Hagen. Die Jahrhundertflut hat das Paradies einer Familie aus Hagen weggespült. Auch dank der Spendengelder kann es wieder aufgebaut werden.
Es war ein Paradies. Es war ihr Paradies. Ein ganz besonderer Ort, der so vieles vereinte, was Kristina Beier (31) und Eike Dürhagen (38) wichtig ist. Ein Ort in Hohenlimburg, an dem die kleine Magdalena, gerade ein Jahr alt, groß werden soll. Ein Zuhause, ein Arbeitsplatz und irgendwie ein Platz, an dem man als Kind und als Erwachsener in Hagen noch Abenteuer erleben kann. Dann kam die Flut. Und plötzlich drohte der große Traum der kleinen Familie zu platzen.
Hohenlimburg, Obernahmer: Häuser schmiegen sich an die Hänge des engen Tals. Betriebe an den Nahmer Bach. Hier steht die alte Gießerei, die irgendwann zur Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert entstanden ist. Ein Ziegelbau mit eigenem Charme.
Lager, Wohnung, Werkstatt
Eike Dürhagen hat hier seine Werkstatt, hat sich spezialisiert auf alte Volkswagen. Büroräume sind vermietet, eine Band hat sich einen Probenraum eingerichtet, in einer Drahtrichterei wird noch gearbeitet, ein Pfadfinderstamm hat einen Lagerraum. Zwei Wohnungen befinden sich im Gebäude, in einer leben Magdalena, Kristina und Eike.
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„Vor zwei Jahren haben wir Grundstück und Gebäude gekauft“, sagt Eike Dürhagen, „wir haben begonnen, uns hier einzurichten, die Wohnungen bewohnbar gemacht. Den Hof haben wir in Teilen aufgerissen. Ein Garten ist entstanden. Wir hatten gerade einen ersten Grund drin, hatten viele Pläne...“
Flut spült die Träume fort
Dann kam der 14. Juli. Dann kam die Flut. Sie spülte die Träume der Familie fort, und es blieben Chaos und Entsetzen. „Maggy hat mich früh morgens geweckt“, sagt Kristina Beier, „ich bin aufgestanden und habe so komische Geräusche gehört. Das klang wie auf der untergehenden Titanic.“ Sie trat aus der Wohnung heraus, blickte von einer Empore hinab in die große Halle. Alles stand unter Wasser. Und am Nachmittag sollte noch eine zweite Welle kommen.
Dabei war es nicht einmal der Nahmer Bach, der über die Ufer getreten war. „Das Wasser ist vom Gelände einer benachbarten Spedition auf die Straße und dann auf unser Grundstück geflossen“, sagt Eike Dürhagen, „zunächst von hinten in das Gebäude, dann irgendwann von allen Seiten.“ Die Markierungen, die die Flut hinterlassen hat, zeigen noch heute, dass das Wasser rund einen Meter hoch im Gebäude stand. Auch der Platz vor dem alten Fabrikgebäude war komplett überflutet.
Wand am Bach stürzt ein
Vom Gelände der Spedition spülte es einen Container herüber. Der krachte in eine Hauswand. Ein Nebengebäude stürzte ein. Ebenso eine Mauer, die das Grundstück vor dem Bach schützte. 16 Autos, teils Oldtimer, wurden auf dem Platz und in der Halle durchspült, zum Teil fortgerissen, hatten nur noch Schrottwert.
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Kristina und Magdalena flüchteten, Eike blieb und kämpfte mit seinem Bruder und Freunden einen Kampf, der zumindest am Tag eins nach der Flut nicht zu gewinnen war. Was folgte waren die Verzweiflung und etwas später der Entschluss, alles wieder aufzubauen. „Wir hatten Pläne, jetzt haben wir neue“, sagt Eike Dürhagen trotzig. „Im ersten Moment denkst du, dass du nur noch weg willst. Aber wir hatten ja erst zweieinhalb Jahre vor der Flut die Kredite abgeschlossen. Aufzugeben – das hätte uns auch finanziell ruiniert.“ Und es hätte einen Traum zerstört.
Hilfe von Fremden und Freunden
Also startet das große Aufräumen in Eigenregie – auf 4500 Quadratmetern Gelände und in der 2000 Quadratmeter großen Halle. „Über die sozialen Netzwerke haben wir zur Hilfe aufgerufen, und die Resonanz war der Wahnsinn“, sagt Kristina Beyer. „Wir haben einen großen Freundeskreis, die Freude haben über Wochen gemeinsam mit uns geschuftet.“
Dazu kamen immer wieder Helfer von außerhalb, die in die Flutgebiete gereist waren, um zu helfen, die einfach mit anpackten. Und professionelle Teams, wie das Unternehmen aus Hagen am Teutoburger Wald, das im Rahmen des Projektes „Hagen hilft Hagen“ bei der Familie aufschlug und in wenigen Tagen die fortgespülte Ufermauer zum Nahmer Bach wieder neu aufbaute.
Keine Versicherung gegen Hochwasser
Eine Gebäudeversicherung gibt es zwar. Hochwasser aber ist ausgeschlossen. „Man mag das leichtsinnig nennen, aber bei der Größe des Areals und der Gebäude hätten wir die kaum bezahlen können“, sagt Eike Dürhagen, „letztlich habe ich schon, bevor wir die Fabrik gekauft haben, zehn Jahre lang hier gearbeitet. Es hat nie ein Problem mit dem Wasser gegeben.“ Bis zum Tag, an dem die Jahrhundertflut kam.
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Unterstützt wird die Familie in der Krise von der Stadt Hagen. „Ich habe aus Maggys Perspektive einen Brief an Oberbürgermeister Schulz geschrieben. Am 6. Oktober war er selbst vor Ort, hat sich ein Bild gemacht und dann vermittelt“, sagt Kristina Beier, „in den folgenden Wochen sind wir von der Stadt immer wieder unterstützt worden – völlig unbürokratisch und schnell. Immer wieder haben sich die Mitarbeiter der Stadt Zeit genommen. Wir sind ja ein Sonderfall, haben als Privatleute eine Fabrik gekauft. Da fällt man leicht durch alle Raster.“
Spendenkonto der Stadt greift
500.000 Euro Schadenshöhe bestätigt mittlerweile ein Gutachten. Mit Unterstützung der Stadt stellt die Familie beim Land einen Antrag auf Hochwasserhilfe. Aber den 20-prozentigen Eigenanteil wird sie nicht aufbringen können. Für genau solche Fälle hat die Stadt ein Spendenkonto eingerichtet und signalisiert, dass die Familie so mit weitere Hilfe rechnen kann. „Wie hoch die ausfallen wird, wissen wir noch nicht genau“, sagt Eike Dürhagen. „Aber das Geld wird uns auf jeden Fall helfen.“
Das kleine Paradies im Nahmertal soll wieder aufblühen. „Das ist ein Traum hier, wir können uns frei entfalten“, sagt Eike Dürhagen, „es wird auch weiter nicht alles auf einmal gehen. Aber hier wird ein toller Ort entstehen.“ Ein Ort, an dem die kleine Magdalena groß werden soll.