Hagen. . Die anhaltende Liquiditätskrise der Enervie AG dominierte die jüngste Aufsichtsratssitzung des Unternehmens. Die künftige Strategie ist weiterhin offen.
Angesichts der anhaltenden Liquiditätskrise, die dem Aufsichtsrat des Unternehmens am vergangenen Montag im Rahmen einer Sondersitzung erneut drastisch vor Augen geführt wurde, hat die Enervie AG ihren finanziellen Gürtel noch einmal ein Loch enger geschnallt: Bis zum Ende des Geschäftsjahres 2015 wurde vom Vorstand ein Ausgaben- und Investitionsstopp verfügt.
„Insbesondere der anstehende Sozialplan, der aufgrund der Schließung der Erzeugung verhandelt wird, erfordert erhebliche außerordentliche liquide Mittel“, heißt es zur Begründung in einer Mitteilung des Vorstandes an die Belegschaft. Ziel dieses Ausgabenstopps sei es, „jede Ausgabe einer Überprüfung anhand verschärfter Kriterien zu unterziehen“. Grundsätzlich umfasst diese Maßnahme alle Konzerngesellschaften und gilt sowohl für Aufwandspositionen als auch alle Investitionen.
Start der Sozialplanverhandlungen
Parallel zu diesem Schritt starten heute die offiziellen Sozialplanverhandlungen zwischen dem Enervie-Vorstand und dem Gesamtbetriebsrat. Für diesen angedachten Interessensausgleich sind im März bislang vier Verhandlungstermine angesetzt. Gesamtbetriebsratsvorsitzender Thomas Majewski, der ursprünglich ein finanzielles Volumen von 100 Millionen Euro in den Raum gestellt hatte (an Rückstellungen sind lediglich 27 Millionen Euro vorhanden), geht inzwischen davon aus, dass es keineswegs zu einer kompletten Schließung der Erzeugungssparte und damit dem Verlust von bis zu 330 Arbeitsplätzen kommen muss. Diesen konsequenten Kurs hatte der Vorstand um Sprecher Ivo Grünhagen bislang favorisiert.
Insel-Dasein endet im November
Die Signale aus dem Aufsichtsrat deuten jedoch seit Wochen darauf hin, dass die Anteilseigner die radikale Linie der Enervie-Führung nicht mitgehen möchten und einige Erzeugungseinheiten – konkrete Standorte gilt es noch zu benennen – auch künftig am Markt bleiben. „Außerdem setzen wir auf neue Geschäftsfelder und konsequentes Insourcing“, hat Majewski längst noch nicht die Hoffnung aufgegeben, dass Kollegen aus der Erzeugung in anderen Bereichen der Enervie AG eine Weiterbeschäftigung finden könnten. Allerdings hat der Zeitdruck, adäquate Lösungen zu finden, zugenommen. Wie jetzt bekannt wurde, kann die von der Bundesnetzagentur eingefädelte Auflösung des südwestfälischen Inselstromnetzes bereits zum 1. November dieses Jahres gelingen – zwei Monate früher als ursprünglich gedacht.
Die Sondersitzung des Aufsichtsrates am vergangenen Montag war ursprünglich angesetzt worden, weil der Vorstand das Plazet für den millionenschweren Konzessionserwerb einer weiteren Netzgesellschaft brauchte. Nach Informationen dieser Zeitung möchte Enervie in diesem konkreten Fall im EN-Kreis im Rahmen eines Bieterverfahrens in Konkurrenz zur AVU treten, um diese rentierliche Investition – trotz aller Liquiditätsengpässe – nutzen zu können. Denn üblicherweise liegen die zu erwartenden, wirtschaftlichen Ergebnisse eines solchen Konzession-Deals über dem aktuellen Kreditzinsniveau.
Zweifel am Jahr der Bereinigung
Den eigentlichen Schwerpunkt der mehrstündigen Sitzung bildete jedoch erneut die Diskussion um die prekäre Enervie-Liquiditätssituation sowie die divergierenden Meinungen innerhalb des Finanzausschusses des Aufsichtsrates. In dieser Runde stellen die Anteilseigner, fachlich begleitet von einer weiteren externen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, das von Vorstandssprecher Ivo Grünhagen angestrebte Jahr der Bereinigung in Frage. Differenzen bestehen bei der anstehenden Bilanzerstellung 2014 vor allem bei der Abschreibungspraxis, bei der Hebung stiller Reserven sowie der Bewertung sich daraus ergebender steuerlicher Verknüpfungen und Effekte.
Denn auch bei der Enervie finden sich Buchwerte, die deutlich niedriger sind als die tatsächlichen Werte. Durch das Heben dieser so genannten stillen Reserven, so ein im Aufsichtsrat diskutiertes Denkmodell, könnten die anstehenden Abschreibungen aus der Erzeugungssparte zumindest in Teilen kompensiert werden. Damit müsste die Eigenkapitalquote auch nicht auf ein zumindest in der Banken-Branche als dramatisch eingestuftes Niveau von etwa sieben Prozent absinken.
Grünhagen hingegen favorisiert und verteidigt weiterhin den Kurs, mit dem Bilanzjahr 2014 eine ökonomische Talsohle durchschreiten zu wollen, um mit diesem wirtschaftlichen Schlussstrich gegenüber den Banken einen kompletten Neuanfang starten und neues Bonitätsvertrauen aufbauen zu können. Ein strategischer Balance-Akt, der im Finanzausschuss des Aufsichtsrates bislang noch nicht die notwendige Gegenliebe findet, um sich in der 2014er-Bilanz tatsächlich widerzuspiegeln. Parallel ist ebenfalls die Idee noch nicht vom Tisch, mit Hilfe von NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin und der NRW-Bank für einen Übergangszeitraum einen finanziellen Rettungsschirm über Enervie zu spannen, um gegenüber den Banken die Bonität zu erhöhen und damit die Gefahr von erhöhten Risikozuschlägen bei den Kreditzinsen zu mindern.
Rettungsschirm der NRW-Bank
Wenn die Finanzspezialisten des Aufsichtsrates in der kommenden Woche erneut in kleiner Ausschussbesetzung zusammentreffen, soll endliche eine gemeinsame Linie gefunden werden, wie die Krise der Enervie zu bewältigen ist. Bislang ist noch kein Einvernehmen in Sicht. Bis zur nächsten ordentlichen Aufsichtsratssitzung am 23. März muss das Bilanzkonzept jedoch stehen, will man in der Hauptversammlung belastbare Beschlüsse fassen. Diese sollte ursprünglich im April stattfinden, wurde angesichts der Enervie-Krisensituation aber bereits in den Juni verschoben.