Hagen. . Erinnerungen an den Hohenhof als Geburtsklinik oder den Bombenkrieg. Zeitzeugenberichte stehen in neuem Buch im Fokus – mit Hagener Beiträgen.

Das Cover deutet auf eine Art Bilanz hin. Jetzt, am Ende des Steinkohlebergbaus, der dieses Ruhrgebiet doch so sehr geprägt hat, zeigt es je zur Hälfte einen Kumpel, dessen Gesicht von Kohle geschwärzt ist und einen Mann, mit gepflegter Haut, der in jeder Bank arbeiten könnte.

„Zeiträume Ruhr – Erinnerungsorte des Ruhrgebiets“ heißt ein mehr als 900 Seiten dickes Werk, das jetzt im Klartext-Verlag erschienen ist. Zwei Hagener Wissenschaftler, Dr. Birgit Schulte, stellvertretende Direktorin des Osthaus-Museums, und Dr. Ralf Blank, Leiter des Fachdienstes Wissenschaft, Museen und Archive der Stadt Hagen, haben daran mitgewirkt.

Der Wandel wird in dem neuen Buch dargestellt.
Der Wandel wird in dem neuen Buch dargestellt. ©

Es ist ein gewichtiger Beitrag zur Historie. Mit 2,6 Kilogramm im wahrsten Sinne des Wortes, aber auch im übertragenen. Weil die Erinnerungskultur, die erzählte Geschichte, in dem Buch und in den beiden Beiträgen der Hagener eine bedeutende Rolle spielt.

Eine Art der Geschichte, die wiederum in Hagen eine gewisse Tradition hat. „In der 70er und 80er Jahren gab es an der Fernuniversität das Institut für Oral History“, sagt Birgit Schulte, „heute ist es zum Institut für Biografie und Geschichte in Lüdenscheid geworden.“ Für das Projekt „Zeiträume Ruhr“ sei eigens eine interaktive Plattform eingerichtet worden, auf der Menschen Erinnerungen hinterlassen konnten.

Überlieferungen von Zeitzeugen – sie werden auch deutlich, wenn sich Birgit Schule in ihrem Beitrag „Erinnerungsort Folkwang – Wandel als Zustand“ mit Karl-Ernst Osthaus und Hagen auseinandersetzt. Beispiel: „Der Hohenhof, den Osthaus ja hat bauen lassen und in dem er gewohnt hat, war bis 1962 Geburtsklinik“, sagt Birgit Schulte, „heute finden wir im Gästebuch immer wieder Einträge von Menschen, die dort zur Welt gekommen sind. Später war dort eine Abteilung der Pädagogischen Hochschule Dortmund untergebracht. Es gibt also Menschen, die im Hohenhof geboren wurden und später dort studiert haben.“

Der Bombenkrieg auf an der Ruhr

Beim ersten Bombenangriff am 1. Oktober 1943 werden weite Teile der Hagener Innenstadt rund um Mittelstraße und Elberfelder Straße zerstört.
Beim ersten Bombenangriff am 1. Oktober 1943 werden weite Teile der Hagener Innenstadt rund um Mittelstraße und Elberfelder Straße zerstört. © Stadtarchiv Hagen

Um „Fragmente der Heimatfront“ geht es in jenem Artikel, den der Historiker Ralf Blank verfasst hat. Auch hier spielen Überlieferungen aus dem Bombenkrieg eine wesentliche Rolle. „Es ist ja keineswegs so, dass das Thema nach dem Zweiten Weltkrieg tabuisiert worden wäre“, sagt Blank, „die Folgen der alliierten Luftangriffe waren in Hagen ja auch Jahre nach dem Krieg sichtbar. In den Familien spielte das eine große Rolle.“ Auch publizistisch habe sich das niedergeschlagen.

Gleiches, so Blank, gelte auch für die Möhnesee-Katastrophe, die 1500 Menschen (darunter 1000 Zwangsarbeiter) das Leben gekostet habe und die Auswirkungen auf das Ruhrgebiet gehabt habe. Auch diesen Aspekt macht Blank in seinem Beitrag zum Thema.

Beiträge von 50 Autoren

„Zeiträume Ruhr“ ist ein gemeinsames Projekt der Ruhr-Universität Bochum und des Ruhr-Museums in Essen im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen und des Regionalverbandes Ruhr.

Das Buch umfasst 50 Beiträge renommierter Autoren und ist 944 Seiten dick. Es ist im Klartextverlag erschienen und unter anderem erhältlich über den Onlineshop des RVR: www.shop.rvr.ruhr

„Die Erinnerungs- und Gedenkkultur im Ruhrgebiet ist anders als an anderer Stelle in Deutschland“, sagt Blank, „wenn man von Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs spricht, ist immer wieder von Köln oder von Dresden die Rede. Das Ruhrgebiet, das erhebliche Verluste erleiden musste, fällt da oft nicht in den Blick. Woran das liegt, weiß ich nicht. Vielleicht daran, dass viele Menschen hierher geflüchtet sind und einen anderen Blick auf ihre neue Heimat geworfen haben.“ Bis heute fehle es an einer gesellschaftsgeschichtlichen Aufarbeitung der Heimatfront.

All das, was die beiden Hagener Wissenschaftler thematisieren, fügt sich so in den großen Gesamtkontext von „Zeiträume Ruhr“. „Es geht darum nachzuvollziehen, welches Bild die Menschen von außen haben und welches die Menschen von innen haben“, sagt Birgit Schulte. „Wie baut sich ein Image auf? Woraus setzt es sich zusammen?“

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Über all dem schwebt in Hagen immer noch diese eine Frage: Was hat die Stadt mit dem Ruhrgebiet zu tun? „Es geht darum, wie man sich zwischen der Mark Sauerland und dem Ruhrpott positioniert“, sagt Blank. „eindeutig beantwortet ist diese Frage ja bis heute nicht.“

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