinrensing

Der See ist Flusskläranlage, Geschiebefang und Becken für das 1930 durch Arthur Koepchen errichtete Pumpspeicherwerk. Eines der beiden ersten in Deutschland.

An allen Ecken Pioniergeist

Jetzt mögen Sie denken: Warum schreibt der so einen historischen Aufsatz? Die Serie heißt doch „Neulich in Hagen“. Also setz’ dich an einen Ort und beschreibe, was du siehst – so wie die anderen Kolleginnen und Kollegen auch.

Tue ich ja.

Wenn ich mich hier hinsetze, dann sehe ich an allen Ecken Anfang. Pioniergeist. Aufbruch. Das, was Koepchen, der Ruhrverband und Co. sich Anfang der 1920er-Jahre schon ausgedacht haben, funktioniert heute noch auf die gleiche Art und Weise und versorgt uns mit Energie. Wenn man also ab hier ein Ründchen um den See joggt, ein Eis isst oder in die rauschende Fischtreppe schaut, dann steht man gleichzeitig in einem gewaltigen Industrie-Freilichtmuseum und an einer wichtigen Versorgungsstelle für die ganze Region.

Die Wehranlage – im Bild sieht man, dass zwei Walzen bereits saniert wurden – steht symbolisch für den Pioniergeist der Region.
Die Wehranlage – im Bild sieht man, dass zwei Walzen bereits saniert wurden – steht symbolisch für den Pioniergeist der Region. © Alex Talash

Seerunde hat Bypass erhalten

Doch mein Plätzchen hat sich verändert. An Tagen wie diesen drehen nicht mehr nur Jogger, Radler, Inliner und Spaziergänger Runden. Es gibt Menschen, die kommen plötzlich aus dem Gestrüpp. Seit die neue Brücke an der Mündung der Volme in die Ruhr fertig ist, ist es, als hätte man dem Seeründchen einen Bypass gelegt. Ich will den Blick nicht zu sehr weiten. Aber setzen Sie sich aufs Rad oder marschieren Sie mal hin: die Brücke schafft einen wundervollen Ausblick auf Herdecke, den Zusammenfluss der Ströme. Wer hier nicht sieht, wie schön, naturnah, wasserreich und mit wohltuender Landschaft gesegnet wir leben, der muss blind sein. Es kostet nichts, es gehört uns. Es will erlebt werden. „Neulich in Hagen“ Tag für Tag.

+++ Lesen Sie auch: So lief der letzte Trafo-Transport über die Wehrbrücke am Hengsteysee +++

Über der Brücke am Wehr – jetzt gerade wird unten an der Wehranlage übrigens gearbeitet – kreisen ja Fragezeichen. Amprion gehört das Bauwerk. Sie brauchen es nicht mehr. Im vergangenen Jahr ließen sie zum letzten Mal einen Trafo für das Pumpspeicherwerk über die Schienen auf der Brücke hinüber zur Herdecker Seite fahren. Da künftige Transporte per Lkw über die Herdecker Seite rollen werden, ist die Brücke als Transportweg irrelevant. Zu 78 Prozent liegt sie auf Hagener Stadtgebiet. Der Rest liegt auf Herdecker Seite.

Brücke soll abgegeben werden

Was Neues gibt es da übrigens nicht. Die Stadt Hagen ist zu einer Übernahme der Brücke als wichtige touristische und naherholungstechnische Verbindung bereit. Vertiefende Gespräche hat es aber bislang nicht mehr gegeben. Still ruht der See. (Die Hintergründe: Deshalb will Amprion die Wehrbrücke loswerden)

Eine Joggerin rast vorbei. Junge, im Affenzahn. Wenn ich Sie hier am Wehr sehe, wird sie mindestens schon die halbe Seerunde hinter sich haben. Hält sie das Tempo? Drüben auf der anderen Seite stehen sie Schlange am Eiswagen, und bei „Proto“ am Schiffswinkel ist die Terrasse voll. Die Kellner flitzen wie Satelliten um die Gäste herum.

Übrigens: Direkt neben dem Restaurant geht es in die alte Zeche Gotthilf. Zumindest sieht man das vergitterte Mundloch, wie es in der Bergbausprache heißt. Von 1822 bis 1846 war der Flöz-Abbau aktiv. Das Zechenfeld geht 1,2 Kilometer tief in den Berg hinein. Eine Infotafel erklärt die Geschichte.