Boele. Die Schließung schockte Michael Abrahams aus Hagen-Boele. doch junge Leute aus dem Stadtteil sprangen ihm zur Seite. Jetzt gibt es eine Chance.
Der Besuch bei Michael „Abbi“ Abrahams steht stellvertretend für das, was Hagens Kneipen, Gaststätten, Wirtschaften, Restaurants oder Imbisse gerade durchstehen müssen. Die Corona-Epidemie droht, ihre Existenzen zu zerstören. Schließungen, Kurzarbeit, Ängste. Doch der Besuch bei Abrahams in der Boeler „Tute“ mit ihrer 176-jährigen Geschichte zeigt auch, dass die Menschen in den Vierteln dieser Stadt ihre Kneipiers, Gastronomen oder Imbiss-Männer nicht hängen lassen wollen. Und so wird auch Michael Abrahams plötzlich getragen von der Solidarität eines ganzen Stadtbezirks.
Michael Abrahams (51) sitzt in seiner leeren Gaststätte, die für viele Boeler das ist, was den Ort im Innersten zusammenhält. Seit 1844 in den Händen der Familie Abrahams. Jede Wette, hier war jeder Boeler schon mal drin – und wenn es nur seine eigene Tauffeier war.
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Gäbe es keine Corona-Krise, wäre diese traditionsreiche Kneipe mit mit ihrer dunklen Eichen-Optik, dem alten Klavier, den Sparfächern und der Brezeltüte über dem Eingang (die Kneipe heißt „Tute“, weil man im Boeler Platt früher die Brötchentüte so nannte, in der Abrahams’ Vater aus der damals dazugehörenden Backstube die Brötchen ausgab) eine Erfolgsgeschichte.
Denn während viele Kneipen sterben, lebt hier das Tresengeschäft weiter. Die Kneipe ist derart beliebt im Ort, dass auch die 18- bis 30-Jährigen sie für sich entdeckt haben. Freitagabends fährt man nicht in die Stadt. Man geht zu „Abbi“. Open end. Bier 1,40 Euro und das prägende Gefühl, dort die Woche ausklingen zu lassen, wo es Vater oder Opa schon getan haben.
Die fetten 70er- oder 80er-Jahre bleiben unerreicht. Gesangsvereine haben sich aufgelöst. Doch der Stamm der Boeler Vereine kommt weiter. Familienfeiern, Kaffeetrinken, Geburtstage. Es läuft. So, dass Abrahams leben kann und die Menschen ihren Anlaufpunkt nicht verlieren.
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Abrahams: Zwei Monate könnte man es wirtschaftlich schaffen
Doch jetzt: Schließung. Die „Tute“ musste dicht machen. Wie alle Gastro-Betriebe der Stadt. Corona ist schuld. Vieles rauschte da an Michael Abrahams vorbei. Das Werk seines Großvaters, seines Vaters Hans, die vielen Nächte hinter dem Tresen. „Ich war platt und geschockt.“ Ganz realistisch könne er zwei Monate Schließung überleben. Danach wäre Ende.
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Doch in dieser Krise, in der die „Tute“ vielleicht zu sterben drohte, hatte Abrahams die Rechnung ohne die jungen Boeler gemacht. Junge Mitglieder des Schützenvereins und der Loßröcke schickten eine Facebook-Seite für einen Lieferdienst an den Start und ermunterten ihren Wirt und Koch: „Wenn die Leute nicht zu dir kommen, dann komm du zu den Leuten.“
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Abrahams verschlankte seine Essenskarte und liefert seit Mittwoch aus. Frikadellen mit Rahmwirsing. Pfefferpotthast mit Kartoffeln. Schnitzel mit Blumenkohl. Alles für 6 bis 9,50 Euro. Wer mag, darf das Essen auch abholen. „Es ist erlaubt, dass ich es über den Tresen reiche“, sagt Abrahams. Und Pastor Christoph Schneider von der benachbarten Kirchengemeinde habe sogar erlaubt, dass ältere Menschen mit ihrem Auto vor die „Tute“ fahren dürften.
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Erster Tag direkt ausgebucht: Lieferdienst läuft seit Mittwoch an
Seit Mittwoch läuft der Lieferdienst. An Tag eins war Abrahams, dessen Kollegin Grit die Speisen ausfährt, in seiner Küche so gut wie ausgebucht. „Ich bin für die Unterstützung und den Rückhalt durch die jungen Leute sehr dankbar. Diese Strukturen hätte ich selber gar nicht so schnell hingekriegt.“ Aus seiner Sicht bleibt zu hoffen, dass man mit so einem Lieferservice auch mehrere Monate überbrücken kann.
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„So stehen jetzt alle Gastrobetriebe da“, sagt Lars Martin, Geschäftsführer des örtlichen Hotel- und Gaststättenverbandes. Erfreulicherweise gebe es eine Zusage für eine Einmalzahlung des Bundes über die Bezirksregierungen für alle Betriebe, die jetzt Umsatzausfälle haben. Schnell bereitgestellte KfW-Kredite müssten unbürokratischer und haftungsfrei werden. „Viele Betriebe haben keine Rücklagen“, sagt Lars Martin, der hofft, dass das Umstellen auf den Lieferdienst zur Überbrückung reichen wird.