Balve/Iserlohn/Hagen. Wirtschaftsverbände sehen Verkürzung der Wochenarbeitszeit kritisch. Die Chefin der Balver Firma HLH indes riskierte was. Und nun?
Dr. Fabian Schleithoff sprach Klartext. Der Unternehmensexperte der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer (SIHK) stellte im vorigen Oktober fest: „Nahezu jedes zweite Unternehmen in Deutschland wird bereits durch den Fachkräftemangel in seiner Geschäftstätigkeit eingeschränkt. In den kommenden Jahren wird sich die Betroffenheit voraussichtlich weiter verstärken.“ Problem erkannt, Gefahr gebannt? Denkste.
Die Debatte um Lösungsansätze ist vielschichtig. Als eines von mehreren Mitteln gilt die Einführung der Vier-Tage-Woche. Horst-Werner Maier-Hunke vom Märkischen Arbeitgeberverband mahnte allerdings vor Jahresfrist zur Vorsicht: „Die Frage nach der Verteilung der Arbeitszeit muss sich stets an den betrieblichen Erfordernissen orientieren.“
Sandra Lüngen ist Geschäftsführerin des Balver Unternehmens HLH BioPharma. Sie ließ sich nicht beirren. Sie führte zum 1. November 2023 die Vier-Tage-Woche ein – bei vollem Gehalt. Das gilt für Beschäftigte wie für Azubis. Inzwischen sind fast Monate vergangen. Welche Erfahrungen hat Sandra Lüngen gemacht?
Kurzer Weg zur Chefin
Der Weg von der Eingangstür des Betriebs zu Südwestfalens Unternehmerin des Jahres 2023 ist kurz. Ihr Büro ist keineswegs, wie bei manch anderer Firma, weit oben – vielmehr liegt es direkt hinter dem Empfang. Bürohund „Cooper“, einer von insgesamt dreien, begrüßt Besucher freundlich wedelnd, Sandra Lüngen kommt vom Schreibtisch zum Besprechungstisch, vor sich eine Schale Erdbeeren: „Ich hatte heute Lust drauf.“ Wie ist die Vier-Tage-Woche angelaufen?
Eine Antwort müsste Sandra Lüngen eigentlich nicht mehr geben – ihre blitzendenden Augen sprechen Bände. Auf die Einführung der Vier-Tage-Woche hat es „viele Reaktionen“ gegeben, sagt die Firmenchefin. Als Marketing-Aktion hat der Plan voll eingeschlagen. Aber das ist nur der Anfang gewesen. Ankündigung ist das eine, Umsetzung das andere. „Natürlich habe ich auch Bauchschmerzen gehabt – das muss man ganz ehrlich sagen. Ich habe gesagt: Wir probieren das ein Jahr lang aus. Wir müssen mal alle Urlaubszeiten, alle Krankheitszeiten durchgehen, um wirklich zu gucken, ob wir das leisten können.“ Sandra Lüngen macht eine winzige Pause. Dann schiebt sie ihr Zwischenfazit nach: „Es klappt besser als gedacht. Wir werden auf jeden Fall weitermachen. Das gehört jetzt zur Firmenkultur.“ Was, bitte, funktioniert denn so gut?
„Die Krankheitsquote geht zurück“, stellt Sandra Lüngen fest. „Ich glaube, dass die drei freien Tage am Stück die Menschen einen Tacken gesünder halten. Sie haben mehr Zeit, runterzukommen.“ Und das, obwohl in weniger Zeit mehr geleistet werden muss.
„Man merkt, dass das Arbeiten effektiver geworden ist“, erläutert Sandra Lüngen. „Wir bieten nicht nur die Vier-Tage-Woche an, sondern, wo es machbar ist, auch Home-Office.“ Beschäftigte nutzen diese Möglichkeit etwa bei leichter Erkältung. Aber das ist nicht alles.
„Man merkt außerdem, dass das Team noch stärker zusammengewachsen ist“, sagt Sandra Lüngen. „Wir haben eine flache Hierarchie. Das Team im Lager, beispielsweise, spricht sich untereinander ab. Wenn jemand krank ist, klären die Teammitglieder in ihrer WhatsApp-Gruppe, wer einspringen kann.“ Auch die Urlaube sind weitestgehend geplant. Die Chefin behält sich, wenig überraschend, das letzte Wort vor.
„Es ist wirklich so“, bestätigt Theresa Bathe Sandra Lüngens Wahrnehmung; Theresa Bathe organisiert den Innendienst. „Die Stimmung ist wirklich gut.“
Gibt es denn gar nichts, was nicht so gut läuft wie erwartet? Sandra Lüngen entgegnet lachend: „Ich habe lange drüber nachgedacht – aber ich hab’ nix.“
In diesem Moment kommt Lageristin Anke Gröning-Huth am Büro der Chefin vorbei. Sie ist spontan bereit, ihre Sicht der Dinge darzustellen: „Die Vier-Tage-Woche ist das Beste, was wir machen konnten – für mich persönlich auf jeden Fall. Die Woche geht viel schneller rum. Ich habe jetzt nur noch eine halbe Stunde, und dann fängt für mich das Wochenende an. Das ist toll. Man ist wirklich viel motivierter. Gerade als Hausfrau hat man eine Erleichterung. Man kann mehr zuhause schaffen, besser einkaufen. Dazu kommt mehr Zeit für die Enkelkinder. Wir haben ein super Arbeitsverhältnis. Und es ist noch besser geworden. Niemand würde hier gehen.“
Sandra Lüngen hört zu. Dann betont sie: „Das ist nicht abgesprochen!“
„Was wir an Bewerbungen reinbekommen haben!“, schwärmt Sandra Lüngen von Reaktionen auf die Einführung der Vier-Tage-Woche, „aber wir suchen gerade nicht.“
Und andernorts? „Wir haben bisher auf das Thema Vier-Tage-Woche nur ganz wenige Rückmeldungen“, sagt Dr. Fabian Schleithoff. Ob sich der Trend zwischenzeitlich gedreht hat, ist offen. Derzeit läuft eine Konjunkturumfrage der SIHK unter den Mitgliedsunternehmen. Ergebnisse gibt es zum 1. Mai.