Hagen. . Die anhaltende Liquiditätskrise der Enervie beschäftigt am Donnerstag den Hagener Stadtrat. Auch der Finanzausschuss des Aufsichtsrates hinterfragt intensiv den Unternehmenskurs.

Wenn am Donnerstag um 15 Uhr der Hagener Rat zusammentritt, geht es zwar auch um viele städtische Belange, doch der wahre Diskussionssprengstoff liegt erneut bei den Enervie-Themen. Ein letztes Mal vor der endgültigen Entscheidung im März hat der Oberbürgermeister, der sich heute krankheitsbedingt vom Ersten Bürgermeister Hans-Dieter Fischer als Sitzungsleiter vertreten lässt, die Zukunft der Wassererzeugung in Hengstey auf die Tagesordnung gesetzt.

Doch weitaus kontroversere Debatten dürfte der Vorstoß von SPD und Linken auslösen, dass die Hagener Politik als Vertretung des größten Anteilseigners angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Krise des heimischen Energieversorgers näher an die Entscheidungsprozesse heranrücken müsse. Auch die Frage, ob im Rahmen einer Rekommunalisierung der Wirtschaftsbetrieb Hagen (WBH) nicht die Wassererzeugungssparte erwerben solle, um Enervie zusätzliche Liquidität in Millionenhöhe zu verschaffen, steht auf der Agenda. Denn die Lage bleibt brisant: Immerhin wurden in der ersten Sitzung des Finanzausschusses des Enervie-Aufsichtsrates (13. Februar), so ist dem Protokoll zu entnehmen, bereits der Begriff „Sanierungsfall“ von den Diskutanten bemüht.

Stärkere Rolle für Hagen

Darüber hinaus möchte die SPD, ähnlich wie auch der Lüdenscheider Konsortialpartner, in Zukunft direkteren Einfluss der Politik bei der Besetzung des Mark-E-Aufsichsrates gewährleistet wissen. Die in Gründung befindliche, neue Netzgesellschaft, so die Genossen weiter, solle einen eigenständigen Aufsichtsrat erhalten. Nur so könnten hier Hagener Interessen adäquat vertreten werden. Die SPD sieht hier dringenden Handlungsbedarf, was sich auch in der Neufassung des Konsortialvertrages widerspiegeln müsse.

Hinter den Kulissen der Enervie, werden derweil die Bilanzzahlen 2014 vom Finanzausschuss des Aufsichtsrates noch einmal haarklein überprüft. Durch die bekannten Sondereffekte – allen voran die angedachte Schließung der Kraftwerke – geht Enervie inzwischen von einem Minus vor Steuern von 217,1 Millionen Euro aus. Durch die angedachte Schließung der Kraftwerke droht etwa 300 Beschäftigten der Jobverlust. Die bislang für einen Sozialplan zurückgestellten 27 Millionen Euro werden bei weitem nicht ausreichen, um die Ansprüche der Mitarbeiter befriedigen zu können. Aber Enervie betont auch: „Die Leistungsfähigkeit des Unternehmens ist oberste Dotierungsgrenze.“

FDP warnt in Sachen Enervie vor Phantomdebatten

Die FDP-Ratsfraktion übt scharfe Kritik am Verhalten der Hagener SPD in der Debatte über die zukünftige Aufstellung der Enervie. „Hier werden verschiedene Themen auf unredliche Weise vermischt und das Unternehmen durch die ständige Stimmungsmache beschädigt“, meint Fraktionschef Claus Thielmann.

Die Liberalen erinnern daran, dass der Rat mit den Stimmen der SPD erst im Dezember beschlossen habe, dass ein Herausbrechen von Unternehmensteilen aus der Enervie-Gruppe nicht gewollt sei. „Jetzt“, so Thielmann weiter, „speist der heimliche SPD-Fraktionsvorsitzende Werner König unter dem Deckmantel der Forderung nach einer Arbeitsgruppe des Rates und unter Umgehung des Aufsichtsrates als zuständigem Gremium die WBH-Lösung erneut in die Diskussion ein.“ Das Endziel der SPD bleibe die Filetierung der Enervie und die Schaffung von Stadtwerken alter Prägung, in denen SPD und Gewerkschaften dominieren. „Ich erwarte von Werner König, dass er dies klar benennt und endlich aufhört, die politischen Gremien mit Phantomdebatten zu beschäftigen.“

Nach Auffassung der FDP-Fraktion hat WBH-Vorstand Joachim Bihs bisher kein tragfähiges Konzept für eine Übernahme der Enervie-Wassersparte vorgelegt. Auch sei Enervie nicht bereit, die Wassersparte zu verkaufen, denn damit wird weiterhin Geld verdient. Die SPD verschweige zudem, dass für eine Investition der WBH in das Wassernetz letztendlich allein der Hagener Wasserkunde über Beitragserhöhungen aufkomme.

Die Liquiditätssicherung, so machte der Vorstand ebenfalls in der Premierensitzung des Finanzausschusses deutlich, genieße Priorität, da die bestehenden Kreditlinien vorrangig für die Finanzierung des operativen Geschäftes zur Verfügung stehen müssten. Außerdem erwartet Enervie, dass vor allem bei den Industriekunden die Bereitschaft nicht überall gegeben sein dürfte, die erhöhten Netzentgelte auch tatsächlich zu zahlen – Ankündigungen zur Zahlungsverweigerung liegen auf Haßley bereits vor, räumt Vorstand Wolfgang Struwe ein.

Hebung stiller Reserven

Ebenso seien Risikozuschläge bei den laufenden Zinsen und Neudarlehn nicht auszuschließen sowie „Anforderungen von Bürgschaften oder Barhinterlegungen der EFET-Handelspartner (Verband der deutschen Gas- und Stromhändler) möglich“, heißt es in einer aktuellen Powerpoint-Präsentation der Enervie. Daher seien zur weiteren Liquiditätssicherung neben dem engen Kontakt zu den Banken auch Bürgschaften und Kapital von Anteilseignern als Maßnahmen denkbar. Selbst Gespräche mit der NRW-Bank und dem NRW-Wirtschaftsministerium über einen Rettungsschirm sind laut Enervie kein Tabuthema mehr.

Punkte, die der neue Finanzausschuss unter Vorsitz von HVG-Geschäftsführer Christoph Köther und begleitet von der mit eigenem Projektbüro ausgestatteten Beraterin Alexandra Sausmekat (Juristin und Steuerberaterin bei Baker Tilly Roelfs AG) hinterfragen möchte. Außerdem steht mit Blick auf den Jahresabschluss 2014 im Fokus, die vorhandenen Spielräume zur Bilanzgestaltung und besseren Dividendenfähigkeit zu nutzen.

Die nächsten konkreten Schritte sollen bereits am heutigen Donnerstag aufgearbeitet werden. Dabei geht es u.a. um die Aufdeckung und Hebung stiller Reserven bei der Bildung der großen Netzgesellschaft, um den Verkauf von Vermögen (z.B. Wassernetz und Erzeugung an WBH) und um einen Fragenkatalog rund um die Risikoprüfung. Zudem möchte der Finanzausschuss den Liquiditätsplan des Enervie-Vorstandes mitsamt der Reaktion der Banken und Nebenabsprachen dargestellt wissen.