Hagen. Vor 75 Jahren fliegen US-Bomber einen Tagesangriff auf Hagen. Mehr als 400 Menschen sterben. Es ist die Einleitung der Endphase des Kriegs.

Ein Historiker wie er, der sich so intensiv mit den Bombenangriffen auf seine Heimatstadt befasst hat, hat viele Akten und Bericht gelesen. Er hat mit Zeitzeugen gesprochen. Er hat Ereignisse miteinander verglichen. Und all das befähigt ihn dazu, Dinge einzuordnen. „Dieser Angriff“, sagt Dr. Ralf Blank, Leiter des Fachdienstes Wissenschaft, Museen und Archive, „hatte apokalyptische Ausmaße.“

Dieser Angriff, über den Blank spricht, ereignete sich heute vor 75 Jahren. Am 28. Februar 1945 legten US-Bomber weite Teile von Altenhagen, Eckesey und Boelerheide in Schutt und Asche. Mehr als 380 Hagener starben. „Es gab in diesen Stadtteilen keine größeren Bunker wie beispielsweise in der Innenstadt“, sagt Blank, „die Menschen haben sich größtenteils in Luftschutzkellern und Stollen verschanzt. Die boten aber keinen ausreichenden Schutz. Viele sind eingestürzt.“

Erster großer Tagesangriff vor 75 Jahren

Nach dem Luftangriff liegen weite Teile von Eckesey und Altenhagen in Trümmern.
Nach dem Luftangriff liegen weite Teile von Eckesey und Altenhagen in Trümmern. © Stadtarchiv Hagen

Hinzu kommt, dass dieser Angriff der erste große Tagesangriff an, der auf Hagen geflogen wurde. „Er kam völlig überraschend“, so Blank, „die Menschen haben noch gesehen, wie die Bomben durch die dichte Wolkendecke fielen. Sie hatten kaum Zeit, sich selbst in Sicherheit zu bringen.“

Es war der Angriff, der die Endphase des Zweiten Weltkrieges für die Stadt Hagen eingeleitet hat. „Er war teil des sogenannten Ruhrabriegelungsprogramms, mit dem Amerikaner und Engländer das Ruhrgebiet isolieren wollten. Die Bodenoffensive, die links des Rheins immer weiter vorankam, sollte unterstützt werden.“

Fuhrparkbrücke stürzte ein

Bei diesem Angriff wurde die Fuhrparkbrücke, die die Bahnverbindung in Richtung Norden überspannte, zerstört. „Teilweise befanden sich noch Fuhrleute auf der Brücke“, so Blank, „wir haben zahlreiche Zeitzeugenberichte im Archiv. Selbst erfahrene Polizisten waren entsetzt über das Ausmaß des Angriffs.“

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Das „Ruhrabriegelungs-Programm“ war am 17. Februar 1945 vom sogenannten Air Straff im Alliierten Oberkommando beschlossen wurde. Am Abend des 27. Februar waren die Angriffsbefehle telegrafiert worden. Man sah ursprünglich koordinierte Luftangriffe auf die Verschiebebahnhöfe in Leipzig und Halle vor. Doch die schlechten Wetterprognosen für den mitteldeutschen Raum sorgten dafür, dass die Angriffsbefehle noch in der Nacht zum 28. Februar geändert wurden. Jetzt standen im südlichen und östlichen Einzugsbereich des Ruhrgebiets die Verschiebebahnhöfe in Hagen-Eckesey, Soest, Schwerte und Siegen sowie das Eisenbahnviadukt bei Arnsberg und die Honsel-Leichtmetallguss GmbH in Meschede im Fokus.

Angriffe unterstützten vorrückende Truppen am Boden

Die Bahnanlagen in Eckesey sind nach dem Bombenangriff komplett zerstört.
Die Bahnanlagen in Eckesey sind nach dem Bombenangriff komplett zerstört. © Stadtarchiv Hagen

Dabei wurde ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Angriffe auch für die Bodenoffensive eine erhebliche Bedeutung hatten. „An diesem Tag brachen die US Army bei Erkelenz und Schleiden durch die deutschen Verteidigungsstellungen“, so Dr. Ralf Blank, „sie erreichten an den folgenden vier Tagen den Rhein bei Düsseldorf und Köln. Die britisch-kanadischen Truppen standen nach der am 26. Februar begonnenen Operation ,Blockbuster’ am 3. März 1945 bei Xanten am Rhein.“

Den Begleitschutz für die rund 1100 ab 7 Uhr am Morgen des 28. Februar 1945 auf Flugplätzen in Ostengland gestarteten Langstreckenbomber stellten über 360 Jagdmaschinen. „Da an diesem Tag über ganz Nordwestdeutschland eine geschlossene Wolkendecke lag, wurden die Bomben über das Bordradar ausgelöst“, so Blank. Der Hauptzielpunkt lagen oft über einer Brücke, einem Stellwerk und über dem Abrollberg eines Rangierbahnhofs.

Deutsche ahnten nichts von den Angriffen

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Die deutsche Jagdleitführung ahnte nichts von den Angriffen. „Sie ging noch am 28. Februar 1945 von einem erneuten Einflug der US-amerikanischen Bomber in den mitteldeutschen Raum und nach Berlin aus“, so Blank. „Deshalb wurden genau dort Jäger gesammelt. Sie sollten die Bomber nach ihrem von deutscher Seite vermuteten Weiterflug aus dem Raum Kassel über Sachsen und Berlin abfangen.“

Aufgrund dieser Fehleinschätzung blieben die über Westdeutschland operierenden Maschinen von der deutschen Jagdabwehr völlig unbehelligt; lediglich eine B-17 musste nach Flaktreffern über Soest auf dem Rückflug vor der englischen Küste notlanden – sechs Crewmitglieder der zehnköpfigen Besatzung konnten gerettet werden, drei Insassen blieben vermisst.

Bombenabwurf war für Besatzung Routine

Dieses Foto zeigt die „Lead Crew
Dieses Foto zeigt die „Lead Crew", die den Angriff über Hagen koordiniert hat, nach ihrer Rückkehr. © Stadtarchiv Hagen

Abgesehen von der dichten Wolkendecke herrschten allgemein gute Sichtbedingungen vor. „Windgeschwindigkeit, Temperatur, Flughöhe, Anflugrichtung und andere Daten wurden von den Bombenschützen in die Zielgeräte der Maschinen eingegeben, der Abwurf lief anschließend weitgehend automatisch ab“, so Blank weiter. „Die eigentlichen Bombenabwürfe wurden von den vorausfliegenden Führungsmaschinen durch Rauchmarkierer und abgefeuerte rote Leuchtkugeln signalisiert. Daraufhin lösten alle in gestaffelten Flughöhen fliegenden Maschinen gleichzeitig ihre Abwurfmunition aus. Der gesamte Ablauf war für die Besatzungen bereits Routine.“

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Über das Ergebnis ihrer Mission 854 blieben die Aufklärungsoffiziere zunächst im Unklaren, da die Wetterbedingungen über Nordwestdeutschland bis zum 15. März 1945 keine wirklich erfolgreichen Fotoeinsätze erlaubten. Aber: „Die Auswirkungen der US-amerikanischen Luftoperation waren für die angegriffenen Städte diesmal sehr konzentriert und schwerwiegend“, sagt Ralf Blank, „am schwersten traf es wohl die Stadt Hagen.“

Erschütternder Tagebucheintrag

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Ein früherer sozialdemokratischer Stadtverordneter vertraute seinem Tagebuch Folgendes an: „Am Mittwoch den 28.2. nachmittags erlebten wir hier (speziell Altenhagen-Eckesey) einen Tagesangriff, der fürchterlich war in seiner Auswirkung. Die Verluste an Menschenleben müssen groß sein, genaue Zahlen weiß man noch nicht. Der übrige Schaden, vor allem an der Eisenbahn, ist unübersichtlich. Die ganze Strecke vom Hauptbahnhof ab ist ein Trichterfeld. Selbst im Stollen der Schmiedag, wo ich während des Angriffs war, merkte man die ungeheuren Erschütterungen. Als wir raus kamen, bot sich ein Bild der Verwüstung, wie ich es mir nicht vorgestellt hatte. Ich bin von Eckesey bis zu meiner Wohnung nur über Trümmer geklettert.“