Hagen. . Mehr als 500 Flugzeuge waren am zweiten großen Luftangriff auf Hagen beteiligt. 620 Menschen kamen vor 70 Jahren, am 2. Dezember 1944, ums Leben.

Mehr als 620 Menschen – darunter 120 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter – fanden heute vor 70 Jahren im Hagel der Bomben, die alliierte Verbände über der Stadt Hagen abwarfen, den Tod. 394 Halifaxes, 87 Lancaster und 23 Mosquitos waren für den Angriff eingeteilt. Über den zweiten großen Angriff, der die Hagener Zivilbevölkerung komplett unvorbereitet traf, sprach unsere Zeitung mit Dr. Ralf Blank, Leiter des Fachdienstes Wissenschaft, Museen und Archive der Stadt Hagen.

Wie schätzen Sie den Angriff auf Hagen am 2. Dezember 1944 ein?

Dr. Ralf Blank: Die Zerstörungen erwiesen sich als schwer und nachhaltig. Dies galt nicht nur für die Bahnanlagen nördlich des Hauptbahnhofs, sondern auch für die bis dato unzerstörten Viertel, die diese umgaben. Die verspätete Alarmierung der Bevölkerung, die den unklaren Meldungen durch den Flugmeldedienst geschuldet war, wirkte sich verhängnisvoll aus. Das erst im Herbst eingeführte Warnsignal „Akute Luftgefahr“ fiel mit dem Abwurf der ersten Bomben zusammen. Die Menschen liefen zu den Schutzräumen, als am Himmel über ihnen bereits die roten Leuchtkaskaden der Zielmarkierungen aufgeflammt waren. Es war ein Wettlauf mit dem Tode.

Wurden derartig späte Alarmierungen in dieser Zeit einfach hingenommen?

Dr. Blank: Der Reichsverteidigungskommissar Westfalen-Süd ordnete einige Tage nach dem Angriff eine Untersuchung an. Heraus kam, dass es dem Flugmeldedienst nicht möglich war, die vielen Meldungen in dieser Nacht, die teilweise einander widersprachen, richtig zu deuten. Deshalb wurde das eigentliche Ziel des britischen Luftangriffs nicht rechtzeitig identifiziert. Die Stadtverwaltung stellte nüchtern fest, dass dem Gegner die Überraschung gelungen sei und dass die Warnungen zu spät kamen. Man muss allerdings sagen, dass solche Ereignisse nicht die Ausnahme, sondern vielmehr die Regel waren.

Welche strategische Bedeutung hatte denn der Angriff?

Historiker stellt neues Buch vor

„Bitter Ends. Die letzten Monate des Zweiten Weltkriegs im Ruhrgebiet 1944/45“ heißt ein neues Buch von Dr. Ralf Blank, das jetzt im Klartext-Verlag erschienen ist.

Der Leiter des Fachdienstes Wissenschaft, Museen und Archive stellt es am Donnerstag, 4. Dezember, 14.30 Uhr, in der Lounge des Osthaus-Museums, Museumsplatz 3, vor.

„Bitter Ends“ war der Titel eines Artikels im Time Magazine mit Blick auf das Ende des Kriegs im Ruhrgebiet.

Im letzten halben Kriegsjahr kamen mehr Soldaten und Zivilisten ums Leben, als in allen vorherigen Kriegsjahren zusammen.

In dem Buch geht es um die Perspektive der Alliierten und um die Heimatfront.

Dr. Blank: Ziel des Angriffs war die Accumulatoren-Fabrik in Wehringhausen. Durch die Entschlüsselung des Enigma-Codes der Marine im Herbst 1944 hatten die Alliierten konkrete Hinweise über neue U-Boot-Typen erhalten, die seit Frühjahr 1944 auf den norddeutschen Werften in Serie gebaut wurden. Da diese Boote eine um das Dreifache vergrößerte Batterieanlage hatten, rückte die Accu als Lieferant wieder auf die Prioritätenliste. Daneben galten die Angriffe auch den Bahnanlagen im Hagener Norden. Der Rangierbahnhof Vorhalle war Mitte November für den allgemeinen Durchgangsverkehr gesperrt worden. Er blieb Wehrmachtstransporten vorbehalten. Ein großer Teil der Truppen und Geräte wurde in den Wochen vor Beginn der Ardennen­offensive über die Strecken im Raum Hagen geleitet. Zwar wurden durch das Bombardement viele Gleise zerstört, die Verschiebebahnhöfe in Eckesey, Vorhalle und Hengstey blieben allerdings betriebsklar. Auswirkungen hatte der Angriff auch auf den Dienstsitz der Gestapo, die beschlagnahmte Villa Löwenstein an der Körnerstraße.

Inwiefern?

Dr. Blank: Die Feuerwehr war nicht rechtzeitig zur Stelle, um Schriftverkehr und das Archiv zu retten. Die Hagener Filiale des Reichssicherheitshauptamtes verlor unter anderem Dossiers über und Namenslisten von Regimegegnern im Bezirk, zu dem auch umliegende Städte und Kreise gehörten. Für Verfolgte, Opfer und Kritiker des NS-Regimes bedeuteten diese Listen Terror, Haft und oft genug auch den Tod.

620 Menschen kamen allein durch diesen Angriff ums Leben. Wie ist man mit den Toten umgegangen?

Dr. Blank: Die geborgenen Leichen wurden in Sammelstellen gebracht, um sie dort erkennungsdienstlich zu behandeln. Bevorzugte Standorte waren Kirchen, Schulen und Turnhallen. Aus Zeitzeugenberichten wissen wir, dass sich beispielsweise in der Marienkirche eine solche Sammelstelle befand. Die Zustände müssen grauenhaft gewesen sein. Leichenteile wurden zum Beispiel in einer Zinkblechwanne hereingetragen.

Welche Folgen hatte der Angriff für die Stadt, die Bevölkerung und die Wirtschaft?

Dr. Blank: Die Auswirkungen waren gravierend. Viele Gebäude wurden komplett zerstört. Straßen und Versorgungsleitungen wurden durch großkalibrige Spreng- und Minenbomben tiefgreifend getroffen. Die Anzahl der Schadstellen war so groß, dass die Reparaturtrupps mit der Arbeit nicht nachkamen. Das Werksgelände der Accu wurde völlig verwüstet. Die Produktion lag lahm. Das hatte einen empfindlichen Engpass auf dem Gebiet der U-Boot-Batterien zur Folge, der sich bis Kriegsende immer weiter verschärfte.