Hagen. Mehrere Akteure protestieren heftig gegen die bislang geheime Übertragung vieler öffentlicher Aufgaben auf den WBH. Auch Klagen bahnen sich an.

Den von dieser Zeitung aus geheimen Sitzungen an die Öffentlichkeit gebrachten Plan von Politik und Verwaltung, die Entscheidungsgewalt in Bereichen wie Straßenbau, Wege, Plätze, Radwege, Fußgängerzonen, Brücken, Treppen, Spielplätze, Außenanlagen von Kitas, Parks, Brunnen, Winterdienst, Gewässerunterhaltung, Renaturierung oder Beleuchtung an den Wirtschaftsbetrieb Hagen (WBH) zu übergeben, begleitet heftiger Protest. Gleich mehrere Initiativen fordern, dass der „Betrauungsakt“, der aus steuerlichen Gründen geschehen soll, gestoppt wird und Bürger und Politik nicht ihrer demokratischen Zugriffsrechte beraubt werden. Die Entscheidung soll schon in einer Woche im Rat fallen. Wieder nichtöffentlich. Unterdessen bahnen sich bereits zwei Klagen gegen die mögliche Beschlussfassung an. Gegen den Deal haben sich öffentlich bislang nur die Grünen positioniert.

Hagen könnte mit 2,5 Millionen Euro zusätzlich belastet werden im Jahr

Der Gesetzgeber hat die Umsatzbesteuerung für Städte geändert. Ab 2023 besteht konkret für Hagen das Risiko, dass ein Großteil der Leistungsbeziehungen zwischen Stadt und WBH umsatzsteuerpflichtig wird. Mögliche Belastung für die Nothaushaltskommune Hagen: 2,5 Millionen Euro im Jahr.

Um das zu vermeiden, hat der Rat im Sommer 2019 Auskunft beim Finanzamt zur „steuerlichen Beurteilung der neu zu gestaltenden Leistungsbeziehungen zwischen WBH und Stadt“ in Form des eingangs beschriebenen Betrauungsaktes erbeten.

Auch der Bau von Radwegen gehört zu jenen Bereichen, auf die der WBH künftig den vollen Zugriff haben wird.
Auch der Bau von Radwegen gehört zu jenen Bereichen, auf die der WBH künftig den vollen Zugriff haben wird. © Michael Kleinrensing

Ein substanzieller Angriff auf die kommunale Selbstverwaltung

„Das ist ein substanzieller Angriff auf die kommunale Selbstverwaltung und der soll noch im Geheimen stattfinden. Ich wundere mich, dass Parteien im Rat der Stadt Hagen überhaupt auf eine solche Idee kommen, wo sie doch sonst bei jedem Detail mitentscheiden wollen“, sagt Professor Dr. Karl-Heinz Hasenritter, Jurist und emeritierter Hochschullehrer, der viele Jahre an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Hagen lehrte und für die europäische Union weltweit als Berater tätig war.

„Nichtöffentlichkeit ist nur dann angezeigt, wenn die Interessen Privater berührt sind. Es handelt sich hier nicht um eine Auftragserteilung an einen Privaten, sondern um eine Neuabgrenzung der Aufgabenverteilung zwischen der Stadt und einer ihr gehörenden Anstalt des öffentlichen Rechts“, so Hasenritter.

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Problem auch in anderen Städten – müssen schon Fakten geschaffen werden?

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Und Hasenritter geht noch weiter: „Hunderte von anderen Städten und Gemeinden sind ebenso wie die Stadt Hagen von der Neuregelung der Umsatzsteuer betroffen. Die Kommunalen Spitzenverbände haben bereits mit Schreiben vom 21. September 2018 das Bundesfinanzministerium um Auskunft darüber gebeten, wie der Leistungsaustausch zwischen Kommunen und ihren Anstalten des öffentlichen Rechts umsatzsteuerlich zu bewerten ist. Die Antwort des Ministeriums ist nichtssagend und eine Klärung wäre dringend.“ Soll heißen: Das müsse doch erstmal abgewartet werden, bevor Hagen hier nichtöffentlich Fakten schaffe.

Die Ausgründung des WBH im Jahr 2011 sei in erster Linie geschehen, um die Auflage der Bezirksregierung zum 20-prozentigen Stellenabbau bei der Stadt Hagen besser erfüllen zu können. „Das Personal des WBH zählte nicht mehr als Personal der Stadt. Tatsächlich wurde der neue Handlungsspielraum dazu genutzt, das Besoldungsniveau für die Beamten des WBH nach oben zu drücken. Während bei der Stadt Hagen zehn Prozent der Beamten im Höheren Dienst ab Besoldungsgruppe A 13 besoldet werden, sind es beim WBH 42 Prozent, nämlich 12 von 28 Beamten“, so Hasenritter.

Bürgerinitiative meldet sich zu Wort und fordert Einlenken der Politik

Zu Wort meldet sich auch die Bürgerinitiative rund um Professor Jörg Liese. Die Initiative verhinderte vor vier Jahren aus ihrer Sicht erfolgreich den Bau eines Maßregelvollzuges neben der bestehenden Drogenklinik im Deerth. „Rat und Bezirksvertretungen werden aufgefordert, auf ihre Rechte zur Mitgestaltung freiwillig zu verzichten. Wir fordern die Mitglieder des Rates der Stadt Hagen auf: Sorgen Sie für Öffentlichkeit bei diesem Verfahren. Und zweitens: Stimmen Sie gegen die Ermächtigung des WBH, künftig an unseren Bürgervertretungen vorbei zu handeln.“

Auch der Unternehmerrat Hagen stellt sich gegen das, was Politik und Verwaltung (nur die Grünen stellen sich bislang gegen den Betrauungsakt) da vorhaben. Es gehe schlichtweg um „das letzte Tafelsilber“ der Stadt. Wirtschaftsberater und Unternehmerrat-Mitglied Lars Immerthal erklärt: „Ich befürchte, dass sich eine Entscheidung ohne öffentliche Verständigung mit den Bürgern als äußerst schädlich für die Stadt, das Vertrauen der Bürger in den Rat und die Verwaltung herausstellen wird.“

Der Unternehmerrat will wissen, ob folgende Fragen eigentlich beantwortet sind: „Wer hat den Auftrag initiiert? Welche Aufgabenstellung hat die Wirtschaftsprüfung Ernst & Young erhalten? Gibt es Anmerkungen von Wirtschaftsprüfern, die die Bilanz der Stadt erstellen? Mit welchen Institutionen wurde das Thema vorbesprochen? Und konnten die Mitglieder des Rates fachliche Hilfe in Anspruch nehmen? Und gibt es eine Betrachtung der Vor- und Nachteile?“

Nur noch bis zur Leistungsphase wäre die Politik künftig mit im Boot

Das zentrale Steuerungsinstrument im Falle des WBH ist der Wirtschaftsplan. Zur Sicherstellung einer Steuerung müssten in diesem Plan Leistungsstandards und eine maßnahmenscharfe Planung hinterlegt werden. Die Stadt soll bei allen Projekten die Zuständigkeit bis zur sogenannten „Leistungsphase 3“ behalten – der Entwurfsplanung.

Die Stadt erklärte zuletzt, dass die Beratungen zwingend nichtöffentlich sein müssten, da es um steuerliche Angelegenheiten gehe. Im Rahmen der Diskussion werde es nicht möglich sein, zwischen öffentlichen und nichtöffentlichen Inhalten zu trennen.

Nach Informationen unserer Zeitung erwägen Teile des Rates eine „Organklage“ vor dem Verfassungsgericht, falls die Betrauung zustande kommt. Auch aus der Bürgerschaft ist eine Klage angekündigt.