Balve. Von außen wirkt die Kirche nüchtern. Innen erlebt sie die Gemeinde als Wohnzimmer. Jetzt steht ein runder Geburtstag an.
Der evangelische Gemeindereferent Sven Körber und Jugendreferentin Doreen Wahl haben dieser Tage mehr zu tun als sonst. Sven Körber bereitet sich auf die Nikolausfeier des Ukraine-Cafés am Freitagnachmittag vor. Doreen Wahl hat morgens zwei Christbäume an der Hauptstraße in Balve geschmückt: den „Konfi-Baum“ und den Baum der „HomeZone“. Der Weihnachtsmarkt samt verkaufsoffenem Sonntag von 12 bis 17 Uhr können kommen. Nebenher laufen Vorbereitungen für einen Höhepunkt im Gemeindeleben. Die Kirche der Evangelischen Gemeinde wird 90.
Sie ist der Gegenentwurf zur Pfarrkirche St. Blasius. Während der Hönne-Dom sein großes Vorbild in Aachen nicht verleugnen will, setzt das evangelische Gotteshaus an der Hönnetalstraße auf klare Linien. St. Blasius zollt einer langen Tradition sichtbaren Respekt. Die Kirche der Protestanten indes steht für die Moderne des 20. Jahrhunderts. Das Gespräch mit Sven Körber über den steinernen Jubilar findet in seinem Büro statt, im Verwaltungstrakt direkt neben der Kirche.
Sven Körber hat sich sichtbar vorbereitet. Die jüngste Ausgabe des Gemeindebriefs „Sternenbote“ liegt auf dem Tisch – und großformatige Entwürfe von Architekt Heinrich Simon. Das pergamentartige Papier ist mit der Zeit gelblich geworden. Die Zeichnungen indes sind nach wie vor klar erkennbar.
Mit der Geschichte des Gotteshauses haben sich Gemeinde-Archivar Herbert Matzke und sein Nachfolger Oliver Prior befasst. Sie sind in der Gemeinde fündig – und bei der Kommune.
1930. Im Gebiet des damaligen Amtes Balve leben 300 Protestanten. Das ist eine verschwindend geringe Zahl im Vergleich zur katholischen Bevölkerungsmehrheit. Doch die kleine Gruppe evangelischer Christen wächst. Sie sind der Gemeinde Deilinghofen angeschlossen. Der Bau der Kirche setzt ein Zeichen für mehr Eigenständigkeit. Später, viel später wird sich Balve von Deilinghofen lösen. Noch viel später werden die beiden Gemeinden wieder stärker zusammenwachsen. Das aber ist 1930 alles andere als absehbar.
Das Lebensgefühl bestimmen Weltwirtschaftskrise und aufziehender Nationalsozialismus. Adolf Hitler wird im Januar 1933 Reichskanzler. Der erste Spatenstich in Balve erfolgt am 31. Mai des Jahres. Die Bauarbeiten gehen zügig voran. Die Einweihung erfolgt am 17. Dezember. Es ist ein Sonntag, der dritte Advent.
Der Kirchbau kostet viel Geld. 45.000 Reichsmark entsprechen 720.000 Euro. „Bei der Finanzierung sagt der Gustav-Adolf-Verein eine sehr große Geldsumme zu“, notiert Herbert Matzke. Die Evangelische Kirche in der altpreußischen Union gibt Zuschüsse, auch die Gemeinde Deilinghofen zahlt für Kosten.
Zur Einweihung kommt Kirchenprominenz aus Münster. Architekt Simon findet liebenswürdige Worte. Pfarrer Gobrecht nimmt den Schlüssel entgegen. Der CVJM-Posaunenchor spielt. Der Pfarrer von St. Blasius, Wilhelm Boeddicker, ahnt damals wohl schon den weiteren Verlauf der Geschichte: „Er wünscht sich“, heißt es, „dass die Christen in Frieden zusammenleben können.“
Friedlich ist die Stimmung in Gemeindebüro und Kirche – nicht nur während des Gesprächs. Gemeindemitglieder erleben ihr Gotteshaus als „Wohnzimmer“. Das hört Sven Körber immer wieder, er selbst und auch Doreen Wahl empfinden die Innenarchitektur so.
In diesem Wohnzimmer will die Gemeinde feiern. Der dritte Advent beginnt um 10 Uhr mit einem Gottesdienst. Danach darf sich die Teilnehmerschar im Gemeindehaus stärken. Um 12.30 Uhr stellt Professor Jürgen Kampmann aus Tübingen den Kirchbau in den zeitgeschichtlichen Zusammenhang des Jahres 1933. Er zeigt Archiv-Dokumente, erklärt sie, ordnet sie ein. Obendrein haben Herbert Matzke und Oliver Prior eine kleine Ausstellung zur Geschichte der Kirche vorbereitet. Obendrein dürfen Gemeindemitglieder von besonderen Erlebnissen im Gotteshaus erzählen. Lacher sind programmiert.