Hagen. Hildegund Kingreen ist in Hagen Grünen-Politikerin der ersten Stunde. Ein Geburtstagsgespräch mit einer Frau, die seit 40 Jahren Politik macht.

Was ist eigentlich eine Grande Dame? Hildegund Kingreen würde mit diesem Begriff fremdeln. Frontfrau mag es eher treffen, obwohl sie gar nicht gern im Mittelpunkt steht. Das aber bleibt nicht aus, wenn man als Grüne Frau in Hagen mehr als 40 Jahre Politik macht. Sie ist eine streitbare Politikerin, ganz gewiss. Eine der Grünen-Frauen der ersten Stunde ist sie ohne Zweifel. Eine, die schon vor Jahren Gefallen daran fand, männerdominierte Polit-Gremien in Hagen aufzumischen. Unangenehm im positiven Sinne, kreativ, konstruktiv. Jetzt wird Hildegund Kingreen, die 25 Jahre im Stadtrat saß und zehn Jahre lang die Fraktion anführte, 80 Jahre alt. Ein Interview zum Geburtstag.

Wie sind sie eigentlich in den 80ern auf die Idee gekommen, Politik zu machen?

Hildegund Kingreen Als meine Kinder gerade geboren waren, wurde ich schon Mitte der 60er-Jahre in Bürgerinitiativen aktiv. Es ging um den Biafra-Krieg, es ging um Vietnam. Wir haben Friedensdemonstrationen organisiert. Zeitgleich bin ich, als wir noch in Bremen wohnten, bei Terre des Hommes eingestiegen. Kinder im Krieg – das war mein Thema. Später, in Hagen, habe ich mit der Terre-des-Hommes-Arbeitsgruppe 19 jugendliche Flüchtlinge aus Vietnam betreut, zwei von ihnen lebten später mit uns in der Familie. Dann haben mich die Grünen angesprochen, ob ich nicht für sie in den neu gegründeten Ausländerbeirat wolle. Das war der Einstieg.

Warum ausgerechnet die Grünen?

Man muss heute zugeben – das war damals schon ein unendlich chaotischer Haufen. Gleichwohl habe ich mit den Grünen sympathisiert, ihre Ansichten geteilt, sie gewählt. Sie fielen aus dem starren Rahmen heraus. Ich bin ja 1941 geboren worden – hinein in eine spießige Zeit, die auch geprägt war durch Zwänge und Tabus. Das war für mich auch eine Art Aufbruch gegen die Elterngeneration.


Also sind sie eingetreten. . .

Engagiertes Ehepaar

Auch Christian, der Mann von Hildegund Kingreen, engagiert sich in Hagen – wenn auch nicht politisch. Kingreen ist Hautarzt und erklärter Pazifist.

Ende der 60er ging er als ärztlicher Leiter von „Terre des ­Hommes“ nach Westafrika, um dort Kindern aus Biafra, die vom Hungertod bedroht waren, medizinisch zu helfen.

Bis Mitte der 1980er reiste Kingreen etliche Male nach Vietnam, um dort humanitäre Hilfe zu leisten.

Die Kingreens haben zwei Kinder adoptiert – ein vietnamesisches und ein amerikanisch-deutsches Mädchen. 1979 hat die Familie zwei „Boat-people“-Kinder zu sich genommen.

Erst ein bisschen später. Da gab es ein Lokal in Wehringhausen. Ein bunter Haufen hat sich da getroffen, um gegen die Varta mit all ihren Giften zu opponieren. Gleichzeitig wurde man da richtig vollgeraucht. Der Mensch ist eben nicht immer konsequent. Der Homosexuellen-Paragraf war daneben ein großes Thema und die Feindseligkeit gegenüber Migranten und Geflüchteten.


Wir haben Sie Politik empfunden?

Zu meinen ersten Erfahrungen zählte der Personalausschuss. Das war ein echter Härtefall. Da saßen anfangs nur Männer. Dann ging es über die Bezirksvertretung Hohenlimburg schließlich in den Rat. Eigentlich habe ich mich nie aufgedrängt. Es hieß immer: Hildegund, nun mach das mal.


Was unterscheidet denn die Grünen von damals und die Grünen heute?

Die Unterschiede sind schon erheblich. Damals galten wir noch als die bunten Vögel, die Verrückten. Wenn wir einen längeren Wortbeitrag im Rat hatten, gingen die anderen raus zum Kaffeetrinken. Es wurde laut geflachst, gespottet über uns. Diese Art und Weise, miteinander umzugehen, hat mich sehr gestört. Die Folge war, dass wir Grünen Fundamentalopposition betrieben. Man konnte Standpunkte deutlich vertreten, das lag mir. Allerdings gab es auch noch engagierte Leute bei der SPD, mit denen man gut zusammenarbeiten konnte. Die haben sie heute leider kaum noch. Die Verlässlichkeit in der CDU ist deutlich höher. Wir sind Teil der Allianz. Das hat durchaus Vorteile: Wir können heute Themen einbringen, die vorher einfach vom Tisch gewischt worden wären.


Aber da gibt es doch auch eine Schattenseite?

Natürlich. Es geht immer wieder darum, ob wir Grünen noch konsequent genug sind. Und da habe ich manchmal auch meine Zweifel. Ich gehöre immer zu jenen, die sagen: Leute, bleibt mal hart, wir sind Grüne. Da steht man manchmal vor einer wahren Zerreißprobe. Die Diskussion um die Zukunft des Wirtschaftsbetriebs ist da ein ganz aktuelles Beispiel. Oder das Vorgehen der Hagener Entwicklungsgesellschaft. Die rennen durch die Stadt, kaufen Häuser und Grundstücke auf. Und die Politik darf’s nur noch abnicken. Stadtplanung findet hinter verschlossenen Türen statt.


Gleichwohl – divers ist er immer noch nicht, der Stadtrat – oder?

Es ist immer noch weitgehend ein Gremium der alten Männer. Der Rat muss sich dringend weiter verjüngen. Menschen verbrauchen sich auch im Politikbetrieb. Neue und jüngere Menschen und mehr Frauen bringen andere Impulse und neuen Schwung. Aber es ist schwer, Menschen für die mühsame Gremienarbeit zu interessieren. Wir haben bei den Grünen viele Neueintritte. Die Jungen haben zum Beispiel unsere Digitalisierung auf neuen Stand gebracht. Die ist aber letztlich nur Mittel zum Zweck. Noch mehr Menschen wünsche ich mir bei uns für die Arbeit an unseren vielen inhaltlichen Schwerpunkten.


Aber wenn Sie die Fridays-for-Future-Bewegung sehen, müsste Ihnen doch das Herz aufgehen. . .

Ja, allerdings! Die sind meine letzte Hoffnung. Es handelt sich um junge, gut ausgebildete und gut informierte Leute, die mit hohem Engagement für den besseren Schutz unseres Planeten argumentieren und kämpfen. Ihnen habe ich gesagt: Werdet noch unbequemer, fordert mehr. Was wir brauchen, sind knallharte Bürgerinitiativen, die der Politik sagen: So, wie ihr das vorhabt, läuft es nicht. Das muss von außen kommen. Es kann nicht alles in Parteiprogrammen stehen.


Welche Projekte bleiben nach so langer Zeit in Erinnerung?

Die Tierheimdiskussion, die sich über Jahre hingezogen hat. Da haben wir zugesehen, wie MitarbeiterInnen unter unwürdigen Bedingungen arbeiten mussten und Tiere nicht tierschutzgerecht gehalten wurden. Das Schumacher-Museum – da bin ich sehr glücklich, dass es gelungen ist, es zu realisieren. Es fällt dabei immer unter den Tisch, dass wir auch für die Sanierung des Osthaus-Museums erhebliche Fördergelder bekommen haben. Das hätte die Stadt sonst alles schön selbst zahlen müssen. Ein Riesenthema direkt bei mir vor der Haustür war natürlich auch das geplante Möbelhaus auf der Haßleyer Insel. Wir haben für teuer Geld einen Kanal gebaut, für den alle zahlen müssen. Aber bis heute tut sich da nichts. Jetzt wird dort wieder Landwirtschaft betrieben – mir ist’s nur recht. Auch die Rettung des FFH-Gebietes Haßleyer Wald vor der Abgrabung durch Dolomit hat mich seinerzeit sehr glücklich gemacht. Der Einsatz für Geflüchtete, für Klima- und Artenschutz waren immer und bleiben meine wichtigsten Themen.