Gevelsberg. In Gevelsberg reicht das Geld für Lebensmittel oft nicht. Ein Tag bei der Tafel zeigt, wie viele Menschen von Armut und Hunger betroffen sind.
Es ist 10.30 Uhr. Noch knapp eine Stunde bis die Gevelsberger Tafel, Am Haufer Bahnhof 10, die Ausgabe öffnet. Und dennoch stehen bereits die ersten Menschen vor dem Eingang und warten. Bei nassem und windigem Wetter sitzt eine ältere Dame bereits auf einer der Holzbänke, die vor dem Gebäude aufgestellt sind. Auch eine Mutter ist schon mit ihrem kleinen Sohn und ihrer Tochter vor Ort. Hinzu kommen mehrere Männer, die alleine gekommen sind. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie freuen sich darauf, am heutigen Tage eine prall gefüllte Kiste mit Lebensmitteln mit nach Hause zu nehmen. Und zwar für lediglich einen Euro. Denn den Menschen, die zur Tafelausgabe kommen, fehlt oftmals das Geld, um sich selbst oder aber die ganze Familie einen Monat lang mit Lebensmitteln zu versorgen.
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Während die Menschen draußen noch warten, läuft drinnen schon alles auf Hochtouren. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter sortieren die Lebensmittel, die bereits angekommen sind, zunächst aus und dann in die Regale. Bereits seit 9 Uhr sind die Ehrenamtler vor Ort, um alles vorzubereiten. Gemeinsam mit Stefanie Krah-von Reth, die das Kaufhaus „Fair-Kaufen“ leitet, besprechen sie nicht nur die heutige Ausgabe, auch andere Anliegen, die die Menschen vor Ort umtreiben, sind Thema. Zum einen geht es um die Lebensmittel, die die Tafel bekommt. An diesem Tag sei wenig Frisches dabei gewesen. Zum anderen geht es um weitere mögliche Partnerschaften mit Bäckereien oder Supermärkten. Und dann findet unter allen eben noch der ganz normale Plausch statt, wo jeder mindestens ein Mal ausgiebig lacht.
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Die Ehrenamtlichen sind alle älter als 70 Jahre, dennoch kommen sie alle drei Woche, immer donnerstags, in der Früh zur Gevelsberger Tafel, um anderen Menschen zu helfen. Und zwar aus voller Leidenschaft. „Ich mache das schon seit sechs Jahren. In erster Linie, weil ich nicht will, dass so viele Lebensmittel weggeschmissen werden“, sagt der 72-jährige Volker Tetenberg, während er erklärt, wie viele Produkte hier ankommen, die noch lange gut sind. „Oft sind es auch Sachen, die im Supermarkt einfach nicht von Kunden gekauft werden“, berichtet er und zeigt beispielsweise auf eine besondere, vegane Kochsahne sowie auf eine Tomatensoße im Glas.
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Ungefähr 20 Minuten später hält ein großer Laster vor dem Tafel-Gebäude. Und dann geht alles ganz schnell. Die Ehrenamtler rotieren alle mit Konzept, die einen holen die vollbepackten Kisten aus dem Laster, der nächste nimmt sie durchs Fenster an und die, die drinnen warten, beginnen schon mit dem Sortieren. Zunächst müssen die ganzen Lebensmittel – insbesondere die frischen wie Obst, Gemüse oder Brot und Brötchen – genau unter die Lupe genommen werden. Was nicht mehr gut ist, landet im Müll. Das sei immer von Tag zu Tag unterschiedlich, erzählen die Ehrenamtlichen. Dann kommt alles sortiert und ordentlich, anschaulich auf die Ausgabefläche.
Um 11.15 Uhr ist es dann soweit. Einer der Ehrenamtler ruft die ersten drei Kunden auf, die den Tafelladen betreten dürfen. Zunächst bekommen sie eine große Plastikkiste in die Hand gedrückt, in der sie ihre Einkäufe verstauen können, bis sie sie in ihre eigenen Tüten und Taschen packen. Dann werfen sie einen Euro in eine Dose und biegen links in den Ausgaberaum ein. Wie in einem kleinen Supermarkt können die Menschen sich nun hier aus den Regalen aussuchen, was sie brauchen und haben möchten.
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Die Ehrenamtlichen wissen: Das sei immer ganz unterschiedlich. Die Ukrainer beispielsweise essen so gut wie gar kein Brot, das möchten sie daher auch nie kaufen. Und auch gekühlte Tagliatelle oder Tortellini zählten nicht zu den beliebtesten Produkten. Konserven hingegen seien sehr begehrt. „Das hängt meist mit der Kultur zusammen“, sagt Volker Tetenberg. Und hier hat sich in den vergangenen Jahren einiges verändert. Zu Beginn waren es viele Deutsche und Rumänen, die zur Tafel kamen, dennoch beschränkte sich die Zahl auf gut 60 Haushalte. Heutzutage seien es sowohl Syrer als auch Ukrainer, Türken, Deutsche, Rumänen und viele mehr, die Zahl steigt weiter an. Neben vielen Paaren und Familien kämen zudem immer mehr alleinstehende Männer und ältere Menschen zur Ausgabe, berichten Stefanie Krah-von Reth und die Ehrenamtlichen. Mittlerweile seien um die 210 Haushalte bei der Tafel gemeldet. „Das schaffen wir an einem Tag überhaupt nicht“, so Volker Tetenberg. Denn die Arbeit ist eben auch für die engagierten Ehrenamtlichen kein Zuckerschlecken. Daher arbeitet die Tafel nach einem Konzept samt Liste. An einem Ausgabetag können so in gewissen Zeitfenstern zwischen 60 und 80 Haushalte einkaufen.
Meist, so berichten die Ehrenamtler, dauert die Ausgabe bis 14 Uhr. Sobald ein Kunde mit seiner bunt und vollgepackten Kiste das Gebäude verlässt, kann der nächste hereinkommen. Auch ein junges Paar kauft hier bei der Tafel in Gevelsberg ein. Ebenso eine alleinstehende junge Frau. Sie erzählt, dass sie seit gut einem Jahr regelmäßig zur Tafel kommt. Die Lebensmittel und der allgemeine Lebensunterhalt werde immer teurer, sie könne die Kosten nicht mehr stemmen. Die Tafel sei für sie eine gute Alternative und helfe ihr.
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Stefanie Krah-von Reth betont jedoch auch, dass die Tafel die benötigten Lebensmittel für einen gesamten Monat natürlich nicht liefern kann. „Es dient viel mehr als Unterstützung“, erklärt sie. Denn die Haushalte können lediglich alle drei Wochen hier einkaufen. Doch die meisten sind froh, wenn sie im Monat dadurch ein Mal weniger im Supermarkt Geld ausgeben müssen, erklärt sie weiter.
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Als wir als Redaktion die Tafel gegen 12.30 Uhr verlassen, ist die Schlange draußen noch länger als kurz vor Öffnung. Mittlerweile regnet es, die Familien, Kinder, Männer, Frauen und Senioren versuchen sich unterzustellen, warten entspannt und ruhig darauf, dass sie aufgerufen werden. Vielen ist bereits beim Anstehen – spätestens aber beim Verlassen mit einem großen Korb voller Lebensmittel – eine gewisse Erleichterung anzusehen.
Für die Ehrenamtlichen und auch für Stefanie Krah-von Reth ist klar: Das Engagement ist nicht selbstverständlich, daher ist sie den Ehrenamtler umso dankbarer. Dennoch ist es wichtig und das wissen die leidenschaftlichen Helfer auch selbst. Ohne sie würde nicht nur vieles, was noch gut ist, im Müll landen, auch hätten zahlreiche Menschen nicht genügend Essen zur Verfügung. Für sie ist es viel mehr eine Leidenschaft als ein „Job“. Und zwar eine mit Herz.
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