Hagen. Die Herausforderungen der Flüchtlingswelle haben über Jahre den Rhythmus in der Stadt verändert. Doch die Bilanz kann sich sehen lassen.

Wenn Angela Merkel nach der nahenden Regierungsbildung als Kanzlerin Geschichte sein wird, dann wird ihr 2015 geäußerter Satz „Wir schaffen das“ vor allem in Hagen die Frage hinterlassen, ob wir es wirklich geschafft haben. Die Stadtredaktion Hagen nähert sich dieser Frage aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Seit jenen hitzigen, emotional aufgeladenen Tagen im Jahr 2015, in denen Ängste, Fragen und Verunsicherung Versammlungen und Bürgertreffen begleiteten, haben Menschen aus 31 Nationen Zuflucht in Hagen gefunden. Haben wir es wirklich geschafft, Frau Merkel?

2366 Syrer, 232 Afghanen, 204 Iraker und 96 Menschen aus Eritrea. Die Zahlen beschreiben die Menge an Flüchtlingen, nicht an Zuwanderern im Rahmen von Freizügigkeit. In einer Hochphase im März 2017 hatte die Stadt Hagen 487 Wohnungen für solche Flüchtlinge angemietet. Mit Stand vom 31. Dezember 2020 waren noch 286 Wohnungen im Bestand.

Die Stadt hat immer wieder Möglichkeiten mit Hilfe vieler ehrenamtlicher Helfer geschaffen, die Menschen kurzfristig in öffentlichen Gebäuden, beispielsweise in der Wilhelm-Busch-Schule, für eine Übergangszeit unterzubringen.
Die Stadt hat immer wieder Möglichkeiten mit Hilfe vieler ehrenamtlicher Helfer geschaffen, die Menschen kurzfristig in öffentlichen Gebäuden, beispielsweise in der Wilhelm-Busch-Schule, für eine Übergangszeit unterzubringen. © WP | Michael Kleinrensing

In 652 Fällen ist es zu Familienzusammenführungen seit 2015 gekommen. 65 Familien warteten Ende des vergangenen Jahres immer noch auf diese Zusammenführung. 325 Menschen reisten freiwillig wieder aus. Im Rahmen des Dublin-Verfahrens kam es zu 32 Überstellungen. Das Dublin-Verfahren dient der Zuständigkeitsbestimmung zur Durchführung des Asylverfahrens in einem EU-Mitgliedstaat. Es bezweckt, dass jeder Asylantrag, der auf dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gestellt wird, materiell-rechtlich nur durch einen Staat geprüft wird. 77 Abschiebungen wurden vollstreckt.

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Der Stadt Hagen sind für die Unterbringung und die materielle Versorgung von Flüchtlingen seit 2015 rund 22,6 Millionen Euro an Kosten entstanden. Ende vergangenen Jahres wurden noch fünf Flüchtlingsheime betrieben. Für das laufende Jahr 2021 wird mit einer Gesamtaufnahme von 110 Flüchtlingen gerechnet.

Von November 2015 (der Hochphase des Flüchtlingsaufkommens) bis Ende 2016 waren es über 600 gewesen. 2017 noch 481 und 2018 nur noch 190. Ein Hoch gab es noch mal in 2019 mit 250 Flüchtlingen. Seither nimmt die Zahl deutlich ab.

Stadt verändert Strukturen

Um die Integration und Aufnahme zu optimieren, wurde 2015 im Fachbereich Jugend und Soziales das Personal aufgestockt und der „Sozialdienst für Flüchtlinge“ sowie die „Unterkunftsverwaltung“ als eigene Sachgruppen installiert. Zudem, so erklärt die Stadt, wurden folgende Optimierungen umgesetzt: Intensivierung der Netzwerkarbeit, Anbindung der Flüchtlinge im Stadtteil durch sozialraumorientierte Arbeit, Initiierung von Projekten wie einer Fahrradwerkstatt oder interkulturelle Kochprojekte oder ehrenamtliche Sprachkurse. Das Kommunale Integrationszentrum der Stadt bietet in Zusammenarbeit mit der Schulaufsicht die Seiteneinsteigerberatung an für alle neu zugewanderten Familien mit schulpflichtigen Kindern.

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Seiteneinsteiger sind Kinder aus Familien, die neu eingereist sind und über keine Deutschkenntnisse verfügen. Zur Stärkung des Ehrenamtes steht der Stadt Hagen durch ein Landesprogramm jährlich eine Summe in Höhe von 71.000 Euro zur Verfügung, die zur Begleitung des ehrenamtlichen Engagements in der Geflüchtetenhilfe eingesetzt wird.

Die städtischen Fachbereiche – hier Jugend und Soziales sowie die Gebäudewirtschaft – haben beispielsweise in Kückelhausen dafür gesorgt, dass die leerstehende Grundschule in eine Flüchtlingsunterkunft umgewandelt wird.
Die städtischen Fachbereiche – hier Jugend und Soziales sowie die Gebäudewirtschaft – haben beispielsweise in Kückelhausen dafür gesorgt, dass die leerstehende Grundschule in eine Flüchtlingsunterkunft umgewandelt wird. © WP | Michael Kleinrensing

„Unter erheblichem Aufwand konnten 2015 durch Anmietung von Wohnungen und Schaffung neuer Gemeinschaftsunterkünfte die Geflüchteten mit Wohnraum versorgt werden“, erklärt die Stadt Hagen auf die Frage, ob wir es in Hagen bislang wirklich geschafft haben.

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Und weiter: „Der Integrationsprozess gestaltete sich bei Flüchtlingen mit ,guter Bleibeperspektive’ (Anerkennung des Flüchtlingsstatus durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) in der Praxis deutlich einfacher als bei Flüchtlingen mit „schlechter Bleibeperspektive“, da sich Zugänge zum Beispiel zu Integrationskursen und dem Arbeitsmarkt in den beiden Gruppen anders darstellen. Es gibt eine Anzahl von Flüchtlingen, die sich bereits seit 2015 mit einer Duldung in Hagen aufhalten und immer noch in von der Stadt angemieteten Wohnungen und Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind. Bei dieser Gruppe hat sich oft „Perspektivlosigkeit“ entwickelt.“

Wichtigster Schlüssel: die Sprache

Wünschenswert wäre laut Stadt gewesen, wenn den Kommunen nur diejenigen zugewiesen worden wären, die von den strukturellen Vorgaben des Asylrechts dem Grunde nach auch wirklich „integrierbar“ seien, das heißt eine Bleibeperspektive in Deutschland haben würden.

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Wichtige Eckpunkte zur Integration seien und bliebe der Erwerb der deutschen Sprache auf möglichst hohem Niveau und die Integration in den Arbeitsmarkt. „Manche Ökonomen sprechen von einem langwierigen, jahrelangen Prozess zur Integration in den Arbeitsmarkt, zumindest bei der Zielgruppe, die mit einem „niedrigen Bildungsniveau“ nach Deutschland gekommen ist“, erklärt die Stadt. „Dem überwiegenden Teil der nach Hagen gekommenen Geflüchteten ist die Integration gelungen. Das Land NRW hat aktuell zur weiteren Begleitung der Integration eine Teilhabe- und Integrationsstrategie 2030 entwickelt, die in drei Zieldimensionen gegliedert ist. An dieser orientiert sich auch die Stadt Hagen.“

Dabei geht es um die „Erstintegration von Neuzugewanderten“, um die „Nachhaltige Integration in die Regelsysteme“ und drittens darum, „Migrationsgesellschaft zu gestalten“.