Balve/Menden. Pflege frisst viele Angehörige auf. Viele werden einsam, manche krank. Doch es gibt einen Ausweg.
Vier Ehrenamtler und ein Landtagsabgeordneter, doch der eigentliche Star ist eine kecke Puppe. Als Angie ins Spiel kommt, wird aus einer interessierten Fragerunde ein munteres Treffen. Matthias Eggers ist aus Menden angereist, um sich über die Arbeit des Vereins „Treffpunkt Demenz“ im Gesundheitscampus in Balve zu informieren. Nachdem er gegangen ist, schickt seine Mitarbeiterin Barbara Fischer der Vereinsvorsitzenden Heike Guth-Mindhoff eine WhatsApp. Neben Dank fürs Gespräch und einem Kontaktangebot merkt Barbara Fischer an, ihr Chef habe sich „auch sehr gefreut, Angie kennenzulernen“. Nach einem Zwinker-Symbol kommt ein Zusatz: „Toller Name.“
Der Besuch des christdemokratischen Parlamentariers ist mehr als Wahlkreispflege; er hat einen ernsten Hintergrund. In der Corona-Zeit hat Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ein Zeichen gegen soziale Isolation gesetzt. Er richtete eine Kommission ein. Sie sollte der „Einsamkeit“ (Titel des Arbeitsauftrages) auf die Spur gehen. Denn ihre psychischen und physischen Spuren – das wissen Fachleute – belasten letztlich die Gesundheit vieler Menschen. Matthias Eggers hat sich in Balve schlau gemacht, was ehrenamtliches Engagement für mehr Gemeinschaft leisten kann. Wie hat alles angefangen?
Heike Guth-Mindhoff reist mit Matthias Eggers zurück ins Jahr 2015. Damals ist das Gesundheitscampus noch eine junge Einrichtung, und Geschäftsführer Ingo Jakschies hat den Kopf voller Ideen. Eine davon: Er will im Gebäude eine Einrichtung schaffen, die Demenz-Erkrankten und ihren Angehörigen das Leben leichter macht, ehrenamtlich. Einem Aufruf folgen nicht weniger als 22 Interessierte. Eine von ihnen ist Heike Guth-Mindhoff. Sie kennt sich mit Finanzen aus, kann organisieren und netzwerken, wenig überraschend wird sie bald Vorsitzende eines neuen Vereins: „Treffpunkt Demenz“. Worin besteht seine Arbeit?
Regelmäßig dürfen sich Demenz-Erkrankte in den Vereinsräumen im Campus treffen. Fachkundig betreut, singen sie dort, raten Lieder, ergänzen Sprichwörter, spielen Bingo. Und wieder immer sorgt Angie für gute Laune. „Die Leute gehen da super darauf ein“, weiß Heike Guth-Mindhoff, „wenn sie mit ihr sprechen, sehen sie ihr immer ins Gesicht.“
Der Bedarf ist groß, und „Treffpunkt Demenz“ ist weithin einzigartig. Das hat sich in der Region herumgesprochen. „Wir haben“, sagt Heike Guth-Mindhoff, „sogar Angehörige da, die kommen aus Hamm.“
Der Verein – 30 Mitglieder, 20 Aktive – holt sie aus der Isolation, schlägt mit Info-Veranstaltungen und Experten-Vorträgen für Angehörige eine Schneise durch den Pflege-Dschungel, organisiert Reha-Sport für Demenz-Patienten, auch einen Angehörigen-Gesprächskreis gibt es längst. „Es ist wichtig“, weiß Heike Guth-Mindhoff, „dass man diese Wege findet.“
Einer dieser Wege führt nach Iserlohn. Beim Gerontopsychiatrischen Zentrum an der Hardtstraße erhalten häufig verzweifelte Angehörige im übertragenen Sinn erste Hilfe. Neurologin Elke Koling gibt sie ihnen. Nicht nur das: Sie rät ihnen auch, wie sie selbst Demenz vorbeugen können. Die Fachfrau empfiehlt einen Lebensstil, der Bluthochdruck vermeidet. Fettes Essen, Zigaretten, Alkohol treibt ihn hoch, auch Stress gehört dazu. Wer Bluthochdruck, womöglich genetisch bedingt, nicht vermeiden kann, möge zu Blutdrucksenkern greifen. Matthias Eggers wirkt nahbar, als er gesteht, dass sein Leben als Politiker Bluthochdruck begünstigt. Einen Wahlkreistermin erlebt er unvermutet als Lehrstunde.
Überhaupt ist der Abgeordnete gekommen, um zuzuhören. Er hört, dass 125 Euro Betreuungsgeld, auf die Pflege-Patienten wie Demenz-Erkrankte auf Antrag Anspruch haben, nicht zwingend in nicht-medizinische Behandlung fließen, wie die Angebote des Vereins genannt werden. Der Betrag kann auch für Haushaltshilfe oder Gartenarbeiten ausgegeben werden. Ulla Dransfeld aus Mellen, zertifizierte Demenz-Betreuerin, findet das nicht gut. Matthias Eggers verspricht, sich beim Landesgesundheitsministerium zu informieren: Als politisches Ziel sei denkbar, dass die öffentliche Hand künftig Geld für beide Bereiche – Betreuung Erkrankter wie Hilfe zur Entlastung gestresster Angehöriger – zur Verfügung stellen könnte. Er weiß aus eigener Erfahrung, „wie belastend es sein kann, wenn man sich bei der Pflege um alles kümmern muss“.
Pflege ist ein Thema der alternden Gesellschaft. Statistiker erwartet, dass der Anteil der Generation 65 plus in Balve im Jahr 2030 bei 40,1 Prozent liegt. Matthias Eggers weiß aber aus Erfahrung in der eigenen Familie, dass es auch Kinder mit Pflegebedarf gibt.
Häusliche Pflege kann einsam machen. Das kennen Aktive des Vereins wie Gabriele Schmale aus ungezählten Gesprächen. Schlimmer noch: Häusliche Pflege macht manche Angehörige sogar krank.
Lachen indes macht gesund, und beim „Treffpunkt Demenz“ wird viel gelacht – auch beim Besuch aus Menden. Heike Guth-Mindhoff verwandelt das Gespräch kurzerhand in eine Rate-Runde. Matthias Eggers soll Sprichwörter vervollständigen, verdrehte Schlagertitel korrigieren. Dem „quietschgrünen Gummiboot“ lässt er schnell die Luft raus.
Am Ende des Gesprächs kommt wieder Angie ins Gespräch, warmherzig, doch immer auch ein bisschen frech verabschiedet sie den Besuch. Der Anlass des Treffens ist ernst. Doch als Matthias Eggers den Campus verlässt, schmunzelt er.