Arnsberg. Namhafte Ärzte diskutieren in Leserzuschriften an die WP über Rückzug der Kinderarztpraxis aus Arnsberg und medizinische Konzentration in Hüsten.
Der Rückzug einer Kinderarztpraxis aus dem Stadtteil Alt-Arnsberg und die daraus resultierende Einbindung in ein Medizinisches Versorgungszentrum des Klinikums Hochsauerland in Hüsten hat einen Ärzte-Streit entstehen lassen.
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Namhafte und stadtbekannte Ärzte aus Arnsberg - Dr. Norbert Peters, Dr. Norbert Baumeister und Dr. Christoph Bauer - diskutieren in Leserzuschriften kontrovers über die Situation. Es geht im Kern darum, wie viele medizinische Strukturen rund um und vom Klinikum konzentriert werden sollen und auch darum, was dem Stadtteil Alt-Arnsberg bleibt.
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Wir stellen hier alle drei Leserzuschriften ungekürzt vor. Die Inhalte spiegeln allein die Meinung der genannten Autoren wider.
Dr. med. Christoph Bauer (Facharzt für Innere- und Allgemeinmedizin, Sportmedizin) aus Arnsberg: „Es bleibt auf einen Proteststurm zu hoffen“
„Soweit ist es jetzt gekommen! Mit dem Umzug der Kinderarztpraxis des MVZ Hochsauerland endet die kinderärztliche Regelversorgung in Alt-Arnsberg!
In den Köpfen der strategischen Planer mag es zwar unerheblich sein, ob eine Kinderarztpraxis in Hüsten oder in Alt-Arnsberg angesiedelt ist, aber diese Sicht ist weltfremd und offenbart eine gewisse Gleichgültigkeit am gesundheitlichen Wohl der Kinder und Jugendlichen hier vor Ort. Nicht jede Familie hat das Glück ein oder zwei Autos zu besitzen, manche gehen zu Fuß innerhalb von Alt-Arnsberg zum Arzt und sind dann jetzt auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. 33-50 Minuten dauert eine Busfahrt vom Brückenplatz in Arnsberg bis zum MVZ Kinderheilkunde des Klinikum Hochsauerland in der Heinrich-Lübke-Straße in Hüsten. 33-50 Minuten mit einem Kind das hoch Fieber oder vielleicht sogar einen Brechdurchfall hat. Möchten wir das den Kindern, den Familien und auch anderen Nutzern des ÖPNV zumuten? Das wäre ein Armutszeugnis!
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Die Verlegung des Kinderarztsitzes ist von langer Hand vom Klinikum geplant worden. Dabei macht es gar keinen Sinn für die Grundversorgung der Kinder drei Kinderarztsitze an einem Ort zu bündeln. Dezentral sollten die angelegt werden um den Betroffenen einen niederschwelligen Zugang zu ermöglichen. Vom Klinikum folgt jetzt das Argument, das für dezentrale Praxen keine Ärzt:innen zu finden sind. Im Vorfeld wurde aber mit keinem der in Alt-Arnsberg ansässigen Ärzt:innen oder mit der Kinderärztin in Oeventrop gesprochen um eine Lösung zu finden den Sitz in Alt-Arnsberg zu halten. Auch wurde kein Kontakt mit der hiesigen Bezirksstelle der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) aufgenommen bei drohender Nichterfüllung des Versorgungsauftrages.
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Um die Versorgung der Kinder vor Ort sicherzustellen lehnte daher die lokale Bezirksstelle der KV eine Verlegung der Praxis nach Hüsten ab. Dem wurde zunächst auch von der KV in Dortmund gefolgt. Nach Widerspruch des Klinikums kam es dann zu der plötzlichen Entscheidung der Verlegung, ohne dass der entsprechende Ausschuß Rücksprache mit den vor Ort anwesenden Experten gehalten hat. Ob und welche Absprachen hier erfolgten ist sicher spannend zu erfahren?!
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Wenn der Wegfall der Notdienstpraxis in Sundern schon einen heftigen Widerstand in der Sunderaner Bevölkerung hervorgerufen hat, so ist zu hoffen, dass der Wegfall der kinderärztlichen Grund- und Regelversorgung einen Proteststurm der Alt-Arnsberger Bevölkerung auslösen wird. Einen Protest, der sich zum einen an den entscheidenden Ausschuß der KV richtet. Ein Protest, der aber auch die Politik wachrüttelt, dass sie im Sinne ihrer (zukünftigen) Wähler dafür kämpft, dass der Kinderarztsitz in Alt-Arnsberg erhalten bleibt!
Ich bin auf die Reaktionen gespannt. Mir tut es nur leid um die schlechter werdende medizinische Versorgung. Denn eines ist sicher: die in Alt-Arnsberg verbliebenen Ärztinnen und Ärzte können eine fehlende Kinderarztpraxis nicht adäquat ersetzen“
Dr. Norbert Peters (Ärztlicher Direktor des Klinikums Hochsauerland): „Ärzteschaft sollte geschlossen zusammenstehen“
Der Leserbrief des von mir sehr geschätzten Kollegen Dr. Bauer verwundert, erweckt er doch den Eindruck, als sei das Klinikum mitverantwortlich für die zugegeben prekäre kinderärztliche Versorgung in Alt-Arnsberg.
Nun: das deutsche Gesundheitssystem ist selbstverwaltet und in 3 Bereiche gegliedert: die ambulante Versorgung, den Krankenhaussektor sowie Rehabilitationseinrichtungen.
Die Sicherstellung der flächendeckenden ambulanten ärztlichen, psychotherapeutischen und zahnärztlichen Versorgung ist vornehme Aufgabe der kassenärztlichen Vereinigung (KV) und somit der niedergelassenen Ärzteschaft. Die Krankenhausbehandlung umfasst die Bereiche Notfallbehandlung, voll- und teilstationäre Behandlung, vor- und nachstationäre Behandlung, ambulante Behandlung und rehabilitative Behandlung. Zudem sind wir mit der Ausbildung der jungen Ärzte betraut sowie an unseren Universitätsklinken mit Forschung und Lehre.
Aufgrund des eklatanten, von den verantwortlichen Politikern seit vielen Jahren verleugneten bzw. stillschweigend tolerierten Ärztemangels in unserem Land kommt es in vielen Gegenden Deutschlands zu einer medizinischen Unterversorgung. Krankenhäuser finden kaum noch qualifiziertes Personal, um die Versorgung der Menschen an 365 Tagen 24 Stunden am Tag sicherzustellen. Mittlerweile ist es auch für niedergelassene Ärzte sehr schwierig, mit Erreichen des Renteneintrittsalters Ihre Praxen an junge Kollegen weiterzugeben.
Daher wenden sich in Deutschland immer häufiger kassenärztliche Vertragsärzte an das Krankenhaus vor Ort mit der Bitte, ihre Praxis weiterzuführen, da sie ihre Patienten weiter gut versorgt wissen möchten.
Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz (2003) hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, sogenannte medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu betreiben. Sich in solchen MVZ´s anstellen zu lassen, ist für zahlreiche junge Ärztinnen und Ärzte sehr attraktiv: im Gegensatz zur Niederlassung mit wöchentlichen Arbeitszeiten über 50 Stunden und großer unternehmerischer Verantwortung können sie hier in Teilzeit tätig sein und werden zudem von der unfassbar überbordenden Bürokratie im Gesundheitswesen entlastet.
Das Klinikum Sauerland betreibt 2 medizinische Versorgungszentren mit insgesamt 15 Facharztpraxen. Wohl gemerkt: in keinem einzigen Fall ist das Klinikum an die niedergelassenen Ärzte herangetreten, hat ein Kaufangebot unterbreitet oder sich gar gegen einen weiteren Bewerber durchgesetzt! Jede dieser Praxen haben wir erworben, nachdem die Kollegen zuvor verzweifelt versucht haben, ihre Praxis an einen niedergelassenen Kollegen zu veräußern. Damit geben wir wirklich unser Bestes, die Bevölkerung im Hochsauerlandkreis auch ambulant fachärztlich hoch qualitativ zu versorgen.
Wenn allerdings auch wir keine Ärztinnen oder Ärzte finden, die bereit sind, einen einzelnen Standort zu betreiben, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als die Sitze zusammenzulegen.
Unsere Absichten sind hier ausschließlich redlich und dienen ganz sicherlich nicht der Gewinnmaximierung.
Zu guter Letzt darf ich noch darauf hinweisen, dass sämtliche Prozesse der Übernahme solcher Praxen oder der Verlegung der entsprechenden Sitze durch das Klinikum nach ordnungsgemäßen Verfahren verlaufen sind. Irgendwelche intransparente Absprachen hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben.
Alle Mitstreiter im deutschen Gesundheitswesen befinden sich aktuell in schwierigem Fahrwasser: in diesem Jahr haben bereits 34 Kliniken Insolvenz anmelden müssen, und Tausende niedergelassene Ärztinnen und Ärzte haben Anfang Oktober ihre Praxen geschlossen, um nach den drastischen Sparmaßnahmen auf ihre Situation hinzuweisen - von Herrn Minister Lauterbach ernteten sie nur einen spöttischen Kommentar.
In einer solchen Situation sollte die Ärzteschaft aus meiner Sicht geschlossen zusammenstehen; gegenseitige Vorwürfe helfen nicht weiter. Falls der Wegfall der kinderärztlichen Grund- und Regelversorgung in Alt-Arnsberg tatsächlich einen Proteststurm auslöst, sollte sich dieser nicht gegen die KV oder das Klinikum, sondern gegen das Bundesministerium für Gesundheit in Berlin richten.
Dr. Norbert Baumeister (Internist,Gastroenterologe im Ruhestand) aus Arnsberg: „Vorgehen des Klinikums scheint Methode zu haben“
„Zum Leserbrief von Dr. Christoph Bauer vom 26.10.23, für den ich mich sehr bedanke, möchte ich einige Ergänzungen beitragen:
Das Vorgehen des Klinikums HSK scheint Methode zu haben. Die Geschäftsführung möchte die medizinische Versorgung weitgehend in Hüsten und Neheim konzentriert haben. Wie der Beitrag von Dr. Bauer zeigt, sind wir in dem Bericht des Klinikums über die Eröffnung des MVZ (Mediz. Versorgungszentrum) Kinderheilkunde des Klinikums in der Heinrich Lübke Str., Hüsten erst mal kräftig mit Halbwahrheiten versorgt worden, nämlich dass gar keine andere Lösung möglich war.
Das scheint alles Methode zu haben. Die Neurolog. Praxis von Dr. Wismann, Arnsberg Königstr. wurde unter seiner Nachfolgerin zusammen mit drei weiteren Kollegen in das MVZ am Klinikum erst am Johannishospital und jetzt am Karolinenhospital verlegt. Dabei bedeutet Teilnahme im MVZ des Klinikums nicht Lokalisierung an einer Klinik, sie kann auch in anderen Ortsteilen stattfinden,wie die Gastroenterologische Praxis von Dr. Dierig in Arnsberg beweist.
Dieses strategische Vorgehen der Konzentrierung in Neheim-Hüsten zeigt sich ja auch in weiteren Punkten: Das Marienhospital in Arnsberg war das älteste und lange Zeit größte Krankenhaus im Bereich des Sauerlandes. Das Johannishospital stand in den Neunziger Jahren eigentlich vor dem Ende, hier wäre eine Schließung sinnvoll gewesen, wenn man denn drei Krankenhäuser in der Gesamtkommune Arnsberg als zu viele oder überdimensioniert hielt. Stattdessen wurden die beiden Krankenhäuser in Neheim-Hüsten hofiert und ausgebaut ( in Neheim mussten dazu ein oder zwei Villen abgerissen werde, da eigentlich am Johannis-H. kein Platz mehr war ) und das Arnsberger Haus allmählich runtergefahren. Die Lobby mit ehemaligen Bürgermeistern und Stattdirektoren und dem Herdringer Fürsten scheint da wohl sehr wirksam zu sein. In Arnsberg gab es eine Krankenpflegeschule mit Wohntrakt für die Schüler*innen, die ist nach Neheim-Hüsten verlegt.
Neulich wurde uns große Begeisterung der Politik über den Spatenstich zum Bau des Lehrschwimmbeckens in Hüsten beim NASS demonstriert und als Gewinn für Gesamt-Arnsberg verkauft. Es macht ja auch gar nichts aus, dass in den anderen Ortsteilen, in die Lehrschwimmbecken geschlossen werden, die Kinder, Schüler nicht mehr schwimmen lernen, es sei denn, dass sie für den schulischen Schwimmunterricht mindestens eine Stunde für Hin- und Rückfahrt einplanen müssen.
Und ich gehe jetzt schon eine Wette ein, dass wenn die Kommune Arnsberg ein Teilstandort der Fachhochschule Meschede-Soest werden sollte, diese in Neheim angesiedelt werden wird.
Ein Schelm, wer sich dabei etwas denkt. Einseitige kommunale Entwicklungspolitik?“