Hagen. . Der Energieversorger Enervie steht finanziell unter Druck: Vor allem die Liquidität muss verbessert werden, um einen Sozialplan stemmen zu können.
Während das Enervie-Präsidium und das Vorstandstriumvirat noch um die Ausschüttung der 2014-er-Tantieme ringen, geben sich die Mitglieder des Aufsichtsrates beim Thema Verzicht weitaus geschmeidiger: Auf der Tagesordnung der nächsten Aufsichtsratssitzung am 23. März taucht der Punkt auf, dass die Anteilseigner der Hauptversammlung Ende Juni empfehlen sollen, die geregelte Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder um 25 Prozent einzuschmelzen. Dazu wird eine breite Mehrheit erwartet. Ein Schritt, den zahlreiche Aufsichtsräte bereits im Vorjahr auf freiwilliger Basis gingen.
Im Vordergrund werden in der Runde der Anteilseigner in zehn Tagen jedoch erneut die Enervie-Bilanz 2014 und die Liquiditätssituation des Unternehmens stehen. Die für das Geschäftsjahr verantwortlich zeichnenden Abschlussprüfer von PricewaterhouseCoopers (PwC) Hubert Ahlers und Josef Rakel hatten gegenüber dem Finanzausschuss des Aufsichtsrates zuletzt ausdrücklich betont, dass „die Höhe des Grundkapitals nicht unkritisch“ sei. Die beiden Wirtschaftsprüfer müssen – vor allem mit Blick auf die kritischen Fragen der Banken – unter anderem die Enervie-Liquidität für die nächsten 24 Monate testieren. Ein Unterfangen, das diesmal zu einer echten Herausforderung zu werden droht.
Gemeinsame Entscheidungen
Vorstandssprecher Ivo Grünhagen wollte mit Hinweis auf die Vertraulichkeit der Aufsichtsratssitzungen zu diesem Themenfeld tiefer gehende Fragen nicht kommentieren. Er machte jedoch grundsätzlich noch einmal deutlich: „Im Januar 2015 lag bereits ein weitgehend abgestimmter und in wesentlichen Teilen von PwC auch geprüfter Jahresabschluss 2014 vor. Im Februar 2015 gab es eine völlig neue, unvorhersehbare Lage. Vorstand und Aufsichtsrat bewerten diese neue Lage gerade gemeinsam und werden gemeinsame Entscheidungen treffen.“
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Vor den Anteilseignern hatte der Kaufmännische Vorstand zuletzt ungeschminkt darstellen müssen, dass das Enervie-Geschäftskonto mit etwa 13 Millionen Euro im Minus stehe. Angesichts einer Dispo-Kreditlinie von 70 Millionen Euro wäre also auf den ersten Blick noch reichlich Finanzspielraum vorhanden. Allerdings zeigte Grünhagen auch auf, dass der aktuelle Liquiditätsbedarf für den sich abzeichnenden Ausbau in Hengstey (15 Mio. Euro), die Auflösung der Strominsellage an der Kopplungsstelle Herdecke (2 Mio.), die Sozialplankosten (45 Mio.) und den Netzbereich (10 Mio.) durchaus erheblich sei.
Zumal noch weitere finanztechnische Negativeffekte im Rahmen der Bilanz von 30 Millionen Euro zu erwarten seien. Fakten, die der Vorstandssprecher auf Anfrage ebenfalls nicht offiziell bestätigen mochte. Allerdings tat er dies indirekt: In einer internen Brand-Mail an alle Aufsichtsratsmitglieder kritisierte er ausdrücklich, dass es sich bei diesen Zahlen um detaillierte Unternehmensgeheimnisse handele, die offensichtlich aus den Enervie-Gremien stammten.
Neue Erlösobergrenzen
Offen bleibt auch weiterhin das Resultat des Härtefallantrags, den Enervie bei der Bundesnetzagentur mit Blick auf die geplante Netzentgelterhöhung gestellt hat. Mit diesem Schritt möchte der heimische Energieversorger sich den notwendigen finanziellen Spielraum verschaffen, die Erlösobergrenzen für 2015 erhöhen und somit die Betriebskosten des Zwangseinsatzes von drei Kraftwerken zum Erhalt der Netzstabilität in der südwestfälischen Strominsel erwirtschaften zu dürfen. Denn die bislang geltenden Erlösobergrenzen im regulierten Markt der Netzentgelte wurden noch auf Grundlage der Kostenbasis 2011 ermittelt. Also zu einem Zeitpunkt, als die Stilllegung der Kraftwerke noch gar kein Thema war. Erst wenn die Bundesnetzagentur diesem Härtefallantrag der Enervie stattgibt und einer Anpassung der Erlösobergrenzen angesichts der speziellen Ausnahmesituation in einer Strominsellage genehmigt, darf Enervie Assetnetwork auch tatsächlich höhere Entgelte bei den Kunden erheben.
Der Vorstand gibt sich überzeugt, dass seine Argumentationskette in dieser Härtefallfrage schlüssig sei. Lehnt die Bundesnetzagentur jedoch ab, müsste Enervie zumindest noch bis November 2015 die auflaufenden Verluste der Erzeugung alleine tragen – nach Informationen unserer Redaktion ein Verlust von mindestens weiteren 30 Millionen Euro.
Stärkung der Bilanz
Kernthema des Aufsichtsrates bleibt zudem die Hebung stiller Reserven. Dadurch könnte die Bilanz gestärkt und somit die Kreditwürdigkeit bei den Banken erhöht werden. Hier schlummern offenbar die größten Chancen im Rahmen der anstehenden Gründung der großen Netzgesellschaft. Im Finanzausschuss wurde, trotz gegenläufiger steuerlicher Effekte, bereits ein Potenzial im Volumen von mehr als 200 Millionen Euro diskutiert. Parallel steht aber auch noch im Raum, dass durch das Wegbrechen der Stromerzeugung bei Mark-E etwa 75 Millionen Euro abgeschrieben werden müssten – eine durchaus gravierende Abwertung.
Steuerliche Risiken
Aber wenn schon bei den Banken die Leidenschaft sinkt, über weitere Kredite die dringend benötigte Liquidität zu sichern, bleibt noch der Verkauf von Vermögen als Alternative übrig: Jedoch sorgt hier die fordernd ausgestreckte Hand des Fiskus noch für zahlreiche Fragezeichen bei der andiskutierten Übertragung des Enervie-Wassernetzes sowie der Wassererzeugung auf den Wirtschaftbetrieb Hagen (WBH). Auch hier, so befürchtet die Politik, könnten durch die Aufdeckung stiller Reserven steuerliche Prozesse ausgelöst werden, die zwar für erhöhte Liquidität bei Enervie sorgen, aber mit Blick auf den Gesamtkonzern Stadt Hagen wenig lukrativ erscheinen. Hier soll jetzt durch Experten-Begleitung geklärt werden, ob eventuell ein Sale-and-lease-back-Verfahren (Rückmietkauf) attraktiver oder gar ein Geschäft mit dem privaten Enervie-Anteilseigner Remondis oder der Hagener Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft (HVG) erfolgversprechender wäre.
Handeln unter Zeitdruck
Eines ist dabei heute schon sicher: Allein das Einfädeln dieser Prozesse gestaltet sich so zeitintensiv, dass mögliche Resultate für die finanzielle Ausgestaltung des aktuell verhandelten Sozialplanes womöglich viel zu spät kommen. Hier muss deutlich schneller Liquidität her, was nach Einschätzung aus Aufsichtsratskreisen die NRW-Bank als Bürge oder sogar als direkter Kreditgeber (Rettungsschirm) von Millionen-Beträgen ins Spiel brächte. Im Vergleich dazu bleiben der geforderte Tantiemen-Verzicht der Vorstände und die Beschränkung der Aufsichtsräte-Vergütung – um im Jargon der Banker-Zunft zu bleiben – Peanuts.