Ziegelwies/Orscholz/Hagen. Baumwipfelpfade bieten einmalige Ausblicke. An vielen Orten in Deutschland, aber leider nicht in Hagen. Hier wurde im Wald eine Chance verpasst.
Wie ich so wandere, die Blicke schweifen lasse, die Natur genieße, die erstaunten Kinder beobachte, da frage ich mich: Was um alles in der Welt haftet eigentlich an meiner Stadt, dass wir nicht mal zupacken, wenn uns jemand ein Geschenk machen möchte? In diesem Sommer ging ich mit meiner Familie über die Baumwipfelpfade in Ziegelwies (Bayern) und Orscholz (Saarland). Es sind Gedanken eines Hagener Besuchers, der zutiefst bedauert, dass der Baumwipfelpfad an der Hinnenwiese nicht Wirklichkeit wurde.
Bei allem Respekt: Gäbe es in Ziegelwies keinen Baumwipfelpfad, wäre das Durchfahrtsörtchen am türkisen Lech landschaftlich zwar eine kleine Perle, aber höchstens noch für den einstigen Schlagbaum zwischen Bayern und Tirol in der Kurve am Ende des Dorfes bekannt. Ohnehin: Dass es mal eine Attraktion geben könnte, die dem wenige Meter entfernten Schloss Neuschwanstein auch nur einen Besucher abluchsen könnte, hätten niemand dort unten an der Romantischen Straße geglaubt.
480 Meter langer Baumkronenweg zwischen Himmel und Erde
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Seit 2013 haben sie den Baumkronenweg, eine 480 Meter lange und 21 Meter hohe Anlage zwischen Himmel und Erde. Die Baumkronen auf Augenhöhe, die Alpen im Blick, die für das Auge kaum greifbare Farbe des Lechs. Eine Naturbühne mit gewaltigen Eindrücken. Würde man nur über den Waldboden gehen, es wäre allein schon eine schöne Naturerfahrung, die man so aber auch in Hagen erleben könnte. Der Perspektivwechsel hingegen, wie ein Vogel so hoch, macht den Reiz aus.
Die Brücke schwingt, der Wind pfeift, kleine Erklärstationen erläutern die Ausblicke. Noch viel bemerkenswerter aber ist, welchen Effekt die vor sieben Jahre eröffnete Anlage auf das Walderlebniszentrum auf der anderen Straßenseite in Ziegelwies hat. 120.000 bis 150.000 Besucher pro Jahr. Walderlebnis? Ja, das ist eine Baustelle, die seit Jahren beackert wird in Hagen. Es gibt zwar ein Waldpädagogisches Zentrum (WPZ) am Forsthaus Kurk. Geboten wird aber Walderlebnis mit Terminvereinbarung und kein touristisches Produkt, das den größten Schatz unserer Stadt dauerhaft, touristisch angemessen und zeitgemäß präsentiert – meine Meinung.
Hagener Waldschatz ist nicht zu einer festen Institution geworden
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Es gibt einen Waldtag in Hagen, der jüngst wieder auflebte. Das Wort macht aber schon die Singularität deutlich. Er findet nur einmal im Jahr statt. Der gigantische Waldschatz in Hagen ist ganz einfach nicht als dauerhaftes Erlebnis institutionalisiert, wenn man so will.
Ein Gedanke wie dieser wird den vielen Jahren der Planungszeit nicht gerecht: Aber in Hagen ist das Baumwipfelprojekt, das das Unternehmen Forrest Adventures hier gern realisieren wollte, aus Gründen gescheitert, die absolut klein kariert wirken, wenn man beispielsweise die Anlage in Ziegelwies sieht. Bei uns in Hagen musste man letztlich Rücksicht auf ein Haselhuhn nehmen, das nie jemand selbst hier gesehen, das aber rund um die Hinnenwiese vermutet wurde. Dann stritten wir über Parkplätze und dann erklärte der Regionalverband Ruhr (RVR), dass eine solche „Baumwelt“ nicht dem Flächennutzungsplan entspreche. Welch Wunder . . .
Europaweit bekannte Kulisse
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Unterdessen strahlt man nicht nur in Ziegelwies, sondern auch in Orscholz. 3600 Menschen leben hier. Orscholz gehört zu Mettlach im Saarland und ist bekannt für die „Cloef“, ein felsiger Aussichtspunkt im Scheitel der europaweit bekannten und tausendfach fotografierten Saarschleife und immer wieder Kulisse in Werbungen oder für staatstragende Polit-Treffen.
Gut, Kritiker werden mir entgegen, dass die Saarschleifen-Kulisse wohl nicht im Geringsten mit Hagener Landschaftsbildern vergleichbar ist. Ich sehe das anders. Denn ich bin über den Baumwipfelpfad an der Saarschleife gelaufen, dessen offizielles Highlight wohl der hohe stählern-hölzerne Aussichtsturm ist, den man oberhalb der „Cloef“ errichtet hat. Etliche Diskussionen hatte es da im Vorfeld gegeben, ob die prestigeträchtige „Cloef“ wenige Meter unterhalb durch einen Holzturm oben auf dem Berg nicht abgewertet würde.
Baumwipfelpfad löst Folgewirkungen aus
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Noch dazu hat wohl niemand rund um Orscholz geglaubt, welche Folgewirkungen ein Baumwipfelpfad für den Ort und die Saarschleife an sich haben könnte. Denn in dem Dorf wurden zahlreiche Investitionen im Gastro-Gewerbe, im Immobilienbereich und in der Infrastruktur getätigt. In Millionenhöhe.
Bereits im ersten Jahr des Bestehens, 2017, liefen 250.000 Menschen über den Orscholzer Baumwipfelpfad. Mit einer Gesamtlänge von 1250 Metern und einer Höhe von 3 bis 23 Metern schlängelt sich der Baumwipfelpfad durch Buchen, Eichen und Douglasien in Richtung Saarschleife – vorbei an zahlreichen Lern- und Erlebnisstationen.
Der europäische Fonds für Regionale Entwicklung hat Geld in das Projekt geschossen, der Tourismus in der Region profitiert. Vor allem wird die Natur erklärt, gewürdigt und lehrtechnisch erlebbar gemacht.
Hagens besondere Lage zwischen Sauerland und Ruhrgebiet
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Saarschleife und Natur-Wunder haben wir nicht, mögen Kritiker entgegnen? Möglicherweise ist die Hagener Schnittstelle an der Hinnenwiese auf andere Weise bildgewaltig, ja. Ihre Lage ist aber ebenso hoch interessant: an der Grenze zwischen Sauerland und Ruhrgebiet. Mit vielen kilometerweiten Blicken in eine der größten Metropolregionen Europas.. Auf der anderen Seite das Sauerland, mächtige Mittelgebirgslandschaft und Tourismus-Region. Hagen im Spannungsfeld zwischen Metropolregion und Waldland wäre die Geschichte, die hier erzählt werden könnte
Doch das Baumwipfelprojekt in Hagen ist gestorben. Aus Sicht eines Befürworters aus vielen kleinen Gründen und Hindernissen, die man vielleicht überwunden hätte, wenn man es wirklich gewollt hätte. Wer in Ziegelwies und Orscholz baumwipfeln geht, erlebt nicht nur ein Natur-Schauspiel, er verbindet auch fortan etwas mit den Orten
Und das wäre ja mal etwas gewesen für unsere waldreiche Stadt. Eine Image-Aufwertung, etwas, worüber man in Deutschland redet.
Es ist so schade.