Schwelm. Der Tarifstreit zwischen Beschäftigten und dem Helios-Konzern weitet sich aus. Die Streikenden sind wütend. Worum es ihnen geht.
Immer mehr bunte Schirme tummeln sich vor dem Gebäude des Helios-Klinikums in Schwelm. Es ist 9 Uhr morgens, als sich fast alle Streikwilligen schließlich um die kleine Bushaltestelle versammelt haben, die während des andauernden Regens Schutz bietet. Das Pflegepersonal des Allgemeinkrankenhauses ist unzufrieden. So unzufrieden, dass sie sich am Freitag zusammenfanden, um mit ihrem Streik ein Zeichen zu setzen und Druck auf die Geschäftsführung des privatwirtschaftlichen Klinikums auszuüben.
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Nach den ersten beiden Tarifverhandlungen der Kommissionsrunde im Januar und Februar und der letzten Verkündung, ist bei vielen Angestellten großes Unverständnis ausgebrochen. In gemeinsamer Abstimmung mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) haben sie sich daher vorgenommen, als erstes Personal in der Klinikumsgeschichte ihre Arbeit niederzulegen – ein Mittel, zu dem in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes derzeit gegriffen wird. Doch im Gesundheitswesen hat die Bedeutung des Streiks noch ein anderes Ausmaß.
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Hier geht es um Patienten, um Menschen, die auf die Arbeit des Klinikpersonals angewiesen sind. Bianca Werner, die als Generalsekretärin von ver.di für die Region Südwestfalen verantwortlich ist, versichert: „Es ist ein Notdienst mit der Geschäftsführung abgesprochen worden und die Versorgung der Patienten gewährleistet. Niemand kommt zu schaden.“
Mit dem bisherigen Angebot seitens der Helios-Geschäftsführung sei das Personal und auch Verdi „mehr als unzufrieden“. Zwischen die Diskussionen an diesem Morgen mischt sich auch der Unmut von Alexander Planinschek, Leiter der Operationsabteilung. Er sagt: „Das ist kein Angebot gewesen, sondern eine Beleidigung. Mir ist die Luft weggeblieben.“ Und betont: „Es geht uns nicht einfach nur um mehr Geld, es geht um bessere Bedingungen, unter denen wir arbeiten wollen.“ Er und seine Kolleginnen und Kollegen teilen nach den drei Pandemie-Jahren das gleiche Schicksal: Ihnen wurde honorierend applaudiert, doch letztlich habe sich im Vergleich zu den Vor-Corona-Jahren nichts geändert.
Insbesondere das Personal aus dem OP-Bereich hat sich an diesem Morgen solidarisiert. In sieben Operationssälen wird während des gewöhnlichen Betriebs im Helios-Klinikum das Skalpell angelegt. Während des Streiks im Rahmen des Notdienstes jedoch nur noch in einem. „Wir als Pflegepersonal haben einen Gesundheits-Ethos. Da ist es schwierig, zu streiken. Hier geht es um Menschen und nicht um Maschinen, die einfach abgestellt werden können“, erklärt Alexander Planinschek.
Doch der OP-Manager weiß auch um die Wirtschaftlichkeit des Krankenhauses, das in Europa dem führenden privaten Krankenhausbetreiber Helios angehört, und fühlt sich ausgenutzt. „Im OP wird richtig Geld verdient und das erwirtschaften letztendlich wir. Der Konzern steckt sich das aber lieber in die eigene Tasche“, meint Planinschek.
Während des Gesprächs dann eine plötzliche Bekanntgabe für die Gruppe auf Anweisung der Geschäftsführung: Keiner der Streikenden darf das Gebäude mit den von Verdi ausgehändigten Warnwesten, die mit Logos und Sprüchen versehen sind, betreten. Durch die Menge geht ein Kopfschütteln und Lachen.
Mitten drin steht auch Sarina Dehne unter ihrem Regenschirm. Auch sie hat sich dem Streik angeschlossen, um etwas zu verändern. Die 33-Jährige, die direkt nach ihrer Ausbildung als operationstechnische Assistentin am Helios-Klinikum eingestiegen und seit nunmehr zehn Jahren dort tätig ist, denkt vor allem an die Zukunftsfähigkeit und die Attraktivität des Pflegeberufs für Berufseinsteiger. Sie wünscht sich, dass die Arbeitsplätze im Gesundheitswesen attraktiver gestaltet werden. „Jüngeren Leuten müssen ja auch Anreize gegeben werden, um in der Pflege zu arbeiten. Es wird zukünftig schließlich auch einen immer höheren Bedarf geben“, betont sie in Anbetracht der demografischen Entwicklungen in der Gesellschaft.
Die Attraktivität des Pflegeberufs beeinflusse demnach ein ganzes Wirkungsgefüge: Denn wird die Bezahlung besser, steige die Motivation eines Einstiegs, es steht mehr Pflegepersonal zur Verfügung, der individuelle Stress reduziert sich und so könne sich jeder und jede Angestellte intensiver um die einzelnen Patienten kümmern.
Sarina Dehne zeigt sich betrübt und findet: „Der Mensch muss wieder als Mensch verstanden werden. Doch das Helios sieht sich mehr als Firma und weniger als ein Krankenhaus.“
Mit einer Gruppe von über 50 Angestellten wurde vom Klinikum aus ein Demo-Zug in die Innenstadt gestartet. Am Bürgerplatz angekommen, nahmen verschiedene Akteure für eine Kundgebung das Mikrofon in die Hand und unterrichtete dadurch auch die Öffentlichkeit über die derzeitige Situation und ihren eigenen Standpunkt.
Entgegen aller Beschuldigungen und Forderungen liegt dieser Redaktion vom Gesundheitskonzern ein schriftliches Statement vor: „Wie in dieser Woche durch die Geschäftsführung kommuniziert, hat Helios innerhalb der letzten Tarifrunde ein verhandlungsfähiges Gesamtangebot vorgelegt, welches auch wirtschaftlich für den Standort in Schwelm realisierungsfähig ist. Wir haben kein Verständnis, dass die Gewerkschaft in dieser Situation zum Streik aufruft. Verdi scheint aktuell nicht ernsthaft mit uns verhandeln zu wollen, um ein gutes Ergebnis für beide Seiten am Verhandlungstisch zu finden.“