Hagen/Kabul. An einem der gefährlichsten Orte der Welt tut der Fotojournalist Andy Spyra, was er schon so oft getan hat. Er gibt der Krise Gesichter.

Und wieder ist sein Auge da. Wieder hält Andy Spyra Momente der Krise fest. Menschen, Gesichter, Straßen, Landstriche, Bruchteile chaotischer Zusammenhänge, die eine Emotion, einen Zusammenhang transportieren. Der Hagener Fotojournalist, dessen meist schwarz-weiße Aufnahmen aus Kriegs- und Krisengebieten dieser Erde auf der ganzen Welt ausgestellt und publiziert wurden, ist in diesen Tagen dort, wo die Weltgemeinschaft mit Sorge hinblickt: in Afghanistan. Zuletzt in gefährlicher Mission. Und die nächste steht bevor.

Blick in den Bauch einer C-17-Frachtmaschine, in der bis zu 600 Menschen transportiert werden.
Blick in den Bauch einer C-17-Frachtmaschine, in der bis zu 600 Menschen transportiert werden. © Andy Spyra | Andy Spyra

Am vergangenen Samstag und Sonntag waren Spyra und sein schreibender Kollege der ZEIT, Wolfgang Bauer, an Bord eines Airbus gegangen, den die Hilfsorganisation Seawatch gechartert hatte. 170 gefährdete Afghanen, darunter auch Mitarbeiter deutscher Medienhäuser, sollten vom Kabuler Flughafen aus in Sicherheit gebracht werden. Ein Flug als letzte Hoffnung im Rahmen der von Seawatch gegründeten Organisation „Kabulluftbrücke“.

„Der Airbus, den ihr Team Richtung Kabul steuern lässt, ist der erste Versuch von Zivilisten, Verzweifelte aus Afghanistan herauszuholen. Diesen Flug begleiten viele Fragen: Können Privatleute das, woran deutsche Diplomaten und Soldaten zu scheitern drohen?“, schreibt Redakteur Wolfgang Bauer im jüngst erschienen Artikel „170 Sitzplätze, 170 Leben“, der auch auf „ZEIT online“ lesbar ist und hiermit empfohlen wird.

Großes Chaos am Flughafen

Bauer mit Sprache und Spyra in Bildern dokumentieren, wie es am Ende doch noch gelingt, die 170 in einem Versteck wartenden Menschen auszufliegen, nachdem die Rettungscrew an Bord zunächst ohne sie wieder abfliegen muss, weil die Lage sich zuspitzt. Behördliches Chaos, ausgehend vom Auswärtigen Amt, Verhandlungen vor Ort mit Diplomaten, US-Soldaten, Bundeswehr-Mitgliedern und der eigene Wunsch von Spyra und Kollege Bauer, vom Flughafengelände hinaus in die Stadt gelassen zu werden – es kommt vieles zusammen.

Dieses Mädchen hat es an Bord der Evakuierungsmaschine geschafft.
Dieses Mädchen hat es an Bord der Evakuierungsmaschine geschafft. © Andy Spyra

Spyra und Bauer wollen zu ihren Kollegen. Und sie wollen berichten. „Nie“, erklären die Reporter, „war es so wichtig, von hier zu berichten.“ Eine Stunde bleibt nur Zeit, die 170 Personen an Bord zu holen. Sie verstreicht. Die Flüchtlinge schaffen es im Chaos am Flughafen von Kabul nicht in die Maschine. Spyra und seine mitgereisten Kollegen werden in eine Frachtmaschine gebeten und sofort nach Doha (Katar) ausgeflogen.

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„Im Bauch einer C-17- Frachtmaschine, gefüllt bis auf den letzten Zentimeter. Alte, Gebrechliche, Frauen, die stillen, schreiende Babys. Sind es 500 Menschen, sind es 600?“, schreiben sie in ihrer Reportage.

Hektik, Angst und Chaos: Flüchtlinge wollen so schnell wie möglich an Bord eines Flugzeuges, das sie aus Kabul herausbringt.
Hektik, Angst und Chaos: Flüchtlinge wollen so schnell wie möglich an Bord eines Flugzeuges, das sie aus Kabul herausbringt. © Andy Spyra | Andy Spyra

Wenige Stunden später sprengen sich zwei Selbstmordattentäter an einem der überfüllten Flughafeneingänge in die Luft. „Dann passiert doch noch das, womit niemand mehr gerechnet hatte: Kurz nach Mitternacht lassen die Taliban den Konvoi mit den Flüchtlingen nach 40-minütigen Verhandlungen passieren. 189 Menschen in fünf Bussen. Sie betreten einer nach dem anderen, aufgereiht in einer langen Schlange eines der allerletzten Evakuierungsflugzeuge“, heißt es im Artikel. Der Eintritt in ein neues Leben.

Seit vielen Jahren ist der Hagener Andy Spyra als Fotojournalist in den Krisenregionen der Welt unterwegs.
Seit vielen Jahren ist der Hagener Andy Spyra als Fotojournalist in den Krisenregionen der Welt unterwegs. © Michael Kleinrensing

Fotograf will wieder nach Kabul

„Ich bin aktuell dabei, mir ein pakistanisches Visum zu organisieren“, sagt Andy Spyra am Telefon, während er in Doha wartet. Er will zurück nach Kabul. Über den Chaibar-Pass im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan. Während Außenstehende die Situation vor Ort wohl als lebensgefährlich einschätzen würden, ordnet Spyra die Lage mit der Erfahrung eines langjährigen Kriegsfotografen nüchterner ein: „Es ist noch keine staatliche Ordnung hergestellt, aber alle Kollegen sagen, dass man als Journalist durchaus mit den Taliban arbeiten könne. Man muss sich bei ihnen akkreditieren. Es wird viele Checkpoints geben. Den Taliban ist aktuell daran gelegen, dass die Pressearbeit vor Ort funktioniert. Sie sind in gewisser Weise davon abhängig. Den IS sehe ich daneben aktuell nicht als unmittelbar große Gefahr an.“

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Seit sieben Jahren bereist Spyra Afghanistan, ist zweimal jährlich vor Ort. „Aus dieser Erfahrung heraus wissen wir, wie wir uns zu verhalten haben. Wir sehen dort aktuell eine überschaubare Sicherheitslage. Das Risiko, nach Kabul zurückzukehren, ist kalkulierbar“, sagt Andy Spyra. Und so wird Spyra nach Kabul aufbrechen.

Um zu tun, was Reporter tun: berichten.

In einem Lager warten afghanische Flüchtlinge darauf, dass es am Kabuler Flughafen für sie irgendwie weitergeht. Die Lage ist unübersichtlich.
In einem Lager warten afghanische Flüchtlinge darauf, dass es am Kabuler Flughafen für sie irgendwie weitergeht. Die Lage ist unübersichtlich. © Andy Spyra