Medebach/Winterberg. Ein IT-Experte aus Winterberg hilft der Polizei und wird anschließend Angeklagter in einem Pädophilie-Fall - mit überraschendem Ausgang
Mit zitternden Beinen sitzt der Angeklagte im Flur des Amtsgerichts Medebach. Leise spricht er mit einem Vertrauten, der ihn zu diesem Termin begleitet. Direkt nebenan, hinter verschlossenen Türen, wird über das Schicksal des Winterbergers verhandelt, über dem schon seit langem das Damoklesschwert einer Verurteilung pendelt.
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Staatsanwältin Nicole Kuni hatte kurz zuvor die Anklage vorgetragen: So warf sie dem Familienvater vor, knapp 10.000 kinderpornografische Bilder und 62 Videos auf Festplatten besessen gehabt zu haben. Das umfangreiche Ermittlungsverfahren hatte mehr als drei Jahre gedauert. Am 27. Juni 2020 war es in der Wohnung des IT-Spezialisten in einem Ortsteil zu einer spektakulären Polizeiaktion gekommen. Dabei kam die Spezialeinheit Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) aus Bochum zum Einsatz.
Auf der Suche nach einem Deal
Der Angeklagte hatte die Beschuldigungen kategorisch und in jeder Form von sich gewiesen, sagte dessen Strafverteidiger Christian Dreier aus Dortmund gegenüber der WP schon im Vorfeld. Sein Mandat habe sich dementsprechend gegenüber den Ermittlern der Polizei und gegenüber der Staatsanwaltschaft bereits ausführlich eingelassen. Er habe vollumfänglich mit den Behörden kooperiert. Nachdem die Staatsanwältin mit ihren Ausführungen geendet hatte, bat Dreier sofort um ein sogenanntes Rechtsgespräch, dem alle Verfahrensbeteiligten zustimmten.
Als Rechtsgespräch wird im Kontext eines Gerichtsverfahrens der Versuch bezeichnet, eine Verständigung zwischen den Parteien herbeizuführen. Im Strafprozess nimmt das auf eine Verständigung ausgerichtete Rechtsgespräch eine besondere Stellung ein: Die Verständigung im Strafverfahren, gelegentlich als „Deal“ bezeichnet, ist jedoch nur unter bestimmten Einschränkungen zulässig. Heißt: Die Sache ist kompliziert. Und in dem Fall des Winterbergers umso mehr, wie Richter Michael Neumann schließlich erläutert, als alle Prozessbeteiligten wieder in den Gerichtssaal gerufen werden. „Es ist wirklich eine komplexer und schwieriger Sachverhalt“, erklärt Neumann. Im Grunde seien sich alle Parteien einig: auch Richter und Staatsanwältin. Der Angeklagte sei definitiv kein Pädophiler. Ganz im Gegenteil, denn der IT-Fachmann habe mit dazu beigetragen, die Polizei auf die Fährte eines ehemaligen Nachbarn zu führen. Dieser hatte sich ihm gegenüber offenbart, pädophile Neigungen zu haben.
Das Leben auf den Kopf gestellt
Im Zuge dessen gab er den Ermittlungsbehörden Hinweise, die dazu führten, dass der Nachbar wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen und dem Besitz von Kinderpornografie eine mehrjährige Haftstrafe absitzen muss. Aus Sorge darüber, dass eines seiner Kinder auch von dem Nachbarn missbraucht worden sei, habe er einen Datenträger des Pädophilen auswerten wollen, so gab es der Angeklagte mehrfach gegenüber den Behörden an. Die damalige Lebensgefährtin des Sexualstraftäters hatte ihm den Datenträger übergeben. Damit nahm das Unheil für den nun Angeklagten seinen Lauf. Denn darauf befanden sich tausende Bilder und Videos, auf denen der sexuelle Missbrauch von Kindern und Heranwachsenden zu sehen war.
„Als ich das gesehen habe, habe ich auch die Behörden informiert, ob Sie das im Prozess gegen meinen Nachbarn verwenden möchten“, sagt der Angeklagte sichtlich angefasst und blickt dabei fast flehentlich Staatsanwältin und Richter an. Er habe sich nichts dabei gedacht. Dann sei auf einmal die Spezialeinheit der Polizei angerückt und habe sein Leben auf den Kopf gestellt. Jeder im Ort habe den Einsatz mitbekommen. Zwei lange Jahre bis zum heutigen Tage habe er auf den Prozess gewartet. „Mein Mandant hat in dieser Zeit eine Menge durchmachen müssen“, erklärt Anwalt Dreier. Und obwohl sich alle im Gerichtssaal einig sind - ein Freispruch kommt aufgrund der aktuellen Rechtslage nicht infrage, erklärt Richter Neumann. Denn der Besitz von Kinderpornografie ist strafbar - eine Einstellung des Verfahrens nicht möglich. Die Justiz muss zwingend handeln, auch wenn es sich um besondere Umstände, wie in diesem Fall, handelt. Deshalb einigen sich alle Prozessbeteiligte schließlich. Der angeklagte IT-Fachmann gibt noch einmal im Gerichtssaal den Besitz der inkriminierten Bilder und Videos zu und Neumann kann dann ein mildes Urteil sprechen: eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen. Damit ist er nicht vorbestraft.