Balve. Balves Stadtarchivar Reimund Schulte ist auf Spurensuche gegangen. Er digitalisierte die Chronik der Evangelischen Schule. Spannende Zeitreise.
Geschichte riecht nach Gerbsäure und Bohnerwachs. In den Katakomben des Schulzentrums Krumpaul befindet sich das Stadtarchiv. Es ist Balves schriftliches Gedächtnis. Reimund Schulte verwaltet es. Im Archivraum stapeln sich fein säuberlich beschriftete und ordentlich gestapelte Kartons in beweglichen Regalen. Doch die Zukunft der Vergangenheit ist digital: In Clouds gespeichert, sind die historischen Dateien auf Rechnern und Laptops, Smartphones und Tablets jederzeit und überall verfügbar. Reimund Schulte arbeitet daran. Die Evangelische Gemeinde Balve profitiert davon – wie andere heimische Einrichtungen. Reimund Schulte hat kurzerhand die Chronik der Evangelischen Schule digitalisiert. Material aus zwei DIN-A-4-Kladden befindet sich inzwischen auf einem winzigen Speicherstift.
Die Evangelische Gemeinde sortiert sich gerade neu. Gemeindepädagoge Sven Körber, Nachfolger von Pfarrerin Antje Kastens, weiß: Wer die Gegenwart verstehen will, muss die Geschichte kennen. Er fasst Informationen von Reimund Schulte zusammen: Die Evangelische Schule ist ein Produkt der Nachkriegsgeschichte. Am 1. April 1946 geht die Gemeinschaftsschule in Balve an den Start. Treppenwitz der Geschichte: Dort lernen nur evangelische Schüler, 107 Kinder in einer Klasse mit einem Lehrer, Lehrer Neils. Am 1. April 1947 wird eine Evangelische Schule eingerichtet – innerhalb der Katholischen Schule. Erst 1951 folgt ein eigenes Schulgebäude. Das Fachwerkhaus ist zuvor als Wohnhaus genutzt worden. Es steht längst nicht mehr. Es ist dem Musikheim des MV Balve gewichen. Am 1. August 1969 endet das Kapitel der Bekenntnisschulen im damaligen Balver Stadtgebiet. Seither gibt es nur noch eine städtische Gemeinschaftsschule.
Professor Jürgen Kampmann von der Uni Tübingen kennt sich mit der Gründung der Evangelischen Kirche von Westfalen nach dem Zweiten Weltkrieg bestens aus. Warum gab es in Balve, wie anderswo, Bekenntnisschulen?
Ihre Gründung ist eine Antwort auf die Schulpolitik der Nazis gewesen: Diesen Schluss legt der Fachmann nahe. Bei der Gründung von Bekenntnisschulen ging es demnach „in den meisten Fällen um die Wiederherstellung entsprechender konfessionell katholischer oder evangelischer Volksschulen“. Zuvor seien nationalsozialistische Bestrebungen in Richtung „Entkonfessionalisierung“ gegangen – in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre, besonders ab 1938. Ziel: „Schulen ohne Konfessionsbindung“.
Ökumene kommt erst später
Nach dem Zweiten Weltkrieg werden zuvor weitgehend von einer Konfession dominierte Gebiete wie das kurkölnisch-katholische Hönnetal aufgemischt. Vertriebene kommen aus vornehmlich protestantischen Ostgebieten, aus Pommern, aus Schlesien, auch aus Ostpreußen. Von Ökumene, von freundschaftlicher Zusammenarbeit christlicher Glaubensrichtung, kann nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes nicht die Rede sein.
Journalist Roland Krahl erinnert sich: „Zwischen den Schulhöfen war ein Zaun. Die katholischen und die evangelischen Schüler durften nicht zusammen-kommen.“ Auch Stadtarchivar Schulte kramt Erinnerungen hervor: Der Garbecker erinnert sich daran, dass er vor den „:Lutherschen“ in Neuenrade gewarnt worden sei. Das kurkölnische Sauerland hat, im Gegensatz zu den protestantischen „Märkern“, eine katholische Identität gehabt. Von Zwist ist heutzutage nichts mehr zu spüren. Gemeindepädagoge Körber arbeitet längst gern und gut mit katholischen Ansprechpartnern zusammen.
Oliver Prior kennt das auch aus seiner Arbeit in der Feuerwehr. Er selbst hat früher evangelische Jugendarbeit gemacht. Die ehemalige Pfarrerin Kastens hätte ihn gern im Presbyterium gesehen. Aus der vordersten Reihe der Wehr hat sich Oliver Prior inzwischen zurückgezogen. Dafür hat er mehr Zeit für die Gemeindearbeit – und Geschichte hat in immer interessiert. Interessiert ist Oliver Prior auch an weiterer Zusammenarbeit mit seinem Vorgänger Herbert Matzke.
Am dritten Advent steht der nächste große Anlass an. Die Gemeindekirche wird 90. Die Festpredigt hält Professor Kampmann.